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Corona-Update zum 19. Oktober: Fallzahlen steigen, aber keine Überlastung in Sicht

Die Fallzahlen steigen, in Bayern wird über Berchtesgaden ein Lockdown verhängt. Doch die Zahl der Verstorbenen ist weiterhin gering. Und Ärzte raten zu Besonnenheit.

Beatmungsgerät für schwersterkrankte Covid-19 Patienten im Universitätsklinikum Essen

imago images / Ralph Lueger

Als große Gefahr der Corona-Pandemie gilt nach wie vor eine Überlastung des Gesundheitssystems. Doch dieses ist bis heute nicht in Sicht. Das liegt wohl genauso an der relativ großen Zahl von Intensivbetten, die in Deutschland zur Verfügung stehen, als auch daran, dass sich ältere und gefährdete Menschen mittlerweile besser zu schützen wissen als noch im Frühjahr.

So liegt die kumulative 7-Tages-Inzidenz pro 100.000 Einwohner mittlerweile bei 49 Fällen – und damit höher als noch im Frühjahr, als die Inzidenz geringer war. Die Zahl der Todesfälle ist zwar im Vergleich zu den letzten Wochen auch gestiegen, ist aber noch relativ gering. In der vergangenen Woche (bis zum 18. Oktober) meldete das RKI 162 Todesfälle mit Corona. Das sind deutlich mehr, als die letzten Monate Woche für Woche gemeldet wurden, als die Zahl der gemeldeten verstorbenen kurzzeitig sogar unter 30 Fällen in einer Woche lag. Man muss jedoch bedenken, das Corona-Todesfälle (sowohl „mit“ als auch „an“ Corona) in der Regel 16 Tage nach Symptom-Beginn auftreten. Nimmt man an, das von Symptom-Beginn bis zur Fall-Meldung beim RKI einige Tage vergehen (ein Tag um zum Arzt zu gehen, ein Tag bis das Testergebnis vorliegt, Meldung an das RKI am nächsten Tag), so werden jetzt die Todesfälle gemeldet, die in der ersten und zweiten Woche dieses Monats als Fall gemeldet wurden. Seitdem ist die Zahl der gemeldeten Fälle stark gestiegen, ein weiteres Ansteigen der Todesfälle ist also zu erwarten.

Quelle: Europäisches Zentrum für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten, eigene Berechnungen

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Durch die seit Langem stark reduzierte Zahl von verstorbenen Corona-Fällen ist die Case-Fatality-Rate (Fall-Verstorbenen-Rate) in den letzten Monaten von mehr als vier Prozent auf 2,7 Prozent gesunken. Wie hoch die Sterblichkeit an Corona insgesamt ist, wird noch diskutiert. Eine Studie des Lancet schätzt, dass insgesamt gut 1% aller Infektionen tödlich verlaufen. Untersucht man nur die gemeldeten Corona-Fälle seit dem 20. Juli (Anfang der 30. Kalenderwoche), liegt die Case-Fatality-Rate in Deutschland sogar unter einem Prozent. Für diese scheinbare Entkopplung der Todesfälle gibt es verschiedene Erklärungen. So könnte das Corona-Virus weniger gefährlich geworden sein. Das ist durchaus möglich, denn auch andere Krankheiten sind mit der Zeit weniger gefährlich geworden.

In Singapur wurde in einigen Patienten eine weniger gefährliche Variante des Virus entdeckt. Ihr Name ist „∆382“. So beschreibt es zumindest eine im Fachjournal „The Lancet“ veröffentlichte Studie. Doch in Europa ist diese Variante des Virus nicht verbreitet. Das RKI zumindest sieht eine Abschwächung des Virus nicht als Ursache für die stark reduzierte Case-Fatality-Rate. Stattdessen wird nach wie vor die deutlich jüngere Altersstruktur der gemeldeten Fälle angeführt. Auch lassen sich die Fälle des Frühjahrs und des Herbsts nicht ohne weiteres vergleichen. Denn durch den Ausbau der Test-Infrastruktur können mittlerweile deutlich mehr Tests durchgeführt werden als im Frühjahr – was auch bedeutet, dass die Kapazitäten nun auch weniger dringenden Fällen mit einer geringeren Sterbewahrscheinlichkeit zur Verfügung stehen. Denn zur Zeit kann sich fast jeder testen lassen, während im Frühjahr selbst schwere coronaartige Symptome unter Umständen nicht ausreichten, um getestet zu werden. Zwar ist die Positivenquote der durchgeführten Tests auf 2,8 Prozent gestiegen. Das ist zwar ein deutlicher Anstieg von der Positivenquote von 0,6 Prozent in der 28. Kalenderwoche, doch noch deutlich unter der Positvenquote der 14. Kalenderwoche, als neun Prozent aller durchgeführten Tests positiv ausfielen.

Doch trotz steigender Fallzahlen, steigender Todeszahlen und auch trotz steigender Belastung des Gesundheitssystems steht eine Überlastung nach wie vor nicht unmittelbar bevor. Zum Montag meldete das DIVI-Intensivregister 851 Covid-19 Fälle auf den Intensivstationen und mehr als 9.400 freie Intensivbetten. Sollten nicht dringende Eingriffe verschoben werden, wie es schon im Frühjahr der Fall war, so ließen sich die Kapazitäten noch weiter steigern. Im Notfall wären innerhalb von sieben Tagen mehr als 12.000 Intensivbetten abrufbar (7-Tage-Notfallreserve), wenn Personal aus anderen Bereichen der Krankenhäuser abgezogen werden – der Engpass ist hier das Personal, nicht die Bettenzahl.

Die Absolutismen einer Pandemie

Es ist schwierig, den richtigen Umgang mit der Pandemie zu finden; es ist leicht, in Absolutismen zu verfallen, jene, die derzeit allseits präsente Maske einen „Maulkorb“ zu nennen, und jene, die in autoritärer Machtherrlichkeit die Maske ein „Instrument der Freiheit“ heißen: Es scheint, als könne man nur das Ersticken unter der Gesichtsverdeckung oder den Tod durch Corona erwarten. Die Wahrheit liegt, wie so oft im Leben, wahrscheinlich irgendwo zwischen den Extremen. So sagte Clemens Wendtner, Chefarzt der Infektiologie an der München Klinik Schwabing in einer Pressekonferenz von Intensivmedizinern diesen Montag: „Wir sollten wachsam sein, aber nicht panisch“. Der Präsident der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (die auch die Statistiken zu Intensivbettenbelegung herausgibt), äußerte sich ähnlich optimistisch: „Ich kenne keinen Einzigen, der sagt, das wird eine Katastrophe werden.“ Klaus Reinhardt, Präsident der deutschen Ärztekammer warnte im Deutschlandfunk vor übertriebener Panikmache: „Ich will auch keine Entwarnung oder keine fälschliche übertriebene Gelassenheit in dem Zusammenhang verbreiten, aber ich finde, man kann den Menschen nicht in einer Tour Angst machen. Ich glaube, dass auch eine gewisse Art von Abstumpfung entsteht, und ich habe den Eindruck, dass ein Teil der Bevölkerung diese Warnungen dann auch anfängt nicht mehr ernst zu nehmen.“

Und während Reinhardt es zwar für eine pragmatische und sinnvolle Lösung hält, Besucher einer Party, auf der es nachweislich zu Infektionen gekommen ist, unter Quarantäne zu stellen und zu testen, hält er lokale Lockdowns für nicht vertretbar. Wie sollen die Grenzen gezogen werden, die Lockdowns durchgesetzt werden? Ob das die Gerichte ähnlich sehen, wird sich in den nächsten Tagen zeigen, denn in Bayern wurde ein Lockdown über das Berchtesgadener Land verhängt. Da jedoch auch schon weniger strikte Regeln gekippt wurden, könnte auch hier Ministerpräsident Söder in die Schranken gewiesen werden.

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