Tichys Einblick
Konsum mit Anstand

Lieferkettengesetz hilft den Ausgebeuteten nicht, aber schadet der Wirtschaft

Unternehmen und NGOs sollen Umwelt- und Sozialnormen entwickelter Länder weltweit durchzusetzen. Den Menschen in wenig entwickelten Ländern hilft das nicht. Stattdessen werden demokratische Willensbildungsprozesse und Institutionen in den betroffenen Ländern infrage gestellt.

IMAGO / Political-Moments

Es gebe eine Verantwortung Deutschlands, die Globalisierung „fair und menschlich“ zu gestalten. Sie beruhe darauf, dass Deutschland wie kein anderes Land von der arbeitsteiligen Weltwirtschaft profitiere, so Bundessozialminister Hubertus Heil (SPD). In Ländern wie Äthiopien, mit denen Deutschland intensive Handelsbeziehungen habe, herrschten teilweise Arbeitsbedingungen wie in der hiesigen „frühkapitalistischen Hölle“ vor 150 Jahren. Weltweit würden 25 Millionen Menschen in Zwangsarbeit ausgebeutet, 152 Millionen Kinder seien Opfer von Kinderarbeit, und die Schädigung der Umwelt sei in internationalen Lieferketten noch immer oft „Teil des Geschäftsmodells“.

Um diese Verantwortung wahrzunehmen, entwickelte er gemeinsam mit Bundesentwicklungsminister Gerd Müller (CSU) das nun vom Bundestag mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und Grünen verabschiedete Lieferkettengesetz. Ab 2023 sollen deutsche Unternehmen mit mehr als 3000 Mitarbeitern, wie auch vergleichbare ausländische Unternehmen mit Zweigniederlassung oder Tochterunternehmen in Deutschland, soziale Missstände bei direkten Zulieferern im Ausland verhindern. Ansonsten drohen Bußgelder und andere Sanktionen. Betroffene in ausländischen Zulieferunternehmen sollen zukünftig – mit Hilfe von NGOs und Gewerkschaften – vor deutschen Gerichten Ansprüche durchsetzen können. In dieser Hinsicht gebe es, so Heil, „kein Gesetz auf der Welt und in Europa, das so ambitioniert ist, wie das deutsche Lieferkettengesetz“. Auch sei dieses Gesetz nur der Beginn, denn einem der „großen Erfolge“ der deutschen EU-Ratspräsidentschaft im letzten Jahr sei zu verdanken, dass es bald ein deutlich schärferes EU-Lieferkettengesetz geben wird.

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Die Einführung derartiger Lieferkettengesetze ist ein Phänomen jüngeren Datums und insofern können Müller, Heil und die EU tatsächlich eine Vorreiterrolle beanspruchen. Allerdings werden Unternehmen schon seit Jahrzehnten zunehmend in Anspruch genommen, Umwelt- und Sozialstandards, die oft auf globalen Vereinbarungen beruhen, in anderen Ländern durchzusetzen. Bisher geschieht dies jedoch kaum auf gesetzlicher Grundlage, sondern durch Selbstverpflichtungen der Unternehmen. Diese freiwilligen und manchmal nicht ganz freiwilligen Akte dienen den Unternehmen zu einem guten öffentlichen Image, der Vermeidung von Reputationsschäden (oft indem man auf den Druck von NGOs reagiert oder sogar mit ihnen enge Kooperationen eingeht) oder sie dienen dazu, gesetzlichen Regelungen vorzubeugen. Um harter Gesetzgebung zuvorzukommen, hatten sich beispielsweise Kakaohersteller in dem von der US-Regierung vermittelten Harkin-Engel-Protokoll von 2001 verpflichtet, schwere Kinderarbeit in den Kakao-Anbauregionen drastisch einzudämmen.
Übergriffige Gesetzgebung

