Tichys Einblick
Physische Barrieren und Rückkehrzentren

CDU und CSU stimmen für AfD-Vorschlag im EU-Parlament: Die Brandmauer ist gefallen

Die AfD hat Vorschläge für neue EU-Finanzmittel durchgebracht, von denen Zäune und Zentren errichtet werden sollen. Die Nähe zwischen Mitte-rechts und den drei „rechten“ Fraktionen im EU-Parlament wächst. Macrons Truppen und Sozialdemokraten sind entsetzt, am meisten aber die Grünen.

IMAGO

Die nationalen und patriotischen („rechten“) Kräfte sind im neuen EU-Parlament stärker als je zuvor vertreten, galten aber bisher durch ihre Uneinigkeit als geschwächt. Die Parteien, die gleichermaßen für sichere Außengrenzen auftreten, zerfallen aufgrund anderer Unterschiede in drei Fraktionen. Nimmt man die EVP dazu, sind es sogar vier. Aber hier hat man es nicht mit einem sicheren Kandidaten zu tun. Die bislang als isoliert geltende AfD hat nun einen beachtlichen Erfolg im EU-Parlament erzielt. Im Ringen um den EU-Haushalt für das Jahr 2025 wurden verschiedene Änderungsvorschläge der Partei und ihrer Fraktion „Europa der souveränen Nationen“ (ESN) angenommen, und zwar von einem breiten Parteienbündnis, das bis zur Mitte-rechts-Fraktion reicht, in der auch CDU und CSU sitzen.

Die ESN-Abgeordneten forderten „eine angemessene Finanzierung für physische Barrieren“ an den EU-Außengrenzen und Asyleinrichtungen außerhalb der EU und priesen beides als „wirksame Mittel gegen Massenmigration“ an. Insgesamt stimmten 329 Abgeordnete dem Änderungsvorschlag zu, darunter Viktor Orbáns Patrioten für Europa (PfE) und die Europäischen Konservativen und Reformisten (EKR) von Giorgia Meloni, aber auch die allermeisten EVP-Abgeordneten stimmten dem Entwurf zu. Vorausgegangen war eine Entscheidung der Fraktionsführung, wie der Pole Andrzej Halicki gegenüber Politico verriet. Er selbst opponierte zwar intern gegen die Entscheidung, stimmte aber dennoch für die Änderungsvorschläge. Nur 15 EVPler stimmten dagegen oder enthielten sich – unter ihnen auch einige CDU-Abgeordnete, so der Niedersachse David McAllister und der NRW-Abgeordnete Dennis Radtke, der gerade zum CDA-Vorsitzenden (Arbeitnehmerschaft in der CDU) gewählt wurde und mit „Nein“ stimmte.

Die AfD wurde nach den Wahlen zum EU-Parlament zum Partner in der Fraktion „Europa der souveränen Nationen“ (ESN), weil die Gruppierung um Viktor Orbán, Marine Le Pen, Geert Wilders, Matteo Salvini und andere sie nicht in die eigene Patrioten-Fraktion aufnehmen wollten. Nun können AfD und ESN einen ersten Erfolg vorweisen, der weit über das Feld der „rechten“ Parteien hinausweist.

Schwede Tobé: Physische Barrieren unerlässlich für Außengrenzen

Allerdings wurde der Haushaltsentwurf am Ende von der „Kommissions-Koalition“ niedergestimmt. Direkt nach der Abstimmung beklagten sich verschiedene Abgeordnete der Sozialisten und Demokraten (S&D) und anderer, dass die EVP sich nicht an den „Deal“ rund um die Wahl von Ursula von der Leyen gehalten habe und mit der „extremen Rechten“ abgestimmt habe. Diese Dame – die Kommissionspräsidentin – ist ohnehin der personifizierte „Deal“, meist von undurchsichtiger und widersprüchlicher Natur.

Auch die Macronistin Fabienne Keller (Renew) kritisierte den EVP-Zug mit starken Worten: „Es ist etwas sehr Ernstes passiert.“ Die EVP habe faktisch „die solide Mehrheit“ aufgegeben, auf die sich Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen stützt.

Allerdings erwiderte der schwedische EVP-Fraktionsvize Tomas Tobé den Kritikern, es sei „seit langem unsere Politik“, also die der EVP, „uns für EU-Mittel für die Infrastruktur an den Außengrenzen einzusetzen“. Das stimmt sogar bezogen auf viele Staatschefs im Osten der EU, aber von der Leyen hatte sich noch nicht so geäußert, sondern die Finanzierung einst ausdrücklich ausgeschlossen. Gleiches habe der Europäische Rat der Staats- und Regierungschefs beziehungsweise der zuständigen Fachminister beschlossen. „Physische Barrieren sind für die Sicherung der EU-Außengrenzen und die wirksame Steuerung der Migration unerlässlich“, so Tobé.

