Tichys Einblick
Warum die Opferzahlen so unterschiedlich sind

Corona: ein Vergleich der italienischen und der deutschen Erkrankten

Bei 74.000 Corona-positiv getesteten Italienern sind 7.500 Opfer zu beklagen, wärend es in Deutschland bei 31.000 Positiv-Getesteten 149 vom Robert-Koch-Institut bestätigte Opfer gibt. Woran das liegen könnte, erklärt ein Vergleich der Erkrankten.

Coronavirus in Bergamo - mural, depicting nurse embracing Italy, posted on the hospital of Pope John XXIII in solidarity with the health workers

imago images / Independent Photo Agency Int.

Vor einigen Tagen veröffentlichte das italienische „Instituto Superiore di Sanità“, das dem italienischen Gesundheitsministerium untersteht, einen wenig beachteten Bericht über Corona-positiv getestete und verstorbe Personen in Italien.

Im Rahmen des Berichtes wurden 3.200 Todesfälle untersucht, welche mit dem Corona-Virus in Verbindung stehen. Als ein Tod, der mit Covid-19 in Verbindung steht, wurden solche Patienten definiert, die auf den Virus SARS-CoV-2 positiv getestet wurden und verstarben, unabhängig von der Todesursache oder einer eventuell vorher bestehenden anderen Erkrankung. Der größte Teil der untersuchten Fälle kam aus der Lombardei (68%, oder 2.175 Fälle).

Quelle: „Characteristics of COVID-19 patients dying in Italy„, des Instituto Superiore de Sanità

Das mediane Alter der Toten im Zusammenhang mit Covid-19 betrug 80 Jahre, das durchschnittliche Alter betrug 78,5 Jahre. Der Unterschied der beiden Zahlen ergibt sich aus den Unterschieden zwischen Median und Durchschnitt. Der jüngste der Verstorbenen in der Untersuchung war 31 Jahre alt, der älteste 103. Interessant ist auch das Median-Alter der an Covid-19 Erkrankten: 63 Jahre.

In Deutschland liegt laut Robert-Koch Institut der Alters-Median der Erkrankten bei 47 Jahren, dies erklärt auch die deutlich geringere Mortalität in Deutschland: Jüngere sind gesundheitlich robuster. Weiterhin liegt der Alters-Median der Verstorbenen in Deutschland bei 83 Jahren, also recht nah am italienischen; die besonders betroffenen Gruppen in beiden Ländern ähneln sich also. Die Alters-Spanne der vom RKI untersuchten Verstorbenen liegt zwischen 42 und 100 Jahren. Dass der Großteil der Patienten in Deutschland jünger ist als in Italien, erklärt zumindest zum Teil warum es hier „nur“ 149 vom RKI bestätigte Todesfälle von Corona-positiv Getesteten gibt. Die Johns Hopkins Universität, die in der Regel über aktuellere Daten verfügt, meldet 206 Tote.

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Das jüngere Alter der deutschen Corona-Fälle ist dadurch zu erklären, dass sich viele der bis jetzt gemeldeten Fälle im Ausland angesteckt haben: Insgesamt haben 8.329 Corona-positiv getestete angegeben, sich im Ausland infiziert haben zu können – das ist ein nicht insignifikanter Bruchteil der gut 30.000 Corona-positiv Getesteten in Deutschland. Das Land, das dabei an meisten genannt wird, ist Österreich mit 6.031 Fällen, davon allein 2.229 aus Tirol. Weitere 1.336 gaben an, sich in Italien infiziert haben zu können.

Es sind also in vielen Fällen die Mobilen, meist Jüngeren, die infiziert wurden. Beim Ski-Fahren, auf Dienstreisen und Urlauben kam man in Kontakt mit einem Erkrankten. Die Älteren kommen erst noch dran, und mit steigendem medianen Alter der Erkrankten wird auch die Sterblichkeit steigen.

Der Unterschied: Median und Durchschnitt

Der Durchschnitt ist ein arithmetisch errechneter Mittelwert. Wenn eine getestete Gruppe aus drei Personen besteht, die 15, 40 und 105 Jahre alt sind, so ist das durchschnittliche Alter der Gruppe 53,3 Jahre. Der Durchschnitt kann jedoch von extremen Ausreißern (wie hier dem 105-Jährigen) verzehrt werden, weswegen in Situationen in denen solche statistische Außreißer nicht bereinigt werden können, oft der Median Anwendung findet. Der Median beschreibt den Wert einer Zahlenreihe, der genau in der Mitte aller Werte steht, wenn man alle Werte der Zahlenreihe der Größe nach sortiert. In dem hier aufgeführten Beispiel ist der Median 40 Jahre. Der Median ist weniger anfällig für Verzerrungen durch einige extreme Abweichungen (wie zum Beispiel eine kleine Anzahl ungewöhnlich alter oder junger Patienten), jedoch weniger präzise als der Durchschnitt.

Vorerkrankungen: Der entscheidende Faktor

Die italienische Studie untersucht auch den Zusammenhang zwischen Mortalität und Vorerkrankungen. Dazu lagen für 481 Patienten Informationen vor. Die häufigste Vorerkrankung (73,8% der Gruppe) war Bluthochdruck: Doch dies ist von einer Patientengruppe mit einem Median-Alter von 80-Jahren zu erwarten – denn laut Berliner Charité haben 70-80% aller über 70-Jährigen (Deutschen) einen erhöhten Blutdruck.

33,9% der verstorbenen Covid-19 Patienten hatten Diabetes, weitere 30% hatten eine Herzkrankheit. Insgesamt hatten sechs der 481 Verstorbenen keine Vorerkrankung (1,2%), immerhin 234 (48,6%) hatten drei oder mehr Vorerkrankungen.

Es sterben also nicht nur solche mit Vorerkrankungen, wobei die Mortalität bei Personen mit mehreren Vorerkrankungen jedoch deutlich höher liegt als bei anderen.

In der italienischen Studie waren 70,6% der verstorbenen Männer, 29,4% Frauen. In Detuschland ist es ähnlich: 65,1% der Verstorben sind Männer, 34,9% sind Frauen. Womit diese Ungleichheiten begründet werden können, geht nicht aus den Berichten hervor. Inwiefern bei den in Deutschland Verstorbenen Vorerkrankungen, beziehungsweise Komorbiditäten, vorliegen, geht aus dem RKI Bericht nicht hervor.

Die Jungen und das Corona-Virus

In Italien sind bis zum 20. März 36 von 3.200 unter 50-jährigen Corona-positiven Patienten gestorben. Neun von ihnen waren unter 40 Jahre alt, der jüngste 31. Für zwei von ihnen liegen keine Daten zu Vorerkrankungen vor, die übrigen sieben hatten verschiedene schwerwiegende Vorerkrankungen wie Diabetes, Herzkreislauferkrankungen und Fettleibigkeit. Es sollte jedoch auch bei den Jüngeren beachtet werden: Nur ein kleiner Teil der schwer Erkrankten stirbt. Das verhindert aber nicht unbedingt, dass man in ein Krankenhaus eingeliefert werden muss. Die Jungen sind also nicht so sicher, wie zu Beginn der Pandemie oft behauptet wurde.

Meist ist der Krankheitsverlauf schnell: in Italien trat der Tod in der Regel acht Tage nach Auftreten der ersten Symptome auf; eine Einweisung in das Krankenhaus erfolgte meistens vier Tage nach Auftreten der Symptome.

Insgesamt zeigt sich: Es gibt grundlegende Differenzen in der Struktur der bekannten Corona-Fälle in Deutschland und Italien, die zumindest zum Teil erklären, warum in Italien ungleich mehr Corona-Infizierte gestorben sind als in Deutschland.

Auserdem muss man beachten, dass in Deutschland mehr Intensivbetten und Beatmungsgeräte zur Verfügung stehen als in Italien: Laut Deutscher Krankenhaus Gesellschaft gab es schon vor der Krise in Deutschland 28.000 Intensivbetten, davon 20.000 mit Beatmungsgerät – bei 82 Millionen Einwohnern. In Italien gab es laut NTV vor der Krise gut 5.000 Intensivbetten – bei 60 Millionen Einwohnern. Folglich stehen mehr Kapazitäten pro Einwohner bereit, womit die absolute Überforderung des Gesundheitssystems wenigstens hinausgezögert, wenn nicht ganz verhindert, werden kann.

»You must stay at home«
Boris Johnson: späte Ausgangssperre
In Deutschland muss die ältere Bevölkerung konsequent vor der Ansteckung geschützt werden, um Opferzahlen wie in Italien zu vermeiden. Die bisher beschlossenen Maßnahmen der Regierung scheinen dafür gut geeignet. Spätestens wenn Ausgangsbegrenzungen und Kontaktverbote gelockert werden, muss jedoch sichergestellt werden, wie man diese besonders gefährdete Risikogruppe in Deutschland weiterhin schützen kann. Hier gibt es schwierige Fragen, die beantwortet werden müssen. Besuchsverbote in Altenheimen zum Beipiel treffen bei weiten Teilen der Bevölkerung auf Akzeptanz – doch für wie lange? Auch Ausgangssperren und Versammlungsverbote verschiedener Form – ob man sie nun „Ausgangsbegrenzungen“ oder „Kontaktverbote“ nennt – sind nur für eine gewisse Zeit aufrecht zu erhalten. Doch was sie geben, ist Zeit: Zeit um Therapien zu finden, Zeit um dringend benötigtes Schutzmaterial heran zu schaffen, Zeit um langfristige Strategien zu entwickeln, wie mit Epidemien wie dem Coronavirus in Zukunft umgegangen werden soll.

Schließlich noch ein Hinweis zu den Daten: Das Robert-Koch-Institut veröffentlicht Fallzahlen in Deutschland meist mit einem Verzug. Daher findet man bei anderen Quellen – auch bei TE – oft höhere Fall- und Todeszahlen. Da jedoch hier aus einem Robert-Koch-Istitutsbericht zitiert wird, werden die Zahlen des RKI verwendet.

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