Tichys Einblick
Austrittsschreiben

„Ein Desaster, das die CDU jedenfalls mitverantwortet“

Die Corona-Politik der Bundeskanzlerin entsetzt nicht nur Wähler, sondern auch Mitglieder ihrer Partei. Er könne, schreibt ein langjähriges Mitglied, das "Desaster der Pandemiebekämpfung" nicht mehr ertragen und trete daher aus seiner "bisherigen Herzenspartei" aus.

IMAGO / U. Alexander

Die Corona-Politik der Bundeskanzlerin entsetzt nicht nur Wähler, sondern auch Mitglieder ihrer Partei. Er könne, schreibt ein langjähriges Mitglied öffentlich über Twitter das „Desaster der Pandemiebekämpfung“ nicht mehr ertragen und trete daher aus seiner „bisherigen Herzenspartei“ aus.

In seinem Schreiben an den Kreisverband Hannover-Stadt begründet er diesen Schritt:

„Das aktuelle „Corona-Management“ (soweit das derzeitige Handeln der Bundesregierung diese Bezeichnung überhaupt verdient) enttäuscht mich so grundlegend, dass ich weder der Partei weiterhin angehören kann noch bei der kommenden Bundestagswahl meine Herzenspartei – die CDU – wählen werde. Ich war bislang der festen Auffassung, dass gerade die Christlich Demokratischen Union und mit ihr die Bundeskanzlerin (und die von der CDU  gestellten Bundesminister) in besonderer Weise in der Lage sind, eine für Deutschland existenzielle Krise zu bewältigen, effektiv, weitsichtig und konsequent auf die pandemische Herausforderung zu reagieren, innovativ eine solche außergewöhnliche Situation zu bewältigen und die zur Bekämpfung der Corona-Pandemie notwendigen Einschnitte in das gesamte gesellschaftliche Leben auch mit den persönlichen und unternehmerischen Belangen der Bürgerinnen und Bürger und der Unternehmerinnen und Unternehmer wohl abzuwägen.

Stattdessen nehme ich wahr: Ein Desaster, das jedenfalls die CDU mitverantwortet.

Ein Blick in andere Länder zeigt, wie Krisenbewältigung funktionieren kann, mit durchdachten Konzepten – und mit einer Impfstoffbeschaffung und -versorgung der Bevölkerung, die diesen Namen auch verdient. Der Blick in die USA, nach Großbritannien oder Israel erfüllt mit Neid.

Und was machen wir?

Wir diskutieren mit tatkräftiger Unterstützung der Bundeskanzlerin zu Beginn der Pandemie über Sinn und Unsinn der Verwendung von Alltagsmasken. Wir verschlafen die Maskenbeschaffung, nachdem sich die Erkenntnis durchgesetzt hat, Masken seien ein effektives Mittel zur Verhinderung der Ausbreitung des Virus. Wir basteln eine Corona-Warn-App, die vor lauter Bedenken der Datenschützer ihren sich aus dem Namen ergebenden Zweck („Warn“) nicht erfüllt. Wir lassen Gesundheitsämter Kontaktnachverfolgung per Telefon durchführen und freuen uns, wenn Infektionszahlen unter Verwendung handelsüblicher Faxgeräte aus dem letzten Jahrtausend gelegentlich an das Robert Koch Institut gemeldet werden (aber nicht montags, denn an den Wochenenden arbeiten die Gesundheitsämter nicht). Wir öffnen im munteren Wechsel Einrichtungen nach Beliebigkeitskriterien, um sie anschließend wieder zu schließen. Wir verzichten auf innovative Hilfe tatkräftiger Unternehmerinnen und Unternehmer bei der Pandemiebekämpfung und richten politische Entscheidungen am Popularitätsgrad und anstehenden Landtagswahlen aus. 

Und schließlich: Wir freuen uns darüber, dass in Deuschland ein hochgradig effektiver mRNA-Impfstoff entwickelt worden ist – und statt ihn in großer Menge zu bestellen, erörtern wir die Vermeidung des so bezeichneten „Impfnationalismus“ unter Berücksichtigung des Zusammenhalts in der Europäischen Union. 

Statt das politische Handeln unter Beachtung der Schutzfunktion des Staates konsequent darauf auszurichten „Schaden vom Deutschen Volk abzuwenden“, überlassen wir die mit großem Abstand wichtigste Maßnahme der Pandemiebekämpfung einer Einrichtung, die sich aufgrund der Vielstimmigkeit der Mitgliedstaaten und aufgrund der ihr eigenen Trägheit in der Vergangenheit nicht gerade als Hochgeschwindigkeits- und Effektivitätsinstitution bewährt hat. Wenn bei der vielfach bösartig zur Begründung von Kritik an der Europäischen Union zitierten Festlegung des Krümmungsgrades der Salatgurke fehlende Geschwindigkeit und Effektivität der Brüsseler Bürokratie unschädlich sind und Umständlichkeit und Sinnlosigkeit allenfalls Heiterkeit wecken können, zeigt sich jetzt ein Versäumnis, das vielen Unternehmerinnen und Unternehmern die Existenz und vielen – gerade hochbetagten – Bürgerinnen und Bürgern das Leben kosten wird.

Wir haben zu wenig Impfstoff, wir impfen zu langsam, wir schreiben umständliche Impfverordnungen, wir haben keine flächendeckenden Schnelltests – und die einzige Schutzmaßnahme in den geöffneten Schulen ist gelegentliches Lüften. („Bitte geben Sie den Kindern warme Kleidung mit.“) Alles übrige erledigen geplagte Eltern parallel zur Berufstätigkeit im Rahmen des Home-Schoolings (denn die schulinternen Lernplattformen funktionieren überwiegend schlecht).

Ich fühle mich wie in einem Entwicklungsland (ohne jemals ein solches Land besucht zu haben). Das Missmanagement wird dort nicht größer sein. 

Deutschland war viele Jahre ein Innovationsforschung- und Organisationsweltmeister. Heute fällt uns zur Pandemiebekämpfung nichts anderes ein als die Verbreitung hohler Phrasen („Impfen, impfen, impfen“, Angela Merkel‘) und einer immerwährende Verlängerung des Lockdowns.

Nein, das ist nicht mehr meine Christlich Demokratische Union. Wer den Menschen – weil sich die Pandemie nicht anders bewältigen lässt – die tiefsten jemals erfolgten Eingriffe in grundrechtlich geschützte Lebensbereiche abverlangt, ist auf der anderen Seite verpflichtet, nach besten Möglichkeiten die Dauer der Eingriffe in solche grundrechtlich geschützten Bereiche möglichst kurz zu halten. 

Es geschieht aber das Gegenteil. Wir haben die Pandemiebekämpfung verschlafen. 

Einer Partei, die diese mangelhafte Pandemiebekämpfung wenigstens mitverantwortet, möchte ich nicht weiter angehören. …

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