Tichys Einblick
Ergebnisse des Corona-Gipfels

Status Quo beim Lockdown, Merkel fällt in den drei wichtigsten Punkten durch

Merkel wollte 15 km Radius und Ausgangssperren quasi für alle - damit konnte sie sich trotz teils brachialer Rhetorik nicht durchsetzen. Auch in der Schuldebatte zieht sie den Kürzeren. Der Lockdown bleibt dennoch bestehen - mit seinen verheerenden Folgen und seinem beschränkten Nutzen.

imago images / Stefan Zeitz

Erneut hat der Corona-Gipfel deutlich länger gedauert als erwartet – doch spät am Abend präsentiert Angela Merkel die Ergebnisse. Es sei „hart“, was man den Menschen noch einmal zumute, erklärt die Kanzlerin.

Entgegen der Realität von sinkenden Zahlen in den Krankenhäusern und zunehmenden Zweifeln an der Wirksamkeit des Lockdowns will man keinen Strategiewechsel unternehmen. Der Lockdown wird bis zum 14. Februar verlängert. Immerhin: Merkel wollte beim Gipfel drastische Verschärfungen durchpeitschen (15 km Radius und Ausgangssperre de facto bundesweit) – damit ist sie gescheitert, beide Punkte wurden ersatzlos gestrichen. Dann brach eine Diskussion über die Schule los, viele  Ministerpräsidenten wollten hier deutlich in Richtung Normalität gehen. Merkel wollte eine pauschale Schulschließung durchsetzen – auch hier ist sie gescheitert. Die Länder dürfen die Schulen prinzipiell offen halten.

Die Beschlüsse im Überblick:

Vorschläge des Bundes, die abgelehnt wurden:


18:30: Gravierende Verschärfungen vom Tisch – Merkel rudert und setzt immer absurdere Maßstäbe

Die Verhandlungen gestalten sich mittlerweile zäh, wie aus Teilnehmerkreisen berichtet wird. Das Thema Schulen soll nun, wegen zu großer Uneinigkeit, nach hinten verschoben und später am Tag besprochen werden. Insbesondere Niedersachsen und Hessen mussten sich wohl einiges von der Kanzlerin anhören: Die Schulen sollten jetzt am besten länger dicht bleiben, meint Merkel, anstatt dass Modelle wie Wechselunterricht weiter verfolgt werden. Mehrere Landeschefs beharren aber auf der Öffnung der Grundschulen.

Die Ministerpräsidenten haben Merkel den Weg zugemauert, sie musste ihre gravierendsten Vorschläge von 15 km Radius und Ausgangssperren zurückstellen.  Dafür wird sie wohl rhetorisch immer aggressiver. Wie die BILD berichtet, holt sie jetzt sogar den R-Wert wieder aus der Mottenkiste und gibt ein neues Ziel aus: Ein R-Wert von höchstens 0,6. Bedeutet: Merkel will, dass ein Corona-infizierter statistisch nur noch 0,6 Personen ansteckt. Eine utopische Zahl, die nicht mal im Sommer erreicht wurde. Jetzt soll sie die Maßgabe für den Winter sein, wenn es nach Merkel geht. Dabei empfiehlt selbst das RKI lediglich einen anzustrebenden R-Wert von 1. Ein Zeichen, dass die Kanzlerin ins Schwimmen kommt: Von einem solchen R-Wert war im Vorfeld nie die Rede. Um ihn zu erreichen, müsste ein Lockdown in bisher ungekannter Härte her. Man bekommt den Eindruck, die Kanzlerin würde die Bürger am liebsten einfach in Fünfergruppen einmauern – wenn das nicht die Kontrollen des Ordnungsamts erschweren würde.

Die Kanzlerin posaunt derweil, wie die BILD weiter zitiert, in der Video-Schalte: „Ich wollte eigentlich, dass wir besser durch die Pandemie kommen.“ Kapitän Smith auf der Titanic erklärt, dass er eigentlich auf eine Eisberg- und Havariefreie Fahrt gehofft hatte – aber wer hat denn den Kurs festgelegt und zu wenig Rettungsboote besorgt? Die größten Versäumnisse der Pandemie sind immer wieder auf die Bundesregierung zurückzuführen. Vergeigte Teststrategie, nicht beschaffte Schnelltests, Impfstart verbockt: Auf all diesen Versäumnissen steht „Bundesregierung“ und damit „Merkel“ drauf. Doch das „wir“ soll wohl die SPD und die Landesregierungen zurück ins sinkende Boot holen.

