Letztens fragte mich einer: „Halten Sie Gauck für einen guten Präsidenten?“ Ich fragte zurück: „Im Vergleich zu wem?“
Die Riege der Präsidenten
Vor Gauck diente uns Christian Wulff als Bundespräsident. Zur Erinnerung: Wulff war der mit dem Rubikon, den Kai Diekmann angeblich überschritten hatte. Und vor Wulff diente uns Horst Köhler. Zur Erinnerung: Köhler war der mit den „Handelswegen“, die auch mit „militärischem Einsatz“ freizuhalten seien. Nach Köhler und Wulff wählte die Bundesversammlung (darunter politische Autoritäten wie Senta Berger und Ingo Appelt, beide von der SPD entsandt) im Jahr 2012 den DDR-Pfarrer Joachim Gauck, oder wie Nahestehende ihn nennen, den Bürgerrechtler und Theologen Joachim Gauck. Dieser Bürgerrechtler war, auf dem Papier, (auch) Merkels Kandidat. Merkel wurde zu Gauck inspiriert von einem Vorschlag der heutigen außerparlamentarischen Opposition. Während in Österreich der (machtvollere) Bundespräsident vom Volk gewählt wird, entscheiden in Deutschland die Parteien, in der Regel die Parteivorsitzenden, und die „Bundesversammlung“ folgt in der Regel der Vorgabe. Das ist eine schwache Legitimation. Der Präsident ist schwach. Er muss sich sein Ansehen während der Amtszeit verdienen. Hat Gauck Ansehen gewonnen?
Statistisch gesehen besteht für Sie als Bürger der Bundesrepublik eine Drei-Viertel-Wahrscheinlichkeit, dass Sie mit dem Amtsbetrieb des Herrn Gauck zufrieden sind. Vielleicht aber gehören Sie zu jener Ein-Viertel-Minderheit, zu den Gauckkritikern also, oder, wie man neudeutsch sagt, den „Gauckophoben“. Wenn wieder einmal „Großer Gauck, wir loben dich!“ (Idee: Hugo Müller-Vogg) angestimmt wird, schweigen Sie wie Mesut Özil beim Singen der Nationalhymne.
Tatsächlich scheint die Zahl der gauckkritischen Stimmen größer zu werden. Diese Stimmen klingen, wenn die Leute etwas zu verlieren haben, immer extra vorsichtig. Viel „es scheint“ und Konjunktiv in den Sätzen. (In Gebieten mit hoher Arbeitslosigkeit und niedrigem Optimismus klingen die Stimmen inzwischen weniger besonnen.) Die allzu nassforsche Kritik an Gauck kann einen um die Freiheit, mindestens aber um den Job bringen. Schmähgedichte über Gauck sind derzeit nicht zu erwarten. Gott (§166 StGB), Gauck (§90 StGB) und Erdogan (§103 StGB) sind vom Gesetz ähnlich geschützt – aber nur bei Gott und Erdogan wird erwogen, die antiquierten Paragraphen zu streichen.
Gott (§166 StGB) und Erdogan (§103) sollen nicht mehr geschützt werden, nur noch Gauck (§90 StGB)
Kritik am Bundespräsidenten empfinden auch Atheisten, ja gerade (praktische) Atheisten, als latent blasphemisch. Gott mag tot sein, der Präsident aber lebt, im Schloss, und er spricht in eben den Sprachkonstrukten, in denen früher Gott sprach.
Das Amt des Bundespräsidenten hat schon per Design etwas „Göttliches“. Der Präsident soll politisch nicht durch den Schlamm der Ebene waten. Der Präsident soll, obwohl von Parteien ins Amt gehoben, selbst unparteiisch sein. Der Präsident soll das Land einen und ihm moralisch voran- und den Berg hinaufgehen.
Es ist gar nicht so weit hergeholt, den Bundespräsidenten im Allgemeinen und Gauck im Besonderen mit der Funktion Gottes zu vergleichen. Jüngst fand in Leipzig der Katholikentag statt, und die Teilnehmer berichteten übereinstimmend, dass Gauck der prominenteste Anwesende war.
Doch ein Unwohlsein wächst im Land, eine Wut, über Leipzig (und Dresden) hinaus. Wie einer, der mit dem Schicksal hadert und ohnmächtig seine Faust gegen den Himmel schüttelt, so klagen Tausende still – bzw. digital, also auch irgendwie still – über Gauck und seine Amtsführung.
Betrachten wir einige Beispiele, und, um das Phänomen Gauck besser zu verstehen, stellen wir den Beispielen einige Bibelpassagen zur Seite.
Wir beginnen noch vor Adam und Eva. Zu Beginn aller Dinge, da erschuf Gott das Licht, und er trennte das Licht von der Finsternis. Die erste Aufgabe des biblischen Gottes, machen wir uns nichts vor, ist das Trennen, nicht das Einen. Gott schafft, indem er trennt. Und Gott ist das Licht. Der Teufel war einst Lichtträger, wechselte aber die Seite, und ist seitdem das Dunkel.
Auch Herr Gauck sieht sich, buchstäblich, auf der Seite des Lichts und folglich im Kampf gegen das Dunkel. Gauck hat sich das krass DDR-feindliche Schimpfwort „Dunkeldeutschland“ (Kandidat zum Unwort des Jahres 1994) angeeignet. Kraft seiner Moral hat Gauck das Wort von allem pejorativen Schmutz gereinigt, so verstehe ich seine Pressestelle zumindest, um es dann erneut gen Osten zu donnern, wie Zeus einst die strafenden, aber doch erhellenden Blitze vom Olymp auf seine Widersacher schleuderte. Wieder richtet sