Tichys Einblick
COVID-19 UND KEIN ENDE

Corona-Dauerwelle: Die Politik ist ratlos

Corona bewegt sich wie eine Walze durch die Republik und breitet sich vom Südosten, also Bayern und Sachsen, Richtung Nordwesten aus. Diese regionalen Dynamiken sind offenbar nicht wirklich politisch beherrschbar oder auch nur zu erklären.

imago Images/MiS

Offenbar lässt sich das Virus nicht so einfach durch politische Maßnahmen oder Verlautbarungen kontrollieren. Man denke nur an das „Team Vorsicht“ von Bayerns Ministerpräsidenten Söder. Am 23. März 2021 twitterte Söder nach der Ministerpräsidentenkonferenz: „Klare Linie, klarer Kurs: Das Team Vorsicht hat sich durchgesetzt.“ – Zumindest galt das dann noch für den Sommer.

Hieß die Wortschöpfung eine Zeitlang noch „Umsicht und Vorsicht“, so wurde in Bayern Anfang September dieses Jahres daraus „Freiheit und Eigenverantwortung“. Die neuen Corona-Regeln, wie OP-Masken statt FFP2 oder Wegfall von Kontaktbeschränkungen sowie Krankenhausampel galten in Bayern als „Strategiewechsel“.

Auch das Wording „Freiheit und Verantwortung“ hatte nur eine begrenzte Halbwertszeit. Inzwischen ist in Bayern „Land unter“. Knapp 30 schwer kranke Covid-19-Patienten wurden Ende November in andere Bundesländer ausgeflogen. 68,7 Prozent sind in Bayern inzwischen vollständig geimpft. Die 7-Tage-Inzidenz lag zuletzt landesweit bei 645, aktuell liegt sie bei 561, in regionalen Hotspots über 1.000. Zur Erinnerung: Bayern verzeichnete am 20.Dezember 2020 den damaligen Höchststand von 217,8.

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Unlängst sollte künftig anstelle des Inzidenzwerts die Auslastung der Kliniken als Maßstab für Regel-Verschärfungen gelten, also die sogenannte Krankenhausampel. Heute ist es wieder der Inzidenzwert, weil die Hospitalisierungsrate eine zu geringe Aussagekraft hat. Aber die Inzidenz hat im Grunde auch eine geringe Aussagekraft, zum Beispiel: die „350“, die neuerdings als Messlatte gilt für die Schließung von Bars und Diskotheken. Was wiederum eine willkürliche Messlatte ist, denn sie wird von der Politik als „Mindeststandard“ definiert. Und jedes Bundesland kann davon abweichen, entweder nach oben oder unten. Es ist ein ewiges Hü und Hott. Heute so, morgen so.

In Sachsen sieht es nicht besser aus. Die Inzidenz liegt landesweit mit Stand 2. Dezember bei 1224,7, in einigen Hotspots weit darüber, der Landkreis Mittelsachsen etwa bei 2062,5. Auch Thüringen überschreitet die 1000er-Marke, der Landkreis Saalfeld-Rudolstadt liegt bei 1614,5.

Die Corona-Walze zieht indessen weiter in den Westen. Kurze Übersicht: Im Bundesland Nordrhein-Westfalen liegt die Inzidenz bei 288,1; in Köln bei 450. In Hotspots wie Siegen-Wittgenstein liegt der Wert bei 520,7, in Waldeck-Frankenstein bei 391,7.

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Das Saarland liegt bei 408,5. Rheinland-Pfalz registriert 322,1 Infektionen auf 100.000 Einwohner innerhalb von sieben Tagen, das Saarland 408,5, Emsland 563,7. Schleswig-Holstein registrierte Anfang Dezember 151 landesweit und liegt somit bundesweit am niedrigsten. Bremen (Stadtgemeinde Bremen) hat eine Inzidenz von 227,5 bei einer Impfquote von 68,7 Prozent.

