Die Bundeswehr ist im Laufe der letzten zwei Jahrzehnte zu einer Armee mit Auslandseinsätzen geworden. Es begann 1999 mit der Beteiligung der Bundeswehr mit 800 Mann an der Kosovo Force der NATO (KFOR). Später entstanden die heutigen Schwerpunkte Afghanistan und Mali. In Afghanistan kommen seit 2015 in Fortsetzung des Ende 2014 abgeschlossenen ISAF-Einsatzes (ISAF = International Security Assistance Force) aktuell bis zu 1.300 deutsche Soldaten im Rahmen von „Resolute Support“ zum Einsatz. Bei ISAF waren es zwischen 2001 und 2014 phasenweise bis zu 5.350 deutsche Soldaten.
Ab 2013 folgte die EU-Trainingsmission in Mali mit bis zu 300 Bundeswehrangehörigen. Ebenfalls ab 2013 sind an die 1.100 deutsche Soldaten in der „Multidimensional Integrated Stabilization Mission“ in Mali (MINUSMA) tätig. Insgesamt gibt es dort im Rahmen einer Mission der Vereinten Nationen (VN) rund 11.000 Blauhelmsoldaten sowie Polizisten und Zivilpersonal. Die VN-Mission MINUSMA soll zur Stabilisierung Malis beitragen. Die Soldaten haben ein robustes Mandat, das auch den Einsatz von Waffen erlaubt. Mit bis zu 800 Soldaten beteiligt sich Deutschland ferner in Syrien und im Irak am Kampf der NATO gegen den „Islamischen Staat“.
Einige Auslandseinsätze der Bundeswehr, vor allem die Missionen in Afghanistan und Mali, können durchaus als Kriegseinsätze bezeichnet werden, auch wenn der Begriff „Krieg“ bis 2009 selbst von den damaligen Verteidigungsministern Jung und zu Guttenberg gemieden wurde. Die Zahl von 53 allein in Afghanistan getöteten deutschen Soldaten spricht hier eine eindeutige Sprache. Daneben sind die Soldaten in den anderen Auslandsaktivitäten im Wesentlichen mit Ausbildungsaufgaben für befreundete Armeen, mit Verbindungs- und anderen Aufgaben befasst. Durch Vor- und Nachbereitung der Einsätze kann die Anzahl der Soldaten, die unmittelbar betroffen sind, mit circa 10.000 bis 12.000 veranschlagt werden. 12.000 bei einer Gesamt-Truppenstärke der Bundeswehr von insgesamt circa 180.000 Soldaten, das sind nicht einmal 7 Prozent der Mannschaftsstärke. Das sollte keine Überforderung darstellen. Für einzelne Einheiten wird das zutreffen, aber nicht für die Armee als Ganzes.
Oft erfordern Besuche mehr Aufwand als der eigentliche Einsatz
So viel zu den Fakten! Wie aber ist die Anbindung dieser deutschen Einheiten an die Politik und an die Öffentlichkeit in Deutschland? Klar, eine Anbindung muss sein. Alltäglich erfolgt sie über Berichte der Kommandeure an das Bundesministerium der Verteidigung über das Einsatzkommando der Bundeswehr. Das Ministerium hat dann die Aufgabe, die Rechte des Parlaments und der Öffentlichkeit auf ehrliche und transparente Lageberichte zu befriedigen.
Darüber hinaus ist es Teil der Dienstaufsichts- und Fürsorgepflicht der militärischen und der politischen Führung, sich von Zeit zu Zeit vor Ort ein Bild zu machen. Aber nicht nur ein Bild zu machen, sondern durch persönliche Besuche Empathie für die Soldaten zu bekunden. Die Psychologie spielt dabei eine große Rolle. Dazu gehören Besuche des Generalinspekteurs bzw. der Inspekteure der betroffenen Teilstreitkräfte, Besuche des Wehrbeauftragten, Besuche des jeweiligen Verteidigungsministers, des Bundesaußenministers und gelegentlich Besuche von Bundeskanzler und/oder Bundespräsident. Das ist eine ganze Menge an Besuchern, die obendrein zumeist mit einem Tross an Abgeordneten und Journalisten einhergehen.
Damit aber beginnen die Probleme. Gut gemeint ist nicht immer gut gemacht. Und nicht selten geht es den Besuchern mehr um das eigene Image und weniger um die Einsatzsoldaten. Außerdem nehmen viele – vom Journalisten über den Abgeordneten bis zum Minister – ein oft wenig realistisches Bild vom Einsatz der Bundeswehrsoldaten, nicht selten auch ein geschöntes Zerrbild mit nach Hause.