AfD: „Doppelter Coup“ für Grenzschutz, gegen linken Haushalt

2021 hatten Vertreter von zwölf EU-Staaten „physische Barrieren“ gefordert und sie schon damals als „effektives Mittel zum Grenzschutz“ ausgewiesen. Das waren die Anfänge eines Richtungswechsels in den Exekutiven der EU. Dass dieser Kurs sich im EU-Parlament wegen eines neu errichteten überfraktionellen Abstimmungszwangs verhakt, ist eigentlich nicht einzusehen.

Die AfD feierte ihren Etappensieg. So meinte Alexander Jungbluth, haushaltspolitischer Sprecher der AfD im EU-Parlament: „Wir haben dem Establishment heute einen gewaltigen Strich durch die Rechnung gemacht.“ Ein „doppelter Coup“ sei das gewesen. Denn nicht nur habe man die eigenen Vorschläge durchsetzen können, auch das Scheitern des EU-Haushalts sieht Jungbluth als Erfolg, weil so auch der „linke Ausgabenexzess“ gescheitert sei.

AfD-Delegationsleiter René Aust beharrt auf der Gültigkeit der AfD-Anträge: „Die Linken dachten, indem sie gegen den eigenen Haushalt stimmen, würden sie die AfD- bzw. ESN-Anträge rückgängig machen.“ De facto hätten sie aber nur bewiesen, wie sehr die rechts-nationalen Fraktionen „den Takt vorgeben“ und die Themen setzen. Bewiesen sei damit, dass die AfD auch in der kleineren ESN-Fraktion Einfluss ausüben könne. „Die Brandmauer fällt“, jubelte Christine Anderson in einem Tweet: „Wir haben die Brandmauer durchbrochen – und das so früh in der Wahlperiode!“ Nun wird die Frage sein, wie lange dieser unstreitige Erfolg anhält.

Entsetzen bei den grünen Scharfmachern

Verschiedene grüne Abgeordnete haben ihrem Entsetzen ob des EVP-Stimmverhaltens Ausdruck verliehen. So meinte der NGO-Politiker Erik Marquardt (unter anderem Inspirator der „Kabul Luftbrücke“), die ESN-Fraktion habe „die Abstimmung für ihre ‚Festung Europa‘“ gewonnen, weil auch die EVP dafür gestimmt habe. Sein Parteifreund Michael Bloss meinte gar, CDU und AfD brächten „die Demokratie ins Wanken“. Aber das beruht nur auf dem verschrobenen Demokratie-Konzept der Grünen, in das nur ihre eigenen Auffassungen hineinpassen, nicht aber diametral verschiedene Ansätze der politischen Ordnung. Die Grünen sind regelmäßig die Scharfmacher in Bezug auf die Einhaltung der Abgrenzung von „rechts“, egal ob sie nun Brandmauer wie in Deutschland heißt oder Cordon sanitaire wie in der EU.

— Erik Marquardt (@ErikMarquardt) October 23, 2024

Nun wird eingewendet, dass auch der Europäische Rat zuletzt ganz ähnliche Vorschläge gemacht hatte, was den EVP-Affront mildern soll. Das gilt zumindest für die Asyl- oder vielmehr Rückkehrzentren außerhalb der EU. Auf diese hatte sich von der Leyen erst kürzlich mit Vertretern von EVP, EKR und „Patrioten“ geeinigt: Giorgia Meloni, Dirk Schoof (für die niederländische Regierung) und Viktor Orbán saßen mit am Tisch. Das betreffende Gesetz wird aber wohl noch etwas weiter hin sein. Dennoch war das ein Signal, das offenbar den neuen EVP-Kurs einläuten sollte.

Der niederländische Abgeordnete Auke Zijlstra (PVV und damit Teil der Patrioten für Europa) forderte die EVP auf, sich zu entscheiden: „Wollen sie den Cordon sanitaire fallen lassen und werden sie uneingeschränkt kooperieren?“

Der mittlerweile bei den Grünen ausgetretene Kai Nielsen erinnert einmal mehr daran, was die Aufregung der Linken darum denn jetzt auch wieder soll – schließlich wurde auch schon im Wahlkreis von Habeck von den Grünen ein Antrag mit der AfD eingebracht und „für diesen gestimmt“:

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