Plötzlich kommt es wieder auf jede einzelne Stimme an: Im Berliner Bezirk Lichtenberg hat Dennis Haustein (CDU) bei der Wiederholungswahl gegen die Vertreterin der Claudia Engelmann (Linkspartei) gewonnen. Nur zehn Stimmen trennen die Kandidaten.
Die Auszählung hatte sich verzögert, weil in Lichtenberg 466 Briefwahlunterlagen verspätet aufgefunden wurden. Zuerst hatte man wegen einer vermeintlichen Stimmengleichheit den Gewinner auslosen wollen. Dann kamen weitere CDU-Stimmen zutage, weswegen der Bezirkswahlausschuss Haustein zum Sieger kürte.
Der Wahl-Krimi unterstreicht neuerlich, dass angebliche Pannen und Ungenauigkeiten mandatsrelevant sind. Dass ordentlich geführte Protokolle unumgänglich sind. Und dass schon wenige fehlende Wahlstimmen darüber entscheiden können, wer im Parlament sitzt. Das alles hatten Medien und Politik behauptet, bevor sich TE selbst ein Bild bei der Untersuchung der Wahl 2021 machte. Am Ende summieren sich „Kleinigkeiten“ eben doch.
Und es bestätigt wieder einmal eine Ahnung, die viele Wähler seit der Chaoswahl am 26. September 2021 haben. Eine Partei, die bei einer Bundestagswahl nicht die 5-Prozent-Hürde überspringt, steht aus guten Gründen unter Beobachtung. Und zwei dieser Direktmandate hat die Linkspartei in Berlin gewonnen: eines davon in Lichtenberg mit Gesine Lötzsch, das andere in Treptow-Köpenick mit Gregor Gysi.
Nicht nur das Mandat in Lichtenberg stünde bei einem erneuten Wahlgang auf der Kippe. Denn der Südosten Berlins ist seit dem 12. Februar schwarz (26 Prozent). Vier der sechs Wahlkreise gehören nunmehr der CDU. Von der rot-roten Dominanz sind nur noch Erinnerungen übrig. Fraglich, ob der populäre Gysi sich allein gegen diesen Trend behaupten kann.
Im Bundestag geht es demnach nicht nur um den Verbleib einzelner Abgeordneter, sondern den einer ganzen Fraktion. Flöge die Linke bei einer Wahlwiederholung raus, würde auch der gesamte Bundestag verkleinert – mit Auswirkungen auf alle Parteien. Verständlich, dass also nicht nur die Linke ein Interesse am Status quo hat.
Für den Wähler (nicht nur in Berlin) ist es blanker Hohn. Statt Vertrauen zurückzugewinnen, wird es neuerlich erschüttert, weil der Verdacht nicht ausgeräumt werden kann, dass der eigene Posten mehr gilt als die Bewahrung des eigenen Postens. Die Wahlprüfungsbeschwerde, die TE gegen diesen Vorgang eingelegt hat, liegt in Karlsruhe vor.
Sollte das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe zustimmen, dass die gesamte Bundestagswahl in Berlin wiederholt werden muss, könnte das ein politisches Erdbeben auslösen, das weit über den Verlust einer roten Hochburg hinausgeht.
In eigener Sache: Roland Tichy, Herausgeber von TE, hat eine Initiative gegründet, um die Wiederholung der Bundestagswahl in allen Berliner Bezirken einzuklagen. Die Klage vor dem Bundesverfassungsgericht wird von Verfassungsrechtler Ulrich Vosgerau im Namen von zwei Tichys-Einblick-Lesern geführt. Die Finanzierung hat „Atlas – Initiative für Recht und Freiheit“ übernommen.
Die von TE eingereichte Wahlprüfungsbeschwerde ist dem Bundesverfassungsgericht am 5. Januar per Fax und am 7. Januar per Brief zugegangen. Am Donnerstag, dem 26. Januar, hat das Gericht den fristgerechten Eingang bestätigt und der Beschwerde ein Aktenzeichen (2 BvC 15/23) gegeben.
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