Russland, konkret die russische Chartergesellschaft für Antonow-Jumbos, vermietet ab 2019 keine ihrer zwölf Antonows mehr an die NATO. Als Begründung wird angegeben, dass die Gesellschaft künftig nur noch zivile Güter transportieren wolle. Die Frage zu stellen, ob Putin damit zum radikalen Pazifisten geworden sei oder er sonstwie dahinterstecke, ist müßig. Natürlich steckt er dahinter. Oder glaubt irgendjemand in der NATO, das habe nichts mit den Sanktionen des Westens gegen Russland zu tun und die russische Chartergesellschaft habe den Vertrag auf eigene Faust gekündigt? Offen bleibt die Frage, ob die Ukraine, die sieben Antonows vermieten konnte, einspringt.
Das tut so oder so weh, denn der Lufttransport schweren militärischen Geräts ist die Achillesferse der NATO. Mit der Antonow AN-124 transportieren Bundeswehr und andere westeuropäische NATO-Staaten immerhin seit mehr als zehn Jahren militärisches Großgerät in Einsatzgebiete wie Afghanistan oder Mali. Die AN-124 kann bis zu 150 Tonnen Nutzlast aufnehmen und dann etwa 5.000 Kilometer befördern. Die US-Amerikaner sind von der russischen Kündigung übrigens nicht betroffen, denn sie verfügen über die der Antonow ebenbürtige „Galaxy“ Lockheed C-130, die 120 Tonnen Nutzlast 9.000 Kilometer weit transportieren kann.
Die AN-124, die zu diesem Zweck die Bugnase samt Pilotenkanzel nach oben klappen kann, ist in der Lage, schwere Geschütze, sogar Panzer und Hubschrauber zu transportieren. Für die Bundeswehr tat sie dies vom Flughafen Leipzig/Halle aus; dort standen stets zwei AN-124 abrufbereit zur Verfügung, weitere Flugzeuge konnten hinzugebucht werden. Der seit mehr als vierzig Jahren im Einsatz der Bundeswehr befindliche Transall-Flieger C-160 (Nutzlast: 16 Tonnen; Reichweite: 1.800 Kilometer) und auch der neue Transportflieger A400M (Nutzlast 37 Tonnen; Reichweite: 4.500 Kilometer), der immer noch Kinderkrankheiten an sich hat und eigentlich schon seit zehn Jahren voll einsatzfähig hätte sein sollen, können nicht annähernd das leisten, was eine AN-124 bzw. eine „Galaxy“ können.
Laut Aussagen aus dem Bundesverteidigungsministerium berührt die Kündigung zum Jahresende 2017 nicht die Verlegungsaktion, die die Bundeswehr im Sommer 2018 vor sich hat, nämlich die Rückführung von vier NH90-Transporthubschraubern und vier „Tiger“-Kampfhubschraubern, die gegenwärtig in Mali stationiert sind.
Aber ab 2018 sind bislang keine Alternativen in Sicht. Damit hätte man vor Jahren kalkulieren können und müssen. Statt sich in die Abhängigkeit Russlands zu begeben, wäre zumindest von Deutschland, Frankreich und England entweder der Bau eines Großtransporters, der mehr hergibt als der A400M, zu planen gewesen. Oder aber man hätte sich mit einem Kauf der US-amerikanischen „Galaxy“ anfreunden müssen.
Dass Deutschland als das wirtschaftlich stärkste Land Europas damit erneut dokumentiert bekommt, wie militärisch lendenlahm und nun auch flügellahm es ist, kann gewiss nicht allein der amtierenden Verteidigungsministerin angekreidet werden, aber durchaus einer seit mehr als zwölf Jahren amtierenden Kanzlerin. Indes hat von der Leyen in den nunmehr gut vier Jahren ihrer Ministertätigkeit außer Kitas für die Bundeswehr und der Einführung von Umstands-Uniformen für 400 schwangere Soldatinnen eigentlich nichts auf die Reihe gebracht. Nun hat sie die Bundeswehr auch noch für die schnelle Eingreiftruppe der NATO angeboten; und dem Vernehmen nach wollte sie die Bundeswehr – offenbar von der Kanzlerin gestoppt – auch in die aktuellen Luftschläge gegen Assad einbringen.
Nein, von der Leyen sollte sich mal nachdrücklich und nachhaltig dafür einsetzen, dass alle sechs fahruntüchtigen U-Boote wieder in See stechen können, dass die 60 Prozent einsatzunfähigen Panzer wieder startklar werden, dass die Hubschrauberpiloten der Bundeswehr ihre Lizenzen nicht mit Helikoptern des ADAC erneuern müssen, dass es wenigstens nicht an Schutzwesten, Winterbekleidung und Zelten fehlt und …. und … und …. Stets neue Angebote, die lahmende Bundeswehr in Marsch zu setzen, mögen von der Leyens ehrgeizige Ambitionen, NATO-Generalsekretärin zu werden, befördern; die Einsatzfähigkeit der Bundeswehr befördern sie nicht.
Wenn von der Leyen jetzt mit der ihr eigenen publizistischen Dynamik ein großes Investitionsprogramm für die Truppe ankündigt, dann ist das kaum mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein oder allenfalls Schaufensterpolitik. Es ist die Rede von einer Investition in hoher dreistelliger Millionenhöhe und von 18 Großprojekten zu je mindestens 25 Millionen Euro. Schätzen wir mal: Es geht um 500 bis 800 Millionen, konkreter wird die Ministerin nicht. Angeschafft sollen werden: Drohnen, Raketenwerfer, Rettungshubschrauber und anderes mehr. Auch vom Kauf von sechs Hercules-Transportmaschinen C-130J der US-Herstellers Lockheed ist die Rede. Liest sich auf den ersten Blick alles flott. Nur sollte man wissen, was man damit alles (nicht) anfangen kann. Ein Rettungs- oder Kampfhubschrauber kostet im Einzelpreis um die 40 Millionen, ein großer Transportflieger um die 200 Millionen. Da ist der „hohe dreistellige Millionenbetrag“ schnell dahingeschmolzen.
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