Nun werden also Gesetze formuliert, die die Unternehmen dazu zwingen sollen, in anderen Ländern soziale und ökologische Normen durchzusetzen, die hiesige Regierungen für richtig halten. Das erfolgt ganz unabhängig davon, ob die Regierungen und Bevölkerungen der betroffenen Länder die in Deutschland entwickelte konkrete Herangehensweise selbst wollen – oder stattdessen vielleicht andere Prioritäten setzen, um die wirtschaftliche und soziale Entwicklung voranzutreiben. Völlig zurecht kritisiert daher der Hauptgeschäftsführer des Afrika-Vereins der deutschen Wirtschaft, Christoph Kannengießer, diese Herangehensweise als „paternalistischen Ansatz“, der darauf hinauslaufe, dass die Europäer den Afrikanern erklären, was „richtig“ sei. Es sei fraglich, ob das zu der von Müller propagierten „Partnerschaft auf Augenhöhe“ passe.

Dass es inzwischen legitim erscheint, hiesige Unternehmen und mit ihnen NGOs, die ihnen auf die Finger schauen sollen, voranzuschicken, um in anderen Ländern Politik zu gestalten, beruht auf einem schleichenden Paradigmenwechsel der letzten Jahrzehnte. Müllers Lieferketten-Initiativen, wie zum Beispiel das staatliche Textilsiegel „Grüner Knopf“, basieren nämlich auf einem grundlegenden Wandel des Unternehmensbildes in den entwickelten Volkswirtschaften. Bis in die 1970er Jahre dominierte noch die Vorstellung, dass Unternehmen in erster Linie profitorientiert agieren müssten, um langfristig erfolgreich zu sein. Inzwischen wird erwartet, dass sie im Rahmen ihrer zugeschriebenen gesellschaftlichen Verantwortung soziale, ökologische und ökonomische Aspekte gleichermaßen beachten und dabei über die schlichte Einhaltung gesetzlicher Bestimmungen hinausgehen. Das zugrundeliegende Konzept der Corporate Social Responsibility (CSR) legte die Grundlage für eine Vielzahl weltweiter Selbstverpflichtungsvereinbarungen, in denen sich die Unternehmen – oft, um gesetzlichen Regulierungen zuvorzukommen – als glaubwürdige Partner für die Durchsetzung von Sozial- und Umweltstandards anboten. So können privatwirtschaftliche Organisationen, etwa Unternehmen oder NGOs, die ebenfalls keiner demokratischen Kontrolle unterliegen, als legitime Vertreter des öffentlichen Interesses erscheinen.

Müllers Lieferketten-Initiativen bedienen sich dieses Eindrucks. So erscheint es legitim, wenn die Unternehmen in ihren weltweiten Lieferketten die von ihnen durch Selbstverpflichtung anerkannten oder anderswo gesetzlich festgelegten Standards etablieren. Den Regierungen in den entwickelten Volkswirtschaften eröffnet sich dadurch sogar die Möglichkeit, eigene Umwelt- und Sozialstandards in anderen Ländern durchzusetzen. So können sie die Unternehmen als Vehikel nutzen, um globale Wertschöpfungsketten entsprechend eigener, gegebenenfalls sogar protektionistischer, Vorgaben zu gestalten. Dies bedroht jedoch die Souveränität betroffener Länder. Einerseits sind diese Länder oft aus wettbewerblichen Gründen mit Rücksicht auf das niedrige Wohlstandsniveau und eine vergleichsweise weniger produktive Wirtschaft gezwungen, niedrigere Umwelt- und Sozialnormen als in entwickelten Volkswirtschaften festzulegen. Indem die entwickelten Staaten ihre Unternehmen voranschicken, unterhöhlen sie also die Gestaltungs- und gegebenenfalls sogar die Entwicklungsmöglichkeiten dieser Länder. Die politischen Repräsentanten und gesellschaftlichen Akteure der betroffenen Länder werden dabei gezielt umgangen.

