Die Corona-Krise hat die deutschen Aufnahmeeinrichtungen für Asylbewerber erreicht. In den vergangenen dreißig Tagen kam es zu einem deutlichen Anstieg der Infektionszahlen in den Aufnahmeeinrichtungen mehrerer Bundesländer. Dem Bundesinnenministerium zufolge gab es Mitte März um die zwanzig infizierte Asylbewerber bundesweit und noch einmal so viele Verdachtsfälle. Seitdem haben sich diese Zahlen – wie manch andere auch – vervielfacht. Dabei werden die einzelnen Vorgänge wohl nur als Puzzle verständlich, bei dem ein Teil in das andere greift.
Daneben hatten sich auch fünf Mitarbeiter der betreibenden Malteser-Werke infiziert. In der Folge stieg der Krankenstand der Belegschaft deutlich an, und der ordnungsgemäße Ablauf in der Einrichtung schien gefährdeter denn je. Der zur Stelle geeilte Innenstaatssekretär Thomas Lenz (CDU) bestritt schlichtweg, dass in den Aufnahmeeinrichtungen des Landes Mecklenburg-Vorpommern »unhaltbare Hygiene-Zustände« herrschten. Alle Neuzugänge würden getestet. Doch wer nicht unter Quarantäne stehe, der dürfe sich eben frei bewegen – wie andere »Bürger« auch. Das Dumme ist nur. Zu diesem Zeitpunkt hatten schon »mehrere mit dem Corona-Virus infizierte Asylbewerber« ihr Ausweichquartier in Parchim verlassen und waren »tagelang« unauffindbar.
DDR und Demokratie
Eine parlamentarische Untersuchung der Vorfälle forderte darauf Nikolaus Kramer, AfD-Fraktionschef im Schweriner Landtag. Die Überprüfung durch den zuständigen Staatssekretär sei zu wenig: »Das Ministerium hat 30 Jahre nach dem Ende der DDR scheinbar wieder vergessen, was Demokratie in Mecklenburg-Vorpommern heißt.« Inzwischen konnte sich auch der Innenausschuss des Landtags ein Bild der Lage machen.
Doch anhaltende Kritik am Behördenhandeln kommt auch von der anderen Seite des politischen Spektrums. Die hygienischen Bedingungen in Stern Buchholz prangert auch der »Flüchtlingsrat Mecklenburg-Vorpommern« an. Zusammen mit ihrem inoffiziellen Dachverein »Pro Asyl« wenden sich die in verschiedenen Bundesländern operierenden »Flüchtlingsräte« inzwischen allgemein gegen eine »Massenunterbringung« von Asylbewerbern in Aufnahmeeinrichtungen, da dies keine Sicherheit gegen Infektionskrankheiten biete. Im März hatten die vereinten »Flüchtlingsräte« eine Erklärung herausgegeben, in denen sie die »enge Belegung« und die »meist gemeinschaftliche Nutzung von Bädern, Küchen und anderen Flächen« kritisierten. In Corona-Zeiten sei dies »nicht zu verantworten«.
Der »Berliner Flüchtlingsrat« beklagte (offenbar mit einem Gedanken an Suhl): »Pauschal ganze Unterkünfte von Polizei und Security abzuriegeln, wirkt nicht als Schutz, sondern als Freiheitsentzug im Internierungslager.« (Focus vom 21. März) »Pro Asyl« sekundierte, die Asylsuchenden müssten »sofort in dezentrale, kleinere Unterkünfte« gebracht werden, zum Beispiel in »Hotels und Hostels, die aufgrund von Stornierungen aktuell viele freie Zimmer haben«. In dasselbe Spalier reihen sich die Initiative »Pro Bleiberecht« und der Landesjugendring Mecklenburg-Vorpommern ein. Wer hat da wohl die Schriftführerschaft über die freie deutsche Jugend inne?
