„Jeden Morgen setzt sich ein Sanitätsinspektor im polnischen Breslau ins Auto und steuert dies ins 270 Kilometer entfernte Dresden – an Bord bis zu 200 extra gesicherte Abstrichproben von möglichen Corona-Infizierten“, berichtet MDR-Journalistin Constanze Hertel.
Die Coronavirustests analysiert das Labor des Instituts für medizinische Mikro-Biologie und Hygiene der medizinischen Fakultät Dresden. Um zehn Uhr morgens treffen die Proben ein, und schon am frühen Abend werden die Ergebnisse nach Polen übermittelt, bestätigt Institutsdirektor Professor Alexander Dalpke. Bis zu 900 Test pro Tag sind in seinem Labor möglich. Jedenfalls mehr als in der Dresdner Region benötigt. Die Labors im polnischen Niederschlesien haben erst später angefangen, sich auf die Corona-Krise einzustellen. Sie können deswegen nur 800 Proben pro Tag abarbeiten. In Polen beträgt die Wartezeit auf das Testergebnis bis zu vier Tage. Informationen aus Dresden sollen hingegen bereits etwa drei Stunden nach Erhalt der Proben vorliegen.
Die Nachbarschaftshilfe sei für das Dresdner Institut eine Selbstverständlichkeit. Die Krise mache ja an Ländergrenzen nicht halt und das sei jetzt „eine sinnvolle Kooperation“, erklärt Institutsdirektor Dalpke dem MDR. Die Sachsen seien gerne bereit hier einzuspringen.
Neureiche Region Polens muss nichts zahlen
Das ist toll. Aber eine teure Einbahnstraße, wie sich im MDR-Bericht noch herausstellen wird. Sicher ist die Sachsen-Hilfe in Corona-Zeiten okay, aber wer bezahlt diese solidarische Dienstleistung eigentlich?
Die Antwort darauf verwundert nicht. Sie fällt unter die beliebte Form der EU-Arbeitsteilung: Europa ist schön, wenn Deutschland zahlt. Denn die Kosten von gut 400.000 Euro trägt die sächsische Staatskanzlei für die Partnerregion Niederschlesien auf der polnischen Seite.
Sachsens Nachbarschaftshilfe bei vorhandenen Kapazitäten ist ja schön und gut, doch der sächsische Steuerzahler fragt sich jetzt zu Recht: Warum kann eine wirtschaftlich reiche Region rund ums aufstrebende Breslau diesen Solidaritätsservices nicht wenigstens selber bezahlen? Breslau ist eine moderne Boomtown mit Hightech-Firmen aus aller Welt. Die Arbeitslosigkeit geht gegen null. Die Miet- und Kaufpreise für neue Wohnungen haben in der City vielerorts Berliner Hauptstadtniveau. Der hart arbeitende sächsische Steuerzahler kann über diese kostenlose Einbahnstraßenhilfe nur den Kopf schütteln.
Denn Polen ist eines der stark boomenden Länder in Europa. Die Arbeitslosenquote lag laut Eurostat Ende 2019 bei 3,4 Prozent. In Polen herrscht faktisch so gut wie Vollbeschäftigung – die beste Lage auf dem Arbeitsmarkt seit dem Umschwung 1989 und eine der besten im innereuropäischen Vergleich.
Das ist kein Wunder: Denn der größte Netto-Empfänger von Geldern aus dem EU-Haushalt ist mit großem Abstand Polen mit durchschnittlich 10,7 Mrd. Euro pro Jahr. Ein großer Teil davon ist bekanntlich deutsches Steuerzahlergeld. Denn Deutschland überwies nach Angaben der EU-Kommission zuletzt 13,5 Milliarden Euro mehr pro Jahr nach Brüssel, als von da direkt zurückfloss. Die Bundesregierung befürchtet jetzt sogar eine Beitragssteigerung auf gut 30 Milliarden Euro bis 2027.
Und so gut aufgestellt kann ein so neureiches Land wie Polen nicht einmal eine solidarische Nachbarschaftshilfe in Sachsen bezahlen?
Was Sachsen kann, kann der Bund natürlich auch
Beim Geld ausgeben für Nachbarschaftshilfe zeigt sich natürlich auch der Bund großzügig. Die Begründung ist auch schnell da: „Europa steht auch in Krisenzeiten zusammen“, verkündete heute Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) vor einer Sitzung des Corona-Kabinetts. Deutschlands Krankenhäuser versorgten auf ihren Intensivstationen bereits mehr als 200 schwerkranke Corona-Patienten aus europäischen Partnerländern. Man sei bereit und in der Lage, weitere aufzunehmen. Die Kostenübernahme ist natürlich auch selbstverständlich. So müssen wohlhabende Länder wie Frankreich, Niederlande und Italien für ihre Corona-Patienten in deutschen Kliniken nichts zahlen. Die Kostenübernahme von rund 20 Millionen Euro übernimmt der Bund. Eine entsprechende Gesetzesänderung soll zunächst bis Ende September gelten.
Keine Nachbarschaftshilfe für kleine deutsche Unternehmer
Wie unsolidarisch in Mitteldeutschland in der Corona-Krise hingegen mit heimischen Kleinunternehmern umgegangen wird, zeigt leider dieser Fall: „Fährmann geht wegen Corona unter“, titelte die Bild-Zeitung auf Seite 6 am Samstag. An der Elbe-Fähre bei Prettin im Landkreis Wittenberg (Sachsen-Anhalt) gibt es kaum noch Berufspendler und Touristen. In mancher Schicht nimmt Fährmann Jürgen Kollin keine 100 Euro ein. „Das reicht nicht mal für die Pacht, ich sehe keine Zukunft mehr“, gesteht er. Er hat jedoch einen Fährvertrag mit der Stadt Annaburg, mit dem er jetzt seinen Lebensunterhalt nicht mehr verdienen kann. Er habe die Stadt-Verwaltung um eine Reduzierung der Fährzeiten und Pacht gebeten. Doch die vom Steuerzahler alimentierten, öffentlichen Bediensteten mit ihren abgesicherten Arbeitsplätzen zeigten sich eiskalt. Die wollten den um seine Existenz kämpfenden Fährmann lediglich die halbe Pacht stunden, schreibt Bild. Auf Nachfrage der Zeitung verwies die Stadt auf „laufende Verträge“, die vom Fährmann einzuhalten seien. Die Konsequenz dieses staatlich organisierten Ruins: „Ich suche einen Nachfolger, dann steige ich aus“, sagte 52-jährige Fährmann Kollin.
Kostenlose Corona-Nachbarschaftshilfe für Polen, Niederländer, Franzosen und Italiener ist selbstverständlich, aber für kleine deutsche Unternehmer in Not nicht. So sieht real existierende Solidarität nach Art der EU offenbar aus.