Vor allem aber halten solche Besuche die Einheiten vor Ort in Atem und lenken sie von ihren eigentlichen Aufgaben ab. Solch ein Gefechtsfeldtourismus (Soldatenjargon!) von Politik und Medien ist insofern vor Ort ungern gesehen. Was bekommen die Besucher auch zu sehen? In den Feldlagern etablierte Fitnesssalons, Tanzkurse und Beachclubs vermitteln einen bizarren Eindruck der Einsatzrealitäten. Von den zum Teil erheblichen Spannungen innerhalb der Truppe und vor allem außerhalb der Camps ist kaum was zu spüren. Der damalige Wehrbeauftragte Hellmut Königshaus etwa stellte in diesem Zusammenhang in seinem Jahresbericht für 2011 sogar eine „besorgniserregende Dimension“ der Zustände fest und sah durch die Besucherströme den Zusammenhalt ganzer Einsatzkontingente bedroht.
Davor und danach war das kaum anders. Wenige Beispiele von vielen möglichen: Der erste kommandierende General des Bundeswehrkontingents im Kosovo, Brigadegeneral Helmut Harff, stellte 1999 fest: „Es waren 500 Besuche. Manche waren sinnvoll. Aber einzelne Politiker hofften nur auf Medienpräsenz und besuchten, optisch eindrucksvoll, mit den Fernsehteams die Krankenhäuser“ (Spiegel 4/2000). Im April 2004 etwa meinte Schleswig-Holsteins Ministerpräsidentin Heide Simonis im Feldlager „Camp Warehouse“ in Kabul auftreten zu müssen. Presse- und vor allem fotowirksam betätigte sie sich sogar als „Mutter der Kompanie“ in der Feldküche. Im Dezember 2010 reiste der damalige Verteidigungsminister zu Guttenberg samt Ehefrau Stephanie und Talkshow-Moderator Johannes B. Kerner kurz vor Weihnachten nach Afghanistan. Es war sein siebter Besuch dort. Fast zur gleichen Zeit traten Außenminister Westerwelle, der SPD-Vorsitzender Gabriel und Kanzlerin Merkel auf. Allein 2010 wurden in Afghanistan 40 deutsche Delegationen, bestehend aus Ministern, Staatssekretären und Abgeordneten, gezählt.
Geändert hat sich daran nichts. Offenbar völlig unkoordiniert reisen Kabinettsmitglieder aktuell nach Afghanistan und Mali. Außenminister Maas tat es Ende Februar 2019 in Mali, wo er wegen eines defekten Regierungsfliegers vorübergehend festsaß. Zwei Monate später kreuzte Merkel dort auf. In der Zwischenzeit begab sich Maas nach Afghanistan, um dort ein „klares Zeichen für deutsche Verantwortung“ zu setzen und im Touristenzivil dem Gedenkhain für die 53 in Afghanistan gefallenen Soldaten einen Besuch abzustatten. (Bild dazu siehe: hier)
Bereits im Jahr 2008 hatte der Ex-Elitesoldat Achim Wohlgethan in seinem Buch „Endstation Kabul“ ausgepackt. Er hatte darin unter anderem den Aufwand dargestellt, den die Besuche von Politikern oft nur für einen einzigen Besuchstag provozierten: „Wege wurden extra angelegt, Soldaten zur Sicherung von Stadttouren abgestellt, sie mussten schicke Präsentationen erstellen und den Sermon der Politiker über sich ergehen lassen. Da wurde das Verpflegungszelt geschlossen, und die Tische wurden eingedeckt wie in einen Fünf-Sterne-Hotel. Zelte wurden extra klimatisiert …“ Ein anderer, nicht namentlich in Erscheinung getretener Soldat kommentierte die „plumpe Eigen-PR vieler Besucher und ihrer Hofberichterstatter“ mit der Bemerkung: „Fehlt nur noch Frau Katzenberger.“
Müssen all diese Besuche sein? Ja, soweit es Dienstaufsicht und Fürsorgepflicht gebieten. Das heißt aber nicht, dass im wahrsten Sinn des Wortes Heerscharen von Abgeordneten mit Journalisten im Tross anreisen. Damit wird der Begriff bzw. das Prinzip „Parlamentsarmee“ überstrapaziert. Die Bundeswehr braucht keine 709 mitkommandierenden Bundestagsabgeordneten. Die Armee gehört zur Exekutive, wie es in allen anderen entwickelten Staaten dieser Welt auch ist. Mithin ist es Sache der Bundesregierung, zusätzlich des Wehrbeauftragten, sich um die Sorgen und Nöte der Soldaten im Einsatz zu kümmern.
Josef Kraus / Richard Drexl, Nicht einmal bedingt abwehrbereit. Die Bundesrepublik zwischen Elitetruppe und Reformruine. FBV, 240 Seiten, 22,99 €.
Empfohlen von Tichys Einblick. Erhältlich im Tichys Einblick Shop >>>