Die Kanzlerin soll immer dünnhäutiger und aggressiver werden. Die Lage scheint angespannt, Merkel schlingert.

Beschlossene Maßnahmen:

Offene Maßnahmen:

Maßnahmen, die zurückgezogen wurden:


16:00 – Verlängerung beschlossen, Verschärfung offen, Merkel unbeirrt

Der Corona-Gipfelt läuft seit 14:00 – Merkel und das Kanzleramt drängen weiter auf massive Verschärfungen – wider jede epidemiologische Realität und Verhältnismäßigkeit. Der aktuelle Entwurf will unter anderem de facto zeitlich unbegrenzte Ausgangssperren, Schulschließungen und eine Homeoffice-Pflicht. Ursprünglich müssen die Ideen des Kanzleramts noch weiter gegangen sein, wurden jedoch wohl in einem Treffen zwischen Merkel, Scholz, Müller und Söder „abgeschwächt”. In Reaktion auf massive Kritik aus den Ländern sollen einige Vorschläge, wie die Ausgangsbeschränkungen und die Schulschließungen, nun in Klammern gesetzt worden sein.

Viele, vor allem SPD-Ministerpräsidenten wollen der Kanzlerin bei ihrem Mega-Lockdown dazwischen grätschen. Vor allem beim Schulthema scheint es Widerstand zu geben. Die Kritik ist oft auch nicht inhaltlich begründet, sondern betrifft die Vorgehensweise und Merkels autoritären Stil. Einige Ministerpräsidenten fordern mehr regionale Selbstbestimmung oder ein einheitliches Ampelsystem statt panisch angesetzter Corona-Gipfel. Ob Merkel sich tatsächlich mit ihrem Wahnsinnsplan durchsetzen kann – das erscheint jetzt wenigstens offen.

Sie scheint aber fest entschlossen zu sein, aufs Ganze zu gehen. Laut BILD eröffnete die Kanzlerin die Runde mit einem eindringlichen Appell: „Gehen wir auf Nummer Sicher oder gehen wir auf Nummer Unsicher?“

Bereits beschlossene Maßnahmen sind:

Jetzt zur Diskussion stehenden Maßnahmen sind:


12:15: Merkels Beschlussvorlage bekommt Gegenwind

Wenn die Bundeskanzlerin heute mit ihren massiven Nachschärfungen (Details siehe unten) scheitert, wird es vermutlich vor allem an der SPD liegen. Manuela Schwesig stellte bereits in einer SPD-Ministerpräsidentenkonferenz klar, sie wolle ohne ausreichende Fakten keine weiteren Verschärfungen vertreten, und auch Niedersachsen-MP Stephan Weil schloss bereits im Vorfeld der heutigen Konferenz eine nächtliche Ausgangssperre aus: Bei einer in Niedersachsen landesweiten Inzidenz von unter 100 halte er dies nicht für gerechtfertigt. Der Kanzlerinnen-Entwurf sieht jedoch Ausgangsbeschränkungen ab einem Inzidenzwert von 50 vor.

Jetzt hat sich auch Berlins Regierender Bürgermeister Müller seinen Genossen angeschlossen. Der Vorsitzende der Ministerpräsidentenkonferenz, der bereits in der Vergangenheit heftig mit Merkel aneinandergeraten war, erteilte bundesweiten Ausgangssperren eine Absage. Vom Corona-Rebellen ist er jedoch weit entfernt: Ihm geht es weniger um die Maßnahmen an sich, als um die Zuständigkeit der Länder, die er gewahrt sehen will. Auch der Idee einer Homeoffice-Pflicht, die in der SPD lautstark vertreten wird, schloss sich Müller an. „Das tut richtig weh, weil wir natürlich auch wissen, in welcher Situation die Unternehmen sind.“ Doch sein Schmerzempfinden hält das anscheinend aus – „richtig wehtun“ wird es ja am Ende sowieso nur Unternehmern und Beschäftigten, die auf kurz oder lang unter der Lockdownpolitik leiden werden, wenn sie es nicht schon jetzt tun. Die Sozialdemokraten wollen das Lockdown-Leid wahrscheinlich umverteilen: Die Unternehmer sollen die bittere Pille schlucken.

