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Ein Überblick

Corona-Update zum 12. Oktober: Die Bundesregierung kommt aus der Panik nicht mehr raus

Die Politik steckt in ihren selbst gemachten Bestimmungen fest. Sie muss handeln, weil sie eine Zahl zur Messlatte für alles gemacht hat: die Inzidenz. Doch diese Zahl reicht alleine zur Bewertung der Lage nicht aus.

imago images / Future Image

Nichts ist so schwer für eine Regierung, als einen Fehler zu zugeben. Denn dies würde ihr vorgetäuschtes Allwissen infrage stellen. In der Corona-Politik zeigt sich jetzt eine Bestätigung dieser Beobachtung. Die Bundesregierung hat die Zahl der Neuinfektionen zum Maß ihrer Corona-Politik erklärt, mit dem Ansteigen dieser Zahl verschärft sie jeden Tag die seuchenpolitischen Maßnahmen, sie „zieht die Zügel an“, in der Sprache der Kanzlerin. Die Landesregierungen folgen. Keiner will sich dem Vorwurf aussetzen, nicht der Allervorsichtigste zu sein. In Umfragen ist diese Art Politik dem NRW-Ministerpräsidenten Armin Laschet nicht gut bekommen; die Medien feiern dagegen den Konkurrenten Markus Söder als besonders tatkräftigen Politiker. Politik folgt den Medien, nicht der Vernunft.

Dem steht entgegen, dass Angela Merkel und ihr Büchsenspanner Jens Spahn  im Frühjahrs-Lockdown eine andere Zahl zum Maßstab ihres Handelns erklärt haben, nämlich eine drohende Überlastung ihres Gesundheitssystems. „Flatten the curve“; das Abflachen der Kurve von Neueinweisungen in die Intensivstationen war das Maß der Dinge. Aber: Von einer drohenden Überlastung des Gesundheitssystems oder einer statistisch relevanten Zunahme der Sterblichkeit kann derzeit keine Rede sein. Dies zeigen auch die unten stehenden Zahlen des Robert Koch-Instituts, der offiziellen Datenquelle der Bundesregierung und des Europäischen Zentrums für die Prävention und Kontrolle von Krankheiten (ECDC). Beherbergungsverbote, Ausweitung der Maskenpflicht und täglich neue Angstszenarien aus Berlin reflektieren nicht das tatsächliche Bedrohungsszenario durch Corona, sondern den im Sommer vollzogenen Umstieg der Bundesregierung und der Länder auf die Inzidenzschwelle von 50 Fällen pro hunderttausend Einwohner innerhalb einer Woche als wichtigsten Gradmesser für die Bewertung der Lage.

Das Gesundheitssystem steht nicht vor der Überforderung

War im Frühjahr die Überlastung des Gesundheitssystems noch eine nachvollziehbare Bedrohung, so scheint der neue Grenzwert von 50 Fällen pro 100.000 Einwohner eine willkürliche Zahl. Die Politik beruft sich darauf, dass in ihr verschiedene Faktoren vereint werden: Es werde zum Beispiel bedacht, wie viel Kapazitäten in den Krankenhäusern verfügbar seien, wie viele Kontaktpersonen die Gesundheitsämter nachverfolgen können. Die genaue Berechnung, wie die Politik die Zahl von 50 Fällen bestimmt hat, wird jedoch nicht veröffentlicht.

Dazu kommt, dass die gewählte Zahl 50 schon in ihrer Dimension fragwürdig ist: 50 ist eine psychologisch wichtige Zahl für Menschen, die ein dezimales Zahlensystem verwenden – wieso sollte sich aber ein Virus darum scheren? Der Verdacht der Willkür drängt sich auf. Dazu kommt, dass die harten medizinischen Folgen einer festgestellten Infektion in Form von schwerem Krankheitsverlauf bis zum Tod tendenziell eher abnehmen. Das kann mit einer abnehmenden Aggression des Virus zu tun haben oder mit verbesserten Behandlungsmöglichkeiten.