In der Landeshauptstadt Potsdam ist man übrigens schon so weit: 38 Hotelzimmer mit 100 Betten stehen für Asylbewerber und Obdachlose bereit. In der örtlichen Aufnahmeeinrichtung mussten bereits 116 Infizierte isoliert werden. Im sächsischen Mockau hat man »wegen Corona« eine neue Aufnahmestelle eröffnet. Das Land Berlin will ein leerstehendes Containerdorf in Pankow als »Quarantäne-Unterkunft« wiedereröffnen.
Aufopferung in Oggersheim
Probleme mit gehäuften Corona-Fällen gibt es auch in der Asylbewerberunterkunft im Ludwigshafener Stadtteil Oggersheim. Dort hat man inzwischen alle 171 Bewohner – aus 19 Ländern stammend, allesamt männlich – auf das neue Corona-Virus getestet. Fielen am 7. April noch 14 Coronavirus-Tests positiv aus, so waren es eine Woche später schon 59. Dabei hatte man die Infizierten doch zusammen mit ihren Zimmergenossen isoliert und umquartiert. Zum konkreten Aufenthaltsort der Quarantänisierten wollte Oberbürgermeisterin Jutta Steinruck (SPD) laut Mannheimer Morgen nichts sagen: »Alle infizierten Menschen, egal, wo sie wohnen, haben Persönlichkeitsrechte.«
Persönlichen Einsatz zeigte auch der Ludwigshafener Mediziner, zugleich Vorsitzender der CDU-Stadtratsfraktion Peter Uebel, als er Anfang April an zwei Tagen alle Bewohner der Oggersheimer Unterkunft untersuchte und bei Verdachtsfällen Abstriche vornahm. Dafür gewann Uebel sogar den Respekt seiner Stadtratskollegen von der Linken, die seinen »selbstlosen Einsatz« und seine »christliche Grundeinstellung« lobten.
Die Ludwigshafener Grünen waren der Meinung, dass sich in den beengten Verhältnissen des Flüchtlingsheims der Zwei-Meter-Abstand nicht einhalten lasse und baten daher um Prüfung, ob »weitere leerstehende Unterkünfte oder Hotelzimmer zur Unterbringung herangezogen werden« könnten. Dem stimmte auch der Vorsitzende der Linke-Fraktion Liborio Ciccarello zu: Jedes Zimmer in der Sammelunterkunft solle nur noch mit einem Bewohner besetzt sein, leerstehende Pensionen und Hotels stünden zur Aufnahme der Überzähligen in ausreichender Zahl bereit.
»Sicherer Hafen« Osnabrück?
Relativ wenige Nachrichten erzeugen derweil die Zustände im nordrhein-westfälischen Asylsystem. Aber auch dort wurde Anfang April eine Quarantäne über die Zentrale Unterbringungseinrichtung in Euskirchen im Regierungsbezirk Köln verhängt. Insgesamt leben 298 Personen in der Einrichtung, zu einem Drittel alleinstehende Männer, daneben angeblich bürgerkriegsversehrte Familien, die getrennt untergebracht sind. In Euskirchen sind derzeit 45 Bewohner infiziert, dazu noch mehrere Mitarbeiter des Roten Kreuzes und des Wachdiensts. Einzelne Fälle gibt es daneben aus Kerpen, Mettmann und Schleiden-Vogelsang. Quarantänisierungen sind auch aus Bremen-Vegesack und Neumünster bekannt – mit unterschiedlichen Auswirkungen, die hier auszuführen, zu weit führen würde.
In Niedersachsen rühmt man sich derweil des guten Infektionsschutzes bei nur zwei Corona-Fällen im Landesasylsystem, die sich zudem auf zwei Standorte verteilen. Die Vorgänge andernorts gelten hier als warnendes Beispiel, dessen Nachahmung man vermeiden will. Die eigenen freien Kapazitäten will man da gerne nutzen. Seit einem halben Jahr hatte sich Innenminister Boris Pistorius (SPD) für die Aufnahme unbegleiteter Minderjähriger aus dem griechischen Migrantenlager Moria eingesetzt. Die 58 Neuzugänge aus Lesbos – die am Sonnabend zunächst an unbekanntem Ort in Osnabrück unterkommen sollen – werden von der Landespresse als humanitärer Triumph gefeiert.
