Das kurze Video mit einer Aussage des FDP-Chefs Christian Lindner im Bundestags-Wahlkampf, das jetzt im Netz schon mehr als 100.000 Mal angeklickt wurde, stammt nicht aus einer Anne-Will- oder Sandra-Maischberger-Talkshow. Es handelt sich um eine Handykamera-Aufnahme eines Bürgers in einer Fußgängerzone. Mehrere Passanten fragen den heutigen Finanzminister – passenderweise vor dem Freisitz einer Gaststätte – was er über mögliche Einschränkungen für Ungeimpfte denkt. Und Lindner äußert sich ausführlich – vor allem zu dem Recht, in Restaurants und Cafés gehen zu dürfen.
In der vergangen Woche beschlossen Bundesregierung und Ministerpräsidenten, dass in naher Zukunft „2 G plus“ in der Gastronomie gelten soll: Geimpfte und Genesene brauchen dann zusätzlich einen tagesaktuellen Test, um in eine Gaststätte zu dürfen. Ausgenommen sind nur Geboosterte, also alle, die eine dritte Impfung gegen Covid empfangen haben. Ungeimpfte dagegen sollen auch mit einem Test keinen Zugang erhalten. Diese Regelung, verkündete Kanzler Olaf Scholz, soll „baldmöglichst umgesetzt“ werden. Während Gastronomen Umsatzeinbrüche erwarten, kam von der FDP bis jetzt kein Widerspruch.
Zu genau dieser Frage äußert sich Lindner damals in dem Wahlkampf-Video, das mehrere Nutzer kurz nach der Ankündigung von G2 für die Gastronomie online stellten.
Dort ruft ein Mann Lindner zu, er fühle sich als Ungeimpfter diskriminiert. Worauf Lindner antwortet: „Wir sind grundsätzlich der Meinung, dass Ungeimpfte nicht diskriminiert werden sollten.“
Auf den skeptischen Kommentar: „Ach ja? Da habe ich von Ihnen schon etwas ganz anderes gehört “ gibt der wahlkämpfende Politiker eine Art Grundsatzerklärung ab:
„In einer Gesellschaft, wo so viele geimpft sind, kann der Ungeimpfte sich höchstens selbst gefährden. Deshalb sollen … auch Ungeimpfte ruhig in die Gaststätte gehen können – vielleicht mit der Voraussetzung eines Tests, den sie aber nicht selbst bezahlen müssen. Sondern das übernimmt die Solidargemeinschaft.“
„Sagen Sie das auch noch nach den Wahlen?“, fragt jemand nach.
Lindner: „Das sage ich vor den Wahlen und nach den Wahlen.“ Um in Anspielung auf den Abbruch der Jamaika-Sondierungsgespräche 2017 anzufügen: „Sie haben gesehen, dass die FDP sogar bereit ist, nein zu sagen zu einer Regierung, wenn sie ihre Zusage brechen müsste.“
Bekanntlich sagte Lindner Ja zu der Ampel-Regierung, sprach sich für die Impfpflicht aus, die er im Wahlkampf ebenfalls ausgeschlossen hatte – und er gehört ganz aktuell auch zu denen, die den Gastronomiebesuch für Ungeimpfte nicht nur ganz unterbinden, sondern ihn sogar für doppelt Geimpfte und Genesene noch weiter erschweren wollen.
Dass der FDP-Chef mit seinem Versprechen von damals jetzt zum Video-Star in den sozialen Netzwerken wird, dürfte Lindner kaum gefallen. Möglicherweise hatte der Spitzenpolitiker die kurze Szene schon verdrängt. Und auch den Satz: Das Netz vergisst nie.