Ein neuer Begriff wird die nächsten Monate bestimmen: „der historische Netzbezug“. Er entscheidet darüber, wie viel der Staat von den Stromrechnungen der Bürger und Unternehmen übernimmt. Denn einerseits will die Ampel den „Wutwinter“ vermeiden und die Ausgaben für Energien nicht komplett durch die Decke schießen lassen. Andererseits sollen Bürger und Unternehmen Strom sparen. Deswegen haben sich Robert Habeck (Grüne) und sein Wirtschaftsministerium ein kompliziertes Konstrukt ausgedacht zu den Preisbremsen für Gas und Strom.
Für Wärme sollen die Bürger künftig höchstens 9,5 Cent je Kilowattstunde zahlen, für Erdgas 12 Cent je Kilowattstunde. Das gilt aber nur für 80 Prozent ihres Verbrauchs. Den Rest müssen sie nach Marktlage zahlen. Die Industrie zahlt 7 beziehungsweise 7,5 Cent je Kilowattstunde für Erdgas und Wärme. Aber nur für 70 Prozent ihres Verbrauchs. Nicht sie selbst, sondern ihre Lieferanten rechnen mit dem Staat ab: „Die Lieferanten erhalten insoweit einen Anspruch auf Erstattung gegen die Bundesrepublik Deutschland“, heißt es in dem Gesetz.
Unternehmen, die bis zu 30.000 Kilowattstunden im Jahr verbrauchen, zahlen 13 Cent je Kilowattstunde. Das ist gedeckelt auf „70 Prozent ihres historischen Netzbezugs“. Die Regelungen für Unternehmen mit einem hohen Stromverbrauch und für die Unternehmen, die ihren Strom direkt an der Börse beziehen, sind noch unklar. Krankenhäuser erhalten 6 Milliarden Euro, um die erhöhten Energiekosten auszugleichen, Pflegeheime 2 Milliarden Euro.
An der Gegenfinanzierung will die Ampel die Energieunternehmen beteiligen. Rückwirkend zum 1. Dezember wird der Staat 90 Prozent ihrer Überschüsse abschöpfen. Das gilt vorerst bis zum 30. Juni 2023. Doch schon diese Abschöpfung ist nicht unproblematisch: Sie werde dazu führen, dass weniger im Energiebereich investiert wird, warnt Andreas Jung (CDU). Das gilt für den nationalen Markt.
Doch der Energiemarkt ist international. Das führt in der Europäischen Union zu Problemen. Eine Gruppe von Staaten um Italien und Griechenland fordert, eine Strompreisbremse auf EU-Ebene. Doch Deutschland und die Niederlande sind dagegen. Sie warnen davor, dass wenn die EU die Preise kappt, internationale Lieferanten – etwa aus den USA – ihre Rohstoffe einfach an andere Länder verkaufen. Zum Beispiel an China. Mit höheren Gewinnen. Das könnte die ohnehin gefährdete Versorgung in der EU nochmal belasten. An diesem Donnerstag berät der EU-Gipfel über das Thema, eine Einigung wird es aber voraussichtlich erst später in den Ausschüssen geben.
Der Bundestag hat knapp 90 Minuten über Energiepreise diskutiert. Die Versorgung selbst sprach dabei kaum einer der Abgeordneten an. Obwohl Polen und Deutschland ein Mangel an Kohle droht oder in Baden-Württemberg schon die Alarmzeichen für einen Strommangel ausgelöst worden sind. Dass Gas und Strom fließen, darüber scheinen sich die Abgeordneten im Bundestag sicher zu sein.
Jens Spahn (CDU) greift da später überzeugender an als Jung: Die wirksamste Preisbremse wäre ein Ausbau des Angebots gewesen, sagt der ehemalige Bundesgesundheitsminister. Aktuell beziehe Deutschland zwei Drittel seines Stroms aus Gas und Kohle. „Wie stellen Sie sich das vor, wenn wir nächstes Jahr die Atomkraftwerke vom Netz genommen haben“, fragt er die Ampel. Wind und Sonne tragen derzeit nicht mal zehn Prozent zum Strommix bei. Die Hilfen seien bürokratisch und langsam, kritisiert Spahn. Und die Ampel habe sie so formuliert, dass ein großer Teil der Wirtschaft sie faktisch nicht erhalten werde.
Jetzt mögen sich Leser fragen, warum ein ehemaliger Gesundheitsminister zu Strompreisen spricht. Nun, der aktuelle tat es auch. Robert Habeck war zwar im Bundestag, verzichtete aber darauf, seinen eigenen Entwurf zu verteidigen. Das überließ er Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD). Der lobte Habeck für die „handwerkliche Herausforderung“, einen solchen Entwurf anzufertigen. Und handelte sich einen Tadel von Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) ein. Weil er parallel zur Debatte auf Twitter einen Kleinkrieg mit den Linken angefangen hatte. Sie plädierte dafür, die „Debatten hier zu halten während einer Plenarsitzung und nicht auf Twitter“ – mit klarer Zielrichtung auf ihren Genossen Lauterbach.
Der ehemalige Linken-Chef Klaus Ernst war es, der den Gesetzesentwurf am schärfsten attackierte. Selbst der subventionierte Gaspreis sei nun doppelt so hoch wie vorher. Mit dem nicht subventionierten Anteil würden vor allem die Ärmeren alleine gelassen. Die Regierung solle sich um günstigere Energien kümmern, statt den Preis künstlich zu drosseln. Niedrige Gaspreise hätten bisher für den Wohlstand der Republik gesorgt. Die industrielle Basis des Landes sei jetzt gefährdet.
Auf Ernst reagierten Grüne und Sozialdemokraten mit ihrer wie üblich moralisch getünchten Wut auf andere Positionen. Sie selbst gefielen sich darin, das Thema abstrakt zu halten: „Wir nehmen Geld in die Hand, wir übernehmen Verantwortung und wir lassen niemanden in dieser Krise allein.“ „Wir schaffen Sicherheit.“ „Wir investieren in Solidarität und Fairness.“ Oder: „Wir lassen uns nicht (von Putin) erpressen.“
Die FDP spielt in Ampel und Politik eine Sonderrolle: „Preisbremsen und Gewinnabschöpfung sind genau das Gegenteil, wofür ich mich habe ins Parlament wählen lassen“, sagte Michael Kruse (FDP). Doch die Liberalen stimmten dafür, weil sie in einer Krise wie dieser notwendig seien. Auch forderte er eine „ehrliche Kapazitätsplanung“: Nicht nur die erneuerbaren Energien müssten ausgebaut werden, sondern auch fossile Kraftwerke. Zudem müsse Deutschland sein eigenes Gas fördern, sagt Kruse.
Sagt die FDP. Gemacht hat sie nichts. Im Gesetz steht von fossilen Kraftwerken und Gasgewinnung in Deutschland kein Wort. Auch wenn Lukas Köhler (FDP) der einzige Abgeordnete war, der die heikle Versorgung andeute: „Wenn wir nicht Gas sparen, reden wir in ein paar Monaten über eine Gasmangellage.“ In der FDP ist mehr Sparen das neue Wachstum.