Weltgeltung für deutsches Gesetz?
Das Lieferkettengesetz entzaubert die „Partnerschaft auf Augenhöhe“
Wie sinnvoll Abweichungen von allgemein und global akzeptierten Standards in der Praxis –aufgrund von gesellschaftlichen Realitäten – sein können, hat die gesetzliche Einführung von Kinderarbeit 2014 in Bolivien gezeigt. Damals hatte sich das demokratisch gewählte Parlament über die Richtlinien der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO), wonach Kinderarbeit unter 14 Jahren strikt verboten ist, sowie den Widerstand der ILO hinweggesetzt. Bolivien erkannte dies zwar an, schaffte aber Sonderregelungen für die mehr als 700.000 Kinderarbeiter (bei einer Gesamtbevölkerung von nur gut 10 Millionen Menschen), um deren Status zu legalisieren und ihnen entsprechenden Rechte zu ermöglichen. Unter bestimmten Voraussetzungen und mit Ausnahme besonders gefährlicher Arbeiten galt diese Regelung für Kinder zwischen 10 und 14 Jahren.

Um Kinderarbeit langfristig zurückzudrängen, was weltweit in den letzten 20 Jahren recht erfolgreich gelungen ist, muss das allgemeine soziale Niveau angehoben werden. Entscheidend ist letztlich die wirtschaftliche Entwicklung der betroffenen Länder, denn sie eröffnet den Menschen bessere Erwerbsalternativen. Um weniger entwickelte Länder in dieser Hinsicht zu unterstützen, könnten die politisch Verantwortlichen in Deutschland und der EU einen riesigen Beitrag leisten. Sie könnten die Forcierung einer immer protektionistischeren Handels- und Industriepolitik infrage stellen, die mit Subventionen, Regulierung und Niedrigzinspolitik darauf abzielt, eine riesige Masse unproduktiver EU-Unternehmen durchzuschleppen, und dabei die wirtschaftlichen Chancen von Schwellen- und Entwicklungsländern massiv beeinträchtigt.

Weltgeltung deutscher Gesetze

Die mit den Lieferkettengesetzen einhergehenden Haftungsregeln verstießen gegen völkerrechtliche Grundsätze, denn sie verhülfen dem deutschen beziehungsweise europäischen Recht zu einer „Art haftungsrechtlicher ‚Weltgeltung´“, so der Rechtsanwalt Tobias Bomsdorf. In einem Schadensfall in anderen Ländern (noch dazu verursacht von einem fremden Unternehmen) sei im Sinne des Opferschutzes – wonach sich Geschädigte auf die Geltung der eigenen Rechtsordnung verlassen müssten – nicht fremdes Recht, sondern „vielmehr das Recht desjenigen Staates anwendbar, in dem der Schaden eingetreten ist.“ Dass ausländisches Recht grundsätzlich dieselbe Geltungs- und Daseinsberechtigung habe wie hiesige Rechtsordnungen sei, so Bomsdorf, „ein elementarer völkerrechtlicher Grundsatz“.
Lieferketten-Gesetze sind daher grundsätzlich abzulehnen. Privatwirtschaftliche Organisationen, also weder Unternehmen noch NGOs, die jeweils die Interessen ihrer Eigentümer und Mitglieder verfolgen – denn das ist ihre Existenzberechtigung – dürfen nicht eingesetzt werden, um in anderen Ländern ihre eigene Agenda oder diejenige ihrer Regierungen durchzusetzen. Geschieht dies dennoch, stellt das demokratische Willensbildungsprozesse und Institutionen in den betroffenen Ländern infrage und unterhöhlt deren Einfluss. Müller und Heil sollten in ihrer Rolle als Regierungsvertreter daher den direkten Draht zu ihren Pendants in anderen Staaten suchen. Dann könnten sie einen Beitrag zur „Partnerschaft auf Augenhöhe“ leisten, indem sie im gemeinsamen Interesse beider Seiten wirtschaftliche Rahmenbedingungen für die Unternehmen schaffen. So ließe sich die wirtschaftliche und soziale Entwicklung unter Berücksichtigung der Interessen und Präferenzen der dortigen Menschen voranbringen.


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