Tichys Einblick
Die Cannabis-Amnestie legt Justiz lahm

Cannabis-Legalisierung: 270.000 alte Straffälle müssen überprüft werden

Wegen der Cannabis-Amnestie gerät die Strafverfolgung noch mehr ins Stocken – auch die Aufdeckung von Straftaten im Bereich des Straßenhandels. Oft jahrelanger Streit um einen Asylstatus oder die Anfechtung von Ausweisungen überfordern die Justiz sei Jahr und Tag. Der Rechtsstaat wird noch mehr zu einem aufgeblähten Rechtswegemonster.

picture alliance / ZUMAPRESS.com | Sachelle Babbar

Als am 1. April 2024 das „Cannabisgesetz“ der „Ampel“ in Kraft trat, feierte die Cannabis-Community lauthals auf den Straßen. Siehe „Konsumcannabisgesetz – KcanG“ (www.gesetze-im-internet.de/kcang/BJNR06D0B0024.html) Danach ist Cannabis im Betäubungsmittelgesetz von der Liste der verbotenen Substanzen gestrichen. Erwachsene dürfen bis zu 25 Gramm Cannabis in der Öffentlichkeit bei sich haben. Zu Hause sind der Besitz von bis zu 50 Gramm getrocknetes Cannabis sowie bis zu drei Cannabispflanzen pro erwachsener Person erlaubt.

Die auf die weitgehende Cannabis-Freigabe folgenden gewaltigen Kollateralschäden interessierten damals und auch vorab niemanden. Selbst Justizminister Marco Buschmann (FDP), einen der großen „liberalen“ Befürworter der Freigabe, nicht: Dass der kriminellen Clan- und Händlerszene neue Chancen eröffnet wurden; dass die polizeiliche Überwachung jetzt noch komplizierter werden würde; dass gerade bei jungen Leuten die Hemmschwellen beim „Ausprobieren“ fallen würden; dass die mit dem Cannabis-Gesetz parallel laufende Amnestie für Alt-Fälle Teile der Justiz lahmlegen würden usw.

Das Portal LTO (Legal Tribune Online) hat zur Belastung der Justiz im Zusammenhang mit der Amnestie recherchiert bzw. im Oktober eine Umfrage unter den 16 Ländern initiiert und schreibt am 28. Oktober „Neues Cannabisgesetz bringt Justiz ins Schwitzen.“

Das LTO-Ergebnis: Bundesweit mussten bzw. müssen rund 270.000 Akten im Hinblick auf einen Straferlass händisch geprüft worden. Nahezu alle deutschen Länder beklagen deswegen einen erheblichen Arbeitsaufwand bei ihren Staatsanwaltschaften und teilweise Gerichten. Geschuldet ist dieser Mehraufwand im Wesentlichen einer Amnestie-Regelung, die für vor dem 1. April 2024 begangene Cannabis-Straftaten gilt und in den Artikel 313 und 316p des Einführungsgesetzes zum Strafgesetzbuch (EGStGB) geregelt ist. Danach sind noch nicht vollstreckte Strafen zu erlassen, wenn die der Strafe zugrunde liegende Tat nicht mehr strafbar ist. In Artikel 316p, der bereits vor dem 1. April entsprechend eingefügt wurde, heißt es wörtlich: „Im Hinblick auf vor dem 1. April 2024 verhängte Strafen nach dem Betäubungsmittelgesetz, die nach dem Konsumcannabisgesetz oder dem Medizinal-Cannabisgesetz nicht mehr strafbar und auch nicht mit Geldbuße bedroht sind, ist Artikel 313 entsprechend anzuwenden.“ Siehe www.gesetze-im-internet.de/stgbeg/

Amnestie bedeutet, dass die Verurteilten die Strafen nicht mehr bezahlen oder verbüßen müssen. Haftentschädigungen hingegen sind nach Ansicht der Bundesregierung unwahrscheinlich, da unter anderem die Voraussetzungen einer solchen Entschädigung nach dem Gesetz über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen nicht vorliegen dürften. Warten wir mal ab, wie findig Anwälte hier noch werden.

Im Detail berichtet LTO folgende Zahlen

In den 16 deutschen Ländern mussten und müssen fast 270.000 Akten überprüft werden. Dabei gab es insgesamt auch mehr als 100 vorzeitige Haftentlassungen:
– In Bayern waren im Hinblick auf den Straferlass ca. 41.500 Akten händisch zu prüfen. Bis zum 15. Juni 2024 seien insgesamt 33 Gefangene, neun davon anlässlich von Neufestsetzungsverfahren, entlassen worden.

Auch wenn die Überprüfung der Verfahren in einigen Ländern bereits abgeschlossen ist, graut es vielen Justizverwaltungen schon vor dem Jahreswechsel. Dann steht erneut Mehrarbeit ins Haus: Denn ab dem 1. Januar 2025 haben wegen „Cannabis“ Verurteilte die Möglichkeit, bei den Vollstreckungsbehörden Anträge auf Löschung von cannabis-relevanten Einträgen aus dem Führungszeugnis zu stellen.

Vom Rechtsstaat zum Rechtswegemonster

Voraussichtlich werden die Landesjustizminister auf ihrer Herbstkonferenz (JuMiKo) am 28. November 2024 den Druck auf den Bundesgesetzgeber erhöhen. Dem Vernehmen nach wird man sich nämlich auf der JuMiKo mit der Frage befassen, ob der Gesetzgeber tätig werden muss, um den Strafverfolgungsbehörden die bisherigen strafprozessualen Möglichkeiten in der Bekämpfung der auf den Handel mit Cannabisprodukten gerichteten Organisierten Kriminalität zu sichern.

Das größte Ärgernis aber dürfte sein und bleiben: Wegen der Cannabis-Amnestie müssen andere staatsanwaltschaftliche und gerichtliche Aufgaben zurückgestellt werden. Die Strafverfolgung gerät noch mehr ins Stocken – auch die Aufdeckung von Straftaten im Bereich des Straßenhandels. Und die oft jahrelangen Streitereien um die Anerkennung eines Asylstatus oder die Anfechtung von Ausweisungen überfordern die Justiz ohnehin sei Jahr und Tag. Der Rechtsstaat wird noch mehr zu einem aufgeblähten Rechtswegemonster.

Die Öffentlichkeit soll es nicht erfahren. März 2024 meinte das ZDF bagatellisierend zu „wissen“: Cannabis-Altfälle – Das große Justiz-Jammern.

Dann ist ja alles gut. Gehen Sie ruhig weiter, es gibt nichts zu sehen.

TE hat mal nachgerechnet: Die Cannabis-Amnestie „kostet“ die Justiz mindestens zweihunderttausend Arbeitsstunden. Das ist die Jahresarbeitszeit von 120 bis 150 Justizbeamten, Staatsanwälten und Richtern.

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