Tichys Einblick
Im Kessel von Kabul

Taliban haben Flughafen abgeriegelt: Die Bundeswehr-Flieger sind da – aber es ist zu spät

Nach tagelangem Warten erreicht die Bundeswehr doch noch Kabul. Doch es ist zu spät: Die Taliban haben den Flughafen abgeriegelt und durchsuchen die Stadt nach Kollaborateuren und teils wohl auch nach westlichen Staatsbürgern. Für Heiko Maas & Co. ist das mehr als nur ein Rücktrittsgrund.

IMAGO / Henning Scheffen

Der deutsche Vize-Botschafter Hendrik van Thiel empfahl wohl schon seit einiger Zeit eine rasche Evakuierung aus Kabul und warnte vor der Gefahr in Afghanistan. Seine Warnungen trafen aber im Auswärtigen Amt auf taube Ohren. Wie das ARD-Hauptstadtstudio berichtet, schrieb er kurz vor dem Fall Kabuls: „Wenn das an irgendeiner Stelle diesmal schiefgehen sollte, so wäre dies vermeidbar gewesen.“

Regierung nicht nur unfähig, auch unernst
Die Unernsten: Es ist Krise und die Verteidigungsministerin backt Flammkuchen
Die Katastrophe von Kabul wäre, was deutsches Personal angeht, vermeidbar gewesen. Noch vor drei Tagen, am Freitag, hätte ein Flugzeug für eine Rettungsaktion abheben und Ortskräfte ohne größere Probleme ausfliegen können – aber das geschah nicht. Nicht nur drei Tage hatte die Bundesregierung Zeit, sondern drei ganze Monate vergingen nach Abzug der Bundeswehr, ohne dass das betroffene Personal in Sicherheit gebracht wurde. Bis zuletzt wollte man die Botschaft offenlassen – wohl auch als politisches Signal. Bis zuletzt hoffte man, die Ortskräfte könnten einfach in Taliban-freien Gegenden bleiben. Doch die gibt es nicht mehr.
Dieses Versagen wird nun zu Toten führen

Denn während Heiko Maas auf Twitter feiert, dass sich die Lage am Flughafen „weiter stabilisiert“, riegeln die Taliban das Flughafen-Gelände ab mit immer schwererem Militärgerät. Der Flughafen ist nun von Taliban-Checkpoints umringt. Selbst wenn also die vielbeschworene Luftbrücke nach Kabul endlich steht, können viele nicht evakuiert werden, weil sie nicht zum Flughafen durchkommen. In manchen Berichten heißt es, die Taliban würden zumindest ausländische Staatsbürger zum Flughafen durchlassen. Andere Meldungen besagen, Taliban-Kämpfer würden bereits niemanden ohne Erlaubnis der „neuen Regierung“ ausreisen lassen.

Augenzeugen berichten, wie die Taliban an den Flughafen-Gates auf Zivilisten schießen, während NATO-Soldaten auf dem Rollfeld stehen. Wenn selbst Afghanen mit US-Greencards wohl nicht mehr in den Flughafen kommen, wie sollen es dann afghanische Ortskräfte der Bundeswehr schaffen? In Presseberichten heißt es, die Taliban gehen bereits von Haus zu Haus und machen Listen mit „Kollaborateuren“, die dann nach Abflug der Ausländer getötet werden sollen. Das ist die Situation für hunderte afghanische Mitarbeiter der Bundeswehr und ihre Familien – von Deutschland zurückgelassen.

Der Außenminister zu Afghanistan
Heiko Maas übt tapfer Selbstkritik – an den anderen
Doch auch die zurückgebliebenen deutschen Staatsbürger befinden sich in Lebensgefahr. Es heißt zwar, die Taliban würden Ausländer noch verschonen, aber auch das kann sich sehr schnell ändern – ganz davon abgesehen, dass es keine Garantie gibt, dass sich alle Taliban-Kämpfer in Zurückhaltung üben. Das Wall Street Journal berichtet davon, wie Taliban in einem Hotel bereits einer Kanadierin und ihrem afghanischen Ehemann einen Besuch abstatteten. Ein Amerikaner berichtet, wie er Taliban-Kämpfer vor seinem Haus in der Nähe des Diplomatenviertels patrouillieren sah. Mehrere Taliban stritten darüber, wer ein Gebäude mit ausländischen Arbeitern kontrollieren würde. Für die in Kabul festsitzenden Deutschen dürfte es nur noch eine Frage der Zeit sein, bis sie ins Fadenkreuz der Taliban geraten.

Es ist die gleiche Bundesregierung, die 2015 noch moralisch hochtrabend hunderttausende Migranten unkontrolliert aus EU-Staaten nach Deutschland holte, die jetzt keine große Notwendigkeit darin sieht, überhaupt nur deutsche Staatsbürger und enge Mitarbeiter aus Taliban-Gebiet zu retten. Jetzt geht es nicht um viele, aber um solche, die tatsächlich politisches Asyl verdienen oder zumindest die Möglichkeit aus dem Kessel von Kabul zunächst in ein Nachbarland gebracht zu werden. Doch hier versagt die Bundesregierung auf ganzer Linie, zögert den Start von Evakuierungsfliegern über Tage und Wochen hinaus. Stattdessen spricht man jetzt schon wieder von einer Flüchtlings- und Migrationswelle.

Erneut befasst sich die Bundesregierung mit dem großen Allgemeinen, anstatt im kleinen Konkreten zu handeln. Dieses Versagen ist und wird in den nächsten Tagen tödlich, auch wenn man die Zahl der Toten und Zurückgelassenen wohl nie erfahren, wohl je ihre Geschichten hören wird. Mindestens Heiko Maas sollte daraus politische Konsequenzen ziehen.

Anzeige
Die mobile Version verlassen