Laut dem NDR freut sich Pistorius, »dass diese Gruppe kommt und wir sie in Niedersachsen unterbringen, bis sie weiter verteilt werden«. Verteilt ja, aber wohin eigentlich? Bei manchen scheint das schon festzustehen: 20 der Neuankömmlinge haben Verwandte in Deutschland, bei denen sie nach der vierzehntägigen Quarantäne unterkommen dürfen. Allen Beteiligten – so Pistorius weiter – sei aber schon klar, dass »das nur ein Anfang sein kann«: »Die nächste Gruppe muss folgen.« Auch die weiteren deutschen Aufnahmen aus Lesbos sollen über Hannover erfolgen.
Brennpunkt in Baden-Württemberg
Das Highlight dieses Corona-Asyl-Berichts bleibt vorerst das grün-schwarze Musterländle Baden-Württemberg, dessen Landeserstaufnahmeeinrichtung (LEA) in Ellwangen im Ostalbkreis alle anderen Heime problemlos hinter sich lässt, zumindest was die Zahlen und ihre Dynamik angeht. Innerhalb einer Woche ist die Anzahl der Infizierten in der LEA von sieben auf satte 251 gestiegen. Insgesamt leben 560 Bewohner in der Einrichtung, ähnlich viele wie in Stern Buchholz also. Noch musste angeblich keiner der Infizierten ins Krankenhaus eingewiesen werden. Daneben wurden auch 21 Mitarbeiter positiv getestet.
Der zuständige Referent für die Flüchtlingsaufnahmen, Thomas Deines, gab gegenüber dem SWR immerhin zu, dass man Schwierigkeiten damit habe, die positiv getesteten Bewohner zu isolieren. Das sei mit vielen Umzügen verbunden (also quasi ein logistisches Problem). Manchmal sei es aber schon schwer, einem positiv Getesteten ohne Symptome überhaupt klar zu machen, dass er Virusträger ist. Etwas Ehrlichkeit immerhin. Bei der Ausgangssperre gebe es hingegen »gar keine Verstöße«. Doch genau das legt der Bericht der Stuttgarter Zeitung nahe: Nicht alle »Flüchtlinge« wollten demnach das Ausgangsverbot »hinnehmen«.
Vielleicht war eine strikte Ausgangssperre aber auch von der Einrichtungsleitung nicht wirklich gewollt. Dem Grünen Berthold Weiß, der die LEA-Leitung im Frühjahr 2015 übernahm, wird ein hohes Maß an Verständnis für das Freiheitsbedürfnis seiner Schutzbefohlenen nachgesagt. Ein offenbar laienhaft durchgeführter Austausch von Bewohnern mit einer anderen Einrichtung während des jüngsten Krankheitsausbruchs komplizierte die Lage weiter.
Wie es gehen könnte
TE-Autor Giovanni Deriu, der nun seit fünf Jahren in der Integrationsarbeit tätig ist und das LEA-Areal in Ellwangen gut kennt, sieht das grundlegende Problem vor allem in der Auswahl des Personals: »Im September 2015 waren es knapp 5.000 Migranten, davon ca. 75% männlich. Die Spannung lag greifbar in der Luft, aber durch Teamarbeit und eine personell halbwegs gut aufgestellte medizinische Ambulanz sowie Security, lief das meiste reibungslos ab … es hängt ganz klar an der Manpower und geschultem Personal, das momentan nicht vorhanden ist.«
Im Moment leben zwar um die 650 Bewohner in der LEA Ellwangen, aber zugleich hat die Pandemie auch hier die Arbeitsbedingungen in vielem erschwert. Hier kommen freilich auch die Betreiber der Einrichtung ins Spiel, denn das ist keineswegs Vater Staat selbst, sondern geschäftstüchtige Kostenoptimierer, im Fall der LEA Ellwangen die European Homecare sowie (für die Sicherheit) die Jonas Better Place GmbH und andere. Deriu beklagt vor allem das Fehlen von Deutsch sprechendem Sicherheitspersonal, das jetzt zudem noch durch Coronavirus-Infektionen »ausgedünnt« werde. Auch an medizinischen Fachkräften mangele es, und die Migranten – einige davon mit Drogenproblematik – ließen sich zum Teil absichtlich nicht testen. Daneben fehlt es – wie in vielen Heimen seit langem – auch an der materiellen Ausstattung der medizinischen Ambulanzen. In der aktuellen Lage bedeutet das, die Gesundheit aller eingesetzten Fachkräfte zu riskieren.
