Die Firmen Pfizer und Biontech meldeten am Montag, gemeinsam einen Impfstoffkandidaten entwickelt zu haben, der einen 90-prozentigen Impfschutz gegen eine Infektion mit dem SARS-CoV-2 Virus verspricht. Die Zulassung steht allerdings noch aus, es handelt sich um die erste Auswertung der dritten Phase einer klinischen Studie. Bisher haben sich 94 der Studienteilnehmer mit dem Corona-Virus infiziert. Diese Zahl ist sozusagen der Meilenstein, den sich Biontech und Pfizer gesetzt haben, um die erste Daten der Studie auszuwerten – weitere werden folgen, wenn mehr Teilnehmer sich mit dem Virus infiziert haben. An der Studie nehmen laut Pfizer mehr als 44.000 Personen teil. Um einen Impfschutz zu erreichen, müssen jedoch zwei Dosen verabreicht werden. Nach Firmenangaben könnten bis zum Ende dieses Jahres 50 Millionen Impfdosen produziert werden (also 25 Millionen Personen geimpft werden) – weltweit. Wie viele Impfdosen für Deutschland dabei herumkommen, ist noch nicht klar. Innerhalb des nächsten Jahres sollen 1,3 Milliarden Impfdosen möglich sein. Doch wie lange der Impfschutz anhält und in wie weit er auch vor schweren Krankheitsverläufen schützt, ist noch nicht bekannt.
Wer wird geimpft?
Die Politik propagiert einen Corona-Impfstoff als Erlösung von der Pandemie. Dies ist mindestens fragwürdig. Bisher konnte nur eine einzige im Menschen vorkommende Viruserkrankung durch Impfung ausgerottet werden: die Pocken. Dies zu bewerkstelligen war eine Arbeit von Generationen und eine weltweite Anstrengung, die durch die besonderen Eigenheiten der Pocken begünstigt wurde. So sind die Pocken zum Beispiel nur in Menschen endemisch: Tiere als Zwischenwirte, in denen sich die Krankheit verstecken und anpassen kann, gibt es nicht. Auch besteht nach einer überlebten Infektion eine lebenslange Immunität – und auch der Pockenimpfstoff ist hocheffektiv, um eine Immunität herzustellen.
Doch auch ohne eine Ausrottung einer Virus-Krankheit haben Impfungen für Einzelne wie für die Gesellschaft großen Wert. Die Gefahr eines „Flächenbrands“ von Infektionen, die das Gesundheitssystem überlasten können, kann mit Impfungen zumindest abgeschwächt werden. Risikogruppen können immunisiert werden und wer sich Impfen lassen könnte, es aber nicht tut und dann erkrankt ist selber Schuld: Das Impfen ermöglicht eine Rückkehr zur Selbstverantwortung, die die Politik dem Bürger in diesen Tagen abzunehmen versucht.
Am Montag veröffentlichten die Ständige Impfkommission des Robert Koch-Instituts, der Deutsche Ethikrat und die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina ein gemeinsames Positionspapier mit dem Titel „Wie soll der Zugang zu einem COVID-19-Impfstoff geregelt werden?“.
Dem Papier zufolge befinden sich zur Zeit mehr als 200 Impfstoffe in der Entwicklung, von denen sich „mehrere“ schon in der dritten Phase der Zulassung, der breiten klinischen Studie an Menschen, befinden. Die Autoren gehen davon aus, dass ein Impfstoff schon Anfang 2021 zur Verfügung stehen könnte – die Erfolgsmeldung von Pfizer und Biotech war ihnen noch nicht bekannt.