Die regionale Verbreitung lässt sich politisch nicht erklären. Auch nicht epidemiologisch. In Bayern mag die Nachbarschaft zu Österreich und Tschechien eine Rolle spielen (Tschechien: 7-Tage-Inzidenz bei 1223, Impfquote knapp 60 Prozent; Österreich: Neuinfektionen innerhalb von 7 Tagen 778, Impfquote 66 Prozent).

Zu Beginn der Pandemie breitete sich das Virus ähnlich vom Süden in den Norden aus. Der erste Fall mit dem Coronavirus trat Ende Januar 2020 in Bayern beim Autozulieferer Webasto in Bayern auf, er hatte sich bei einer aus China eingereisten Kollegin angesteckt. Die Welle breitete sich rasch aus. Die Kreisstadt Heinsberg in Nordrhein-Westfalen wurde nach einer Karnevalsfeier der erste große Corona-Hotspot in Deutschland.

Ende März 2020 gab es den ersten bundesweiten Lockdown. Im Mai gab es eine „Lockerungsphase“; die Bundesländer bekamen Verantwortung für Lockerungen und eine Obergrenze für regionale Lockdowns (bei einer Inzidenz von über 50!). Anfang April wurde eine bundesweite Inzidenz von 43,9 erreicht.

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Anfang November 2020 folgte dann ein „Lockdown light“. Kontaktbeschränkungen sollten helfen, die Infektionszahlen vor Weihnachten zu verringern, was unter dem Strich nicht gelang. Es wurde weiter verschärft – bis hin zu einem harten Lockdown. Im Mai 2020 einigten sich Bund und Länder auf eine neue Zahl: 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner innerhalb von sieben Tagen sollte die Obergrenze für harte regionale Maßnahmen sein.

Dritte Welle im März 2021: Bund und Länder erklärten eine 7-Tage-Inzidenz von 35 als Ziel für Lockerungen. Später wurden stufenweise Lockerungen beschlossen und eine Notbremse bei einer 100er-Inzidenz. Es folgten als zentrale Maßnahmen die sogenannte Bundes-Notbremse, die von Ende April bis Ende Juni galt – darunter Schulschließungen.

Inzwischen liegen wir – wie skizziert – ganz weit oberhalb einer solchen Inzidenz. Die Politik wirkt wie eine getriebene Herde. Sie ist nicht nur ratlos, sie ist verzweifelt. Helfen sollen es 2G und 2G Plus und ein ellenlanger Maßnahmenkatalog, mit dem man es womöglich genauso schlecht managen kann wie vorher. Inzwischen haben wir die gefühlte x-te Verschärfung des Infektionsschutzgesetzes. Nun soll es eine Impfpflicht richten. Und ein neuer Krisenstab, an der Spitze ein Generalmajor, soll die Impfstoffverteilung und die Logistik in der Republik stemmen.

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Ob dadurch eine höhere Impfquote erreicht wird, ist die große Frage. In Portugal sind 86,6 Prozent der Bevölkerung vollständig geimpft. Inzwischen gibt es dort erneut einen „Covid-Notstand“. Das Land erlässt strenge Einreiseregeln. Die Sieben-Tage-Inzidenz liegt bei 206. Womöglich, aber nicht sicher, liegt es an der fehlenden 3. Impfung.

In der Kürze des Texts lässt sich Politikversagen nicht darstellen. Zu Beginn der Epidemie war in der Bundesrepublik jedenfalls eines auffällig: Es fehlten Schutzkleidung, Schutzbrillen und Masken. Dabei hatte der Bundestag Ende 2012/Anfang 2013 mit der Drucksacke 17/12051 einen Bericht zur Risikoanalyse im Bevölkerungsschutz veröffentlicht, indem darauf hingewiesen wurde, dass im Fall eines „Modi Sars“ ein SARS-ähnliches Virus die Bevölkerung treffen könnte (Seite 5) und [Einsatz von Schutzausrüstung wie Schutzmasken, Schutzbrillen und Handschuhe] vonnöten wären (Seiten 58/59). Die Drucksache verschwand in den Schubladen der Bundesländer. Im März 2020 gab es Blitzausschreibungen für Schutzanzüge, Schutzbrillen und Masken. Die Maskenaffären bei CDU und CSU sind legendär.

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