Die Kettenreaktion der Ansteckungen in Ellwangen wundert den Diplom-Sozialpädagogen und Integrationsfachmann Deriu insofern nicht. Natürlich sei die Ausgangssperre nicht eingehalten worden, und das sei der fehlenden Akzeptanz und Ansprache der Heimbewohner geschuldet. Ausbüchsen kann auf dem weiten Areal der ehemaligen Kaserne jeder irgendwie. Deshalb müsse man sich auch nicht wundern, dass sich so viele der Bewohner untereinander oder außerhalb angesteckt haben.
Deriu ist überzeugt, dass sowohl Ausgangssperre wie Quarantäne in einem Flüchtlingsquartier nur durch tägliche, transparente Kommunikation umzusetzen sind. Gelingen könne das nur durch pädagogisch und medizinisch geschultes Personal, das mit Mundschutz von Tür zu Tür geht oder alternativ durch Audios und Kurzmitteilungen mit den Asylbewerbern kommuniziert. So handhaben es – mit Erfolg – Deriu und sein Team in einer Einrichtung in einem benachbarten Landkreis.
Ellwangen: geradewegs zum totalen Kontrollverlust?
Inzwischen ist der Anteil der Infizierten in der LEA Ellwangen auf knapp 60% angestiegen. Die Quarantäne wird laut vertrauenswürdigen Hinweisen noch immer nicht eingehalten. Berichtet wird von nächtlichen Massenschlägereien, bei denen aber die Polizei bisher noch nicht einschritt. Da stellt sich die Frage: Durfte sie nicht oder wollte sie nicht, eventuell aus Angst vor Ansteckung? Doch wie es heißt, steckt Einrichtungsleiter Berthold Weiß den Kopf am liebsten beherzt in den Sand: Aufsehen soll um jeden Preis vermieden werden, Polizeiberichte sind unerwünscht.
Die vier verbliebenen Sicherheitsleute sind aber zu wenig, um auf dem großflächigen Areal für Ordnung zu sorgen, zumal sobald die Fäuste fliegen, der Schnaps regiert und Messer gezogen werden. Wenn dann eine herbeigeeilte Rettungsambulanz des Roten Kreuzes mit dieser Situation fast ganz alleingelassen wird, ist das schon schäbig zu nennen. Dass unter diesen Umständen überhaupt noch Mitarbeiter zur Arbeit erscheinen, erscheint bald als Wunder. Kundige nennen es die »Verheizung« von Personal.
Und was sagen Landesvater Winfried Kretschmann und der grüne Regierungspräsident zur beispiellosen Zuspitzung in Ellwangen? Bisher gar nichts. Kein Wort auch von Landrat, Regierungspräsident oder dem grünen Gesundheitsminister Manfred Lucha – von Besuchen in der LEA ganz zu schweigen. Es ist derzeit ein Nicht-Ort, an dem das grün bewegte Baden-Württemberg seine Asylbewerber abgestellt hat. Doch darüber hinaus ist eine derart kopflos betriebene Einrichtung offenbar eine Gefährdung der öffentlichen Gesundheit, zumal wenn sie ein jeder – wie er gerade will – verlassen und betreten kann.