Steht ein Impfstoff erst einmal zur Verfügung, wird sich ein beträchtlicher Teil der Weltbevölkerung darum bemühen, Zugang zu diesem zu erhalten. Produktionskapazitäten müssen erst einmal aufgebaut oder umfunktioniert werden. Die Bundesregierung hat zwar schon 94 Millionen Dosen Impfstoff vorbestellt – aber welcher der vorbestellten Impfstoffe am Ende wirksam ist, wie schnell er produziert werden kann und in welcher Reihenfolge die Firmen die Vorbestellungen abarbeiten, ist nicht klar. Denn: Wenn alle vorbestellen, hat niemand vorbestellt. Also ist nicht damit zu rechnen, dass in der Anfangsphase jeder Impfwillige sich impfen lassen kann.
Es muss also eine Priorisierung vorgenommen werden. Diese Priorisierung sollte, so das Positionspapier, sich an vier Impfzielen orientieren:
1. Eine Verhinderung schwerer Verläufe und Todesfälle
2. Schutz von Personen, bei denen eine Exposition mit dem Virus wahrscheinlicher ist (z.B. Medizinisches Personal)
3. Verringerung der Ansteckungen in „Umgebungen mit hohem Anteil vulnerabler Personen und in solchen mit hohem Ausbruchspotenzial“, also Altersheimen und Gruppenunterkünften aller Art wie zum Beispiel JVAs, Migrantenheime etc.
4. Aufrechterhaltung staatlicher Funktionen und des öffentlichen Lebens
Nicht alle Impfstoffe können alle dieser Impfziele erreichen: Es gibt solche, die eine komplette Immunität herstellen und so die Ansteckung von Personen verhindern – ein solcher Impfstoff erfüllt alle Impfziele. Doch es gibt auch solche, die nur verhindern, dass eine infizierte Person einen schweren Krankheitsverlauf erleidet – ein solcher Impfstoff erfüllt besonders das erste Impfziel und die anderen nur bedingt.
Als zweite zu priorisierende Gruppe werden die Pfleger von Covid-19-Erkrankten genannt, denn nicht nur haben sie selbst ein erhöhtes Ansteckungsrisiko, sondern es besteht auch die Gefahr, dass sie ihre Patienten gefährden.
Die dritte Priorität ist bei Personen, die in „basalen Bereichen der Daseinsvorsorge und für die Aufrechterhaltung zentraler staatlicher Funktionen eine Schlüsselstellung besitzen“. Erwähnt werden hier ausdrücklich Mitarbeiter der Gesundheitsämter, Polizei, Feuerwehr und Lehrer.
Das Positionspapier empfiehlt, die Verteilung eines Impfstoffs nicht dem Markt zu überlassen, sondern dass der Staat hier direkt eingreifen soll. Auch wenn dies im Positionspapier nicht explizit formuliert wird, ist damit wohl auch eine Steuerung auf Bundes- und nicht auf Länderebene gemeint. Jedenfalls sollen die Impfungen nicht durch die Hausärzte erledigt werden, sondern in staatlichen Impfzentren, denn es ist eine „möglichst einheitliche, transparente und damit vertrauenserweckende sowie akzeptanzsichernde Verteilung geboten.“
Doch es ist ein frommer Wunsch, durch von Bund oder Ländern mandatierte Impfzentren Transparenz, Vertrauen und Akzeptanz sicherstellen zu wollen: In dieser Krise sind die Gesundheitsämter jedenfalls nicht durch effektives Krisenmanagement aufgefallen. Es klingt einfach, Turnhallen in Impfstationen umzuwandeln, in denen die Menschen ungeimpft an einem Ende rein und am anderen Ende geimpft heraus kommen. Doch so einfach werden es sich Regierung, die Ärztekammern und die Verwaltung wohl nicht machen. Irgendwo wird sich ein Engpass von Spritzen, eine störende Datenschutzverordnung oder ein am Schreibtisch eingeschlafener Bürokrat schon finden lassen.
Auch fordert das Positionspapier eine effektive Kommunikation mit der Bevölkerung: „Weiterhin ist es entscheidend, dass Politik und wissenschaftliche Gemeinschaft Impfängsten adäquat begegnen. Vertrauen und Akzeptanz setzen auch hier Transparenz, Information und Kommunikation voraus“. Hier ist nur auf die Krisenkommunikation der Bundesregierung zu verweisen, die innerhalb kürzester Zeit zwischen den Extremen von „Mundschutz ist nicht notwendig, weil der Virus gar nicht über den Atem übertragbar ist“ (Jens Spahn) und Ausgangsbeschränkungen pendelte.