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In einer Analyse der Daten der in Deutschland Verstorbenen kamen Forscher der Universität Oxford jedenfalls zu dem Schluss, dass die „Case-Fatality-Rate“ bei allen Altersklassen deutlich gesunken ist. Andererseits kann dieser Effekt auch mit der Ausweitung der durchgeführten Tests in den letzten Monaten erklärt werden. Das RKI jedenfalls nennt eine Abschwächung des Virus in seinem täglichen Situationsbericht vom 12. Oktober „unwahrscheinlich“. Eine andere Erklärung für die insgesamt reduzierte Zahl der Todesfälle ist, dass sich neuerdings hauptsächlich jüngere Altersgruppen infizieren und sich Risikogruppen aus eigenem Antrieb besser schützen oder besser geschützt sind, indem Altersheime besser abgeschottet werden.

Verkürzt: Die jungen Infizierten stecken die Erkrankung weitgehend problemlos weg, die Älteren werden geschützt. Für die Jüngeren bleibt eher das Problem langfristiger Gesundheitsschäden. Zwar kommen diese weniger oft in jüngeren Altersgruppen vor, denn sie erleiden seltener schwere Krankheitsverläufe, doch das Problem ist trotzdem nicht einfach von der Hand zu weisen. Die Minimierung solcher Folgeschäden ist jedoch nicht das erklärte Ziel der Regierung – und wäre so oder so kaum zu garantieren, außer man schafft es, das Virus einzudämmen, bis ein Impfstoff für alle Bürger verfügbar ist. Ein frommer Traum, der in Enttäuschung enden muss.

Zudem sollten die Kosten des Fast-Lockdowns berücksichtig werden. Wir stellen ja auch den Autoverkehr nicht ein, obwohl er mehr als dreitausend Leben kostet, jedes Jahr. Warum aber stellen wir Unterricht, Unterhaltung, Gastronomie und Messen ein? Es gibt kein absolutes Ziel, sondern immer eine Abwägung. Überspitzt: Irgendwann ist der Punkt erreicht, an dem wir aus Angst vor Corona sterben, nicht aber an Corona.

Wie ist die Lage?

In der vergangenen Woche wurden deutschlandweit 21.527 neue Corona-Fälle gemeldet. Außerdem verstarben 86 als Corona-Fall gemeldete Personen. Die Zahl der, im weitesten Sinne, Corona-Toten ist im Vergleich zu den Vorwochen gestiegen: Verstarben in den letzten zwei Wochen jeweils circa 70 Personen im Zusammenhang mit Corona, waren es Anfang September noch ungefähr 20. Trotzdem muss zur Einschätzung der Lage auch beachtet werden, dass in Deutschland am Tag mehr als 2.500 Menschen sterben. Das macht in der Woche mehr als 17.000 „reguläre“ Todesfälle. Wobei dies keine „Corona-Tote“ sind, sondern Verstorbene die neben anderen Krankheiten auch Corona-Infizierte waren. In der Statistik aber werden AN Corona-Gestorbene nur gemeinsam mit MIT an Corona-Verstorbenen untrennbar ausgewiesen.

Quelle: ECDC, eigene Berechnungen

Die kumulative 7-Tages-Inzidenz pro 100.000 Einwohner lag deutschlandweit zum Sonntag bei 25,9 Fällen, also weit unterhalb der 50er-Grenze, die für Regionen ausgewiesen wird. Gleichzeitig bleibt die Todesrate stark verringert: Als die Inzidenz im April ähnlich hoch lag, wurden mehrere hundert Fälle am Tag gemeldet. Ein Großteil dieser Todesfälle ereignete sich bei älteren Bevölkerungsgruppen und Bewohnern von Pflegeheimen. Zur Zeit scheinen sich diese Gruppen relativ gut vom Infektionsgeschehen abgrenzen zu können. Damit war diese Zahl im Frühjahr sehr wohl alarmierend, hat aber mittlerweile ihren Schrecken verloren.

Trotzdem steigt auch die Zahl der positiv getesteten in den allgemein als besonders gefährdet eingeschätzten Altersklassen weiter an – und es sind diese Altersklassen, auf die der überwiegende Teil der Verstorbenen entfällt. Allerdings lassen sich die Inzidenz und die Todesfälle bisher nicht ohne weiteres vergleichen. Die Zahl der jede Woche durchgeführten Tests hat sich in den letzten Monaten vervielfacht. Dadurch werden auch Corona-Fälle erfasst, die mangels schwerem Erkrankungsverlauf im Frühjahr gar nicht erst in der Statistik aufgenommen wurden. Auch diese Entwicklung begrenzt die Aussagekraft der 50er-Zahl.

Corona, Covid-19, SARS-CoV-2
Die Classe Politique steuert falsch
Als Grenzwert für das Verschärfen von Einschränkungen auf lokaler Ebene hat die Bundesregierung eine lokale Inzidenz von 50 Fällen pro hunderttausend Einwohner innerhalb einer Woche festgelegt. Diese Zahl soll, so die Bundesregierung, auf Grundlage der Krankenhauskapazitäten, der Kontaktverfolgungskapazitäten der Gesundheitsämter und anderer Aspekte festgelegt worden sein.

In 30 Kreisen wird diese Marke von 50 Fällen zur Zeit überschritten. Alleine in Berlin lagen sechs Kreise über der Marke, in zwei Kreisen (Neukölln und Mitte) lag die Inzidenz mit 128,9 und 103,1 Fällen sogar im dreistelligen Bereich. Berlin und Bremen sind die Bundesländer mit der höchsten Inzidenz. Auch Nordrhein-Westfalen, Hessen und Hamburg liegen über dem Bundesdurchschnitt jedoch weit weniger hoch.

Quelle: Täglicher Situationsbericht des RKI vom 11. Oktober

Wo passieren die Infektionen?

Anders als in den letzten Monaten sind in den meisten Kreisen keine klaren Quellen für den Anstieg der Corona-Infektionen zu erkennen. Waren es vorher meistens klar zuordenbare Ausbrüche in Firmen, bei Großhochzeiten oder in Pflegeeinrichtungen, beschreibt das RKI die Situation in den meisten Kreisen zur Zeit als „diffus“. Infektionen scheinen meistens im Familien- und Freundeskreis oder auf Feiern zu passieren. Dies erklärt wohl auch die Entscheidungen vieler Kommunen, Sperrstunden zu verhängen, auch auf Straßen Maskenpflichten anzuordnen oder Beherbergungsverbote zu verkünden. Doch der Sinn der meisten dieser Regelungen ist fragwürdig.

Sperrstunden gelten erst ab 23:00 Uhr. Damit soll verhindert werden, dass sich die Menschen in Kneipen drängen und dort massenweise anstecken. Das würde Sinn machen, wenn das Virus nachtaktiv wäre und erst ab 23:00 Menschen ansteckt. Die Corona-Krise ist nicht neu: Mittlerweile muss jeder mitbekommen haben, dass da ein Virus umgeht. Wer immer noch in die Bars geht, der nimmt das Risiko bewusst in Kauf – und wird sich von einer Sperrstunde nicht abschrecken lassen. Stattdessen lädt er eben seine Freunde zu sich nach Hause ein.

Ein Versammlungsverbot kann die Polizei im besten Fall in Einzelfällen durchsetzen – wenn sie überhaupt rechtmäßig sind. Die Gerichte mussten in der jüngeren Vergangenheit schon öfter aktiv werden, um übergriffige Bestimmungen zu kippen – und jede solche Entscheidung ist ein Armutszeugnis für die verantwortliche Regierung, die Schwierigkeiten zu haben scheint, sich an ihre eigenen Regeln zu halten. Für das Beherbergungsverbot gilt ein fauler Kompromiss: Kann man einen negativen Corona-Test vorlegen, der höchstens 48 Stunden vor Anreise durchgeführt wurde, gilt dieses Verbot nicht.

Entscheidend ist der Tag, an dem das Ergebnis ermittelt wurde. Mit anderen Worten: Ab dem Tag zählen die Stunden. Aber wer kann schon wissen, wann genau „ermittelt“ wurde? Es ist also eine Regelung die bürokratisch exakt gilt, aber an der Lebenswirklichkeit vorbei geht (außer natürlich man ist Bundespolitiker und darf sich über eine prioritäre Bearbeitung freuen). Für alle Anderen gilt: Auch ein negativer Corona-Test berechtigt nicht zum Reisen, dumm gelaufen, wenn man sich um ein paar Stunden vertan hat. Dann wird man straffällig. Der willkürliche Charakter der Corona-Politik wird in dieser und anderen Regelungen augenfällig.

Fehler, Probleme und hohe Kosten
Die Corona-Warn-App: Ein typisches Bundesprojekt
So sind Hotels, die das Beherbergungsverbot erneut in ihrer Existenz trifft, bisher nicht als Corona-Hotspots in Erscheinung getreten. Warum aber werden sie jetzt als Virenschleudern behandelt? Gefährlicher sind in dieser Hinsicht der Arbeitsplatz, Gemeinschaftsunterkünfte und der Einzelhandel. Auch diese Regelung für Hotels dürfte demnächst von Gerichten gekippt werden. Anders ist es mit Maskenpflichten im öffentlichen Raum: Zwar gibt es wenige Beweise für ihre Wirksamkeit (wie beweist man eine nicht erfolgte Ansteckung?), doch die mit ihnen verbundenen Umstände für die Bürger sind sehr gering. Maskenpflichten könnten also auch vor Gericht Bestand haben. Allerdings gelten sie in immer mehr Städten nur auf bestimmten Straßen und Plätzen; in Hamburg wird nach Hausnummern genau unterschieden. Wer aus Versehen und geographischem Unwissen zu weit läuft, macht sich strafbar. Sicherlich wird die IT-Spezialistin des Bundes, die glorreiche „Doro“ Bär, dafür eine App entwickeln müssen, die nach dreistelligen Millionen-Kosten letztlich von der Wirklichkeit überholt wird.
Wie ist die Situation in den Krankenhäusern?

Das DIVI-Intensivregister meldete zum Sonntag 545 Covid-19 Erkrankte in intensivmedizinischer Behandlung. Davon wurden 275 invasiv beatmet. Außerdem wurden 9.321 freie Intensivbetten gemeldet. Dazu veröffentlichte DIVI die folgende Grafik:

Quelle: DIVI-Intensivregister Tagesreport vom 11.10.2020

Heute begeht Taiwan seinen Nationalfeiertag
Ein Leuchtturm für Demokratie und Wohlstand, Recht und Freiheit
Die Zahl der Covid-19-Intensivpatienten ist zwar gestiegen, aber liegt noch weit hinter den Zahlen des Frühjahrs zurück. Was aus der Grafik dank der mangelnden y-Achsen Beschriftungen auch nicht hervorgeht, ist, dass zu keinem Zeitpunkt die Intensivkapazitäten ausgereizt waren. Entwickelt sich die Lage wie bisher weiter, müssten jedenfalls mehr als dreihunderttausend Fälle in der Woche gemeldet werden, bis die Krankenhauskapazitäten ausgereizt sind. Dies ist allerdings eine rein theoretische Rechnung: Was nutzt ein freies Krankenhausbett in Hamburg, wenn in München ein Patient ein Sauerstoffgerät braucht? Es verdeutlicht aber, in welch unterschiedlichen Größenordnungen sich die Krankenhauspatienten, Intensivkapazitäten und Corona-Fälle bewegen.
Warum die Einschränkungen?

Warum also ist die Bundesregierung so panisch? Es liegt wohl daran, dass die Corona-Politik ein Eigenleben entwickelt hat, so wie jede politische Entscheidung ein Eigenleben entwickelt. Hat man einmal den Beamtenapparat in Fahrt gesetzt, die Staatssekretäre eingepeitscht und das Parlament unterrichtet, gilt es als enormer Gesichtsverlust, die Richtung zu ändern. In der bisherigen Situation war dies schon einmal der Fall: Als die Bundesregierung lautstark davon überzeugt war, dass das Corona-Virus keine Gefahr darstellte und man gut vorbereitet sei.

Tatsächlich war dies nicht so, aber das Eigenleben der politischen Richtungsentscheidungen verhinderte lange ein Eingestehen der andersartigen Realität. Es musste mit überhasteten Wareneinkäufen, hauruckartigen Eindämmungsmaßnahmen und einem absoluten Umschwenken der Politik reagiert werden. Nun kann die Politik ihr eigenes Vorgehen nicht moderieren, nicht mehr auf die Bremse drücken, denn um aus der Corona-Verneinung in die Corona-Bekämpfung heraus zu kommen, musste Vollgas gegeben werden. Und nun auf die Bremse zu drücken, traut man sich nicht. Angesicht der negativen Folgen stellt sich bald die Frage: Was ist gefährlicher: Virus oder Regierung?

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