Tichys Einblick
Bürokratiemonster

Die Cannabis-Legalisierung bringt die Justiz an die Grenze

Kritiker hatten gewarnt, dass die Amnestieregelung bei Cannabis zu einem „Bürokratiemonster“ führe. Jetzt müssen zehntausende Justizverfahren neu aufgerollt werden. Die meisten Akten werden händisch überprüft, die Behörden ächzen.

IMAGO / Bihlmayerfotografie

Bereits Mitte März, einen halben Monat vor der Cannabis-Legalisierung, warnte die Tagesschau vor unbekannten Konsequenzen. Problematisch könnten vor allem die juristischen Folgen sein. Das Gesetz stelle ein „Bürokratiemonster“ dar, sagte Berlins Justizsenatorin Felor Badenberg gegenüber dem ARD-Politikmagazin Kontraste. Badenberg forderte die Streichung der Amnestieregelung, oder wenigstens eine verlängerte Übergangsregelung, um die Vielzahl der Fälle zu bearbeiten. Die Justizministerien der Länder gingen nach Informationen des Magazins davon aus, dass „zehntausende“ Verfahren von der Amnestie betroffen seien.

Die Überlastung der Justiz sei besonders deswegen zu erwarten, weil die Vollstreckungsverfahren einzeln geprüft werden müssten. Die Berliner Staatsanwaltschaft allein müsste 3.500 Verfahren darauf untersuchen, ob rechtskräftige Urteile ganz oder teilweise unter die Amnestieregelung fielen. Badenberg: „Man muss schauen, welche Akten einschlägig sein könnten. Dann müssen diese Akten aus den Archivräumen, aus den Kellerräumen erst mal zusammengetragen werden und dann müssen sie manuell gesichtet werden.“

Nun zeigt sich, dass dieser Warnruf berechtigt war. Denn unter genau diesem Problem, das die Cannabis-Legalisierung bringt, ächzen die Behörden. Das bestätigt ein Bericht der Tageszeitung Welt. Die zu prüfenden Verfahren lägen in den Bundesländern im sechsstelligen Bereich. Das Justizministerium Nordrhein-Westfalens etwa spricht auf Anfrage von 60.000 Verfahren, die infrage kommen. Niedersachsen listet 16.100 Fälle auf. Aus dem bayerischen Justizministerium heißt es, man müsse mehr als 29.000 Akten prüfen. In Mecklenburg-Vorpommern sind es 6.500 Verfahren. „Eine derartige rückwirkende Amnestie ist in der deutschen Geschichte aus guten Gründen ein absoluter Exot“, sagte ein Sprecher des Bremer Justizministeriums.

Auf den ersten Blick erscheinen die Zahlen der freigelassenen Häftlinge gering. Mindestens 64 Häftlinge kamen laut Rücklauf aus den Ländern auf freien Fuß – Bayern etwa entließ 24 Gefangene, Baden-Württemberg 20 Häftlinge, Hessen neun Straftäter. Doch jedes Verfahren müsse „händisch“ geprüft werden. Der zeitliche Aufwand nur bei den Staatsanwaltschaften schwanke zwischen 15 und 60 Minuten pro Akte, gibt etwa das Justizministerium Baden-Württembergs an. Der bayerische Justizminister Georg Eisenreich (CSU) sagte: „Die Teil-Legalisierung von Cannabis geht grundsätzlich in die falsche Richtung.“ Die Neuregelung sei äußerst kompliziert ausgestaltet, sie enthalte allein 37 Bußgeldtatbestände, mehr als doppelt so viele als bisher.

Bisher hat nur Bayern einen Bußgeldkatalog ausgearbeitet. So fallen 500 Euro für den Cannabiskonsum in der Nähe von Schulen und Kindergärten an. Auch bei Volksfesten oder in öffentlichen Einrichtungen wie dem Englischen Garten ist dieser verboten. Eine bundesweite Regelung existiert dagegen nicht.

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