Trotzdessen wird der Kreis der Merkel-Unterstützer in den Reihen der Ministerpräsidenten immer kleiner. Ob die SPD-Ministerpräsidenten geschlossen gegen die Ideen der Kanzlerin stehen werden, ist zwar dank Kanzlertreuen wie Malu Dreyer oder Dietmar Woidke eher unwahrscheinlich – aber selbst Bayerns Lockdown-Hardliner Markus Söder tritt mittlerweile auf die Bremse, sprach sich gestern gegen Verschärfungen aus.


11:00: Merkels Beschlussvorlage – 15 km Radius und Ausgangssperren quasi für alle

Angela Merkel will auf der heutigen Corona-Konferenz die Mega-Verschärfung der Maßnahmen durchsetzen. Ein Kanzleramtsentwurf für die Runde mit den Ministerpräsidenten sieht nicht nur die Verlängerung der Maßnahmen bis zum 15. Februar vor, sondern fordert auch eine Reihe an Neuerungen.

Neben der schon als sicher geltenden Pflicht für medizinische oder FFP2-Masken fordert der Entwurf eine radikale Reduzierung des Personenaufkommens im Öffentlichen Nahverkehr. Die Menge an Fahrgästen und Bahnen sollen ein Drittel der „üblichen Fahrgastzahlen“ nicht überschreiten. Auch die Wirtschaft darf sich auf Verschärfungen einstellen. Was gestern bereits bekannt war, gilt nun als bestätigt: Geht es nach der Bundesregierung, soll Homeoffice zur Pflicht werden. Im Arbeitsministerium plane man eine Verordnung, die Arbeitgeber überall, wo es möglich ist, zur Ermöglichung der Arbeit von Zuhause aus zwingt – sofern es die Tätigkeiten „nach ihrer eingehenden Prüfung“ zulassen. Für Arbeitsbereiche auf engem Raum oder ohne ausreichende Lüftung sei ebenfalls eine Maskenpflicht auf FFP2-Standard geplant.

Auch die Schulen sind von Merkels Coronaplänen betroffen. Der Kanzleramtsentwurf betont zwar verbal, dass Kitas und Schulen „höchste Bedeutung für die Bildung der Kinder und die Vereinbarung von Familie und Beruf hat“. Diese hohe Bedeutung wird aber anschließend wieder direkt aus dem zu Lüftungszwecken weit geöffneten Fenster geworfen, denn es gäbe „Hinweise“, dass die Corona-Mutante sich stärker unter Kindern und Jugendlichen verbreitet. Neues Virus, altes Argument – welche Hinweise? Daher sollen die Schulen für die Dauer des verlängerten Lockdowns, bis zum 15. Februar, geschlossen bleiben. Der Entwurf impliziert außerdem, Schulen bei einem Inzidenzwert über 50 grundsätzlich geschlossen zu halten.

Die magische 50 ist nach wie vor Merkels Leitfaden. In Ländern und Landkreisen, die bis zum 15. Februar diese Marke „absehbar“ nicht unterschreiten können, sollen „insbesondere Ausgangsbeschränkungen und/oder die Einschränkung des Bewegungsradius auf 15 km um den Wohnort“ gelten. Im Klartext heißt das, wenn man es ernsthaft umsetzt: Bewegungsradius und Ausgangssperren für alle, denn bis zum 15. Februar kann quasi kein deutscher Landkreis unter 50 kommen.

Insbesondere der letzte Punkt könnte für reichlich Unmut bei Ministerpräsidenten sorgen. Um 14:00 treten Merkel und die Länderchefs zur Videoschalte zusammen – wir halten Sie auf dem Laufenden.


Lesen Sie hier das ganze Dokument:

Beschlussvorlagecg1901


Von Max Roland und Air Türkis. 

Anzeige
Die mobile Version verlassen