Tichys Einblick
Handy-Manie als Ausdruck der Missachtung

Bundestag – kein Ort des guten Benehmens

Ausgerechnet die Bundestagsabgeordneten gehen mit schlechtem Beispiel voran: Im Plenum wird fast ununterbrochen gesimst und gemailt, werden Nachrichten empfangen und ausgesandt. Die Kanzlerin selbst führt die Handy-Unsitte vor.

imago images / Future Image

In dieser Woche schlägt turnusgemäß wieder einmal die Stunde des Parlaments. Die Abgeordneten des deutschen Bundestages, das „Forum der Nation“ wie es Ex-Bundestagspräsident Norbert Lammert pathetisch und salbungsvoll einmal nannte, kommen zu dreitägigen Beratungen zusammen. Diesmal stehen zwei herausragende Momente auf der Tagesordnung. Da ist die Trauer über den plötzlichen und frühen Tod des über alle Parteigrenzen hinweg geschätzten SPD-Politikers und Vize-Präsidenten der Hohen Versammlung Thomas Oppermann heute. Morgen gibt eine Regierungserklärung der Bundeskanzlerin zur aktuellen Corona-Situation und den daraus aus Sicht der Regierung notwendigen weiteren Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie den Auftakt zu einer wichtigen Debatte.

Man sollte annehmen, dass nicht nur in dieser Woche, sondern generell die Sitzungen unseres Parlaments Vorbildcharakter in Benehmen und Gebaren der auf Zeit entsandten Volksvertreter haben.

Leider ist seit längerem das Gegenteil der Fall. Alle diejenigen (ja, das gibt es auch noch), die ihren Kindern beibringen wollen, dass andere Menschen mit ihren Ansichten ein Recht auf Aufmerksamkeit und Achtung ihrer Person genießen, sollten die Bundestagsdebatten meiden. Schaut man freilich in die Reihen der Parlamentarier, bemerkt man, dass sich ein großer Teil der Zuhörer mit ganz anderem beschäftigt. Da wird munter über Reihen hinweg miteinander geschwatzt, da blättert man gelangweilt in irgendwelchen Papieren oder dämmert schlicht vor sich hin.

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Das schlimmste aber ist der Umgang mit der Geißel unserer Zeit, dem Instrument der ständigen Verfügbarkeit – dem Handy! Da wird fast ununterbrochen gesimst und gemailt, werden Nachrichten empfangen und ausgesandt. Besonders die Regierungsbank macht hier keine Ausnahme, wobei die Kanzlerin selbst intensiv die Unsitte anführt. Denn nichts anderes als ein Akt der Missachtung des jeweiligen Debattenredners ist die geradezu demonstrative Ignoranz gegenüber dem Abgeordneten, der da am Pult steht und seine Gedanken vorträgt.

Es ist schon verwunderlich, dass das Bundestagspräsidium diese Flegelhaftigkeiten nicht schon längst unterbunden hat. Nicht zuletzt, weil diese Bilder das Ansehen unserer Volksvertretung beschädigen bei denjenigen (und das sind nicht wenige), die das Geschehen am häuslichen Bildschirm verfolgen. Es geht um einfache Benimmregeln: Schenke deinem Gegenüber Aufmerksamkeit und Achtung, denn er möchte dir etwas mitteilen. Leider hat die Gesprächskultur in den letzten Jahren zunehmend gelitten. Aber zumindest im Parlament sollten solche elementaren Formen des Umgangs miteinander doch noch ihren Platz haben.

Sonst könnte eines nicht allzu fernen Tages im Bundestag das Gleiche zu beobachten sein wie vielerorts in Restaurants. Da sitzt eine Familie, normalerweise definiert als Vater, Mutter plus zwei Kinder, am Tisch. Ein Gespräch scheint überflüssig, denn jeder hat sein elektronisches Kommunikationsinstrument vor sich liegen und ist in die dortigen Vorgänge vertieft. Ein Gespräch kommt nicht zu Stande.

Man kann sich denken, wie sich dieser kollektive Autismus auf die Persönlichkeitsentwicklung unserer Kinder und damit auf die Zukunft unserer Gesellschaft auswirkt. Gerade die Sitzungen des Bundestages könnten eine gute Gelegenheit zur politischen Bildung und zum besseren Verständnis unserer parlamentarischen Demokratie sein.

Heute ist es wohl besser, den Heranwachsenden die Augen zuzuhalten oder das Fernsehgerät gar nicht erst einzuschalten. Aber vielleicht halten sich unsere Abgeordneten für so wichtig, dass sie immer und jederzeit für jeden erreichbar sein müssen, sowie auch selbst immer etwas extrem Bedeutendes zu verkünden haben. Dafür aber wurden sie nicht gewählt. Der Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble sollte einmal darüber nachdenken, „Benimmkurse“ für Abgeordnete zur Pflicht zu machen, um diesen Unsitten auch den Wählern gegenüber zu beenden.

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