Aber am Ende wird noch einmal festgehalten, dass auch ein Impfstoff keine Normalisierung verspricht: „Die Verfügbarkeit von Impfstoffen ersetzt die Vorbeugung durch Hygienemaßnahmen nicht und dies insbesondere, solange die Impfquoten niedrig sein werden und Daten zu Ausmaß und Dauer des Schutzes nach Impfung fehlen.“
Das Robert Koch-Institut meldet mittlerweile fast 228.000 aktive „Corona-Fälle“ – also Personen, die innerhalb der letzten zwei Wochen positiv auf das Virus getestet wurden und in der Zwischenzeit nicht verstorben sind. Personen, die vor mehr als zwei Wochen als „Corona-Fall“ gemeldet wurden, aber aufgrund einer Covid-19-Erkrankung im Krankenhaus liegen, werden ebenfalls als aktiver Fall gezählt. In der Woche zum 1. November waren es noch 166.000. Es wird eine deutschlandweite 7-Tages-Inzidenz von 136 Fällen pro hunderttausend Einwohnern gemeldet.
In der Woche bis Sonntag wurden 808 Corona-Todesfälle gemeldet. Wie aus der obigen Grafik ersichtlich wird, steigen die täglich gemeldeten Fallzahlen schon seit längerer Zeit kontinuierlich an. Die Hoffnung der letzten Monate, dass sich die Zahl der gemeldeten „Corona-Fälle“ und der Todesfälle komplett entkoppelt habe, ist enttäuscht worden. Trotzdem bleibt die Zahl der Todesfälle im Vergleich zur Inzidenz reduziert, wenn man die Todesfälle und Inzidenz mit den Werten des Frühjahrs vergleicht. Das liegt vor allem daran, dass aufgrund der massiv ausgebauten Testkapazitäten die Inzidenz nicht ohne Weiteres zwischen den Monaten vergleichbar ist.
Der Anstieg der Todesfälle ist auf die steigende Zahl älterer Personen, die sich infizieren, zurück zu führen. So meldet das RKI in der Altersgruppe der 60-Jährigen und Älteren eine 7-Tages-Inzidenz von 92 Fällen pro Hunderttausend. In der Woche zum Sonntag den 1. November, betrug diese Inzidenz noch 75 Fälle.
Wie ist die Lage in den Krankenhäusern?
Zum Montag meldete das DIVI-Intensivregister 3.005 Fälle in intensivmedizinischer Behandlung. Davon werden 1.688 Personen invasiv beatmet. Es werden fast 8.400 freie Intensivbetten gemeldet. Das sind fast 400 Betten mehr als noch letzte Woche. Doch diese Vergrößerung der Kapazität der freien Betten liegt nicht an einer Ausweitung der verfügbaren Bettenzahl. Stattdessen werden weniger Betten mit Nicht-Corona-Patienten belegt. Waren im Oktober in den meisten Wochen die zwischen 21.400 und 21.500 Intensivbetten belegt (Anfang des Monats sogar fast 22.000), sind es mittlerweile nur noch 20.970 Betten, die belegt sind. Die Krankenhäuser scheinen also Intensivbetten gezielt freizuhalten, indem Operationen verschoben werden – oder aber die Menschen vermeiden die Notaufnahmen aus Angst, sich anzustecken. Das war auch im Frühjahrs-Lockdown zu beobachten. Die 7-Tages-Notfallreserve von 12.400 Betten bleibt bisher jedenfalls unangetastet. Die Zahl der in intensivmedizinischer Behandlung befindlichen Personen könnte sich zur Zeit noch verdoppeln, bevor die Aktivierung dieser Reserve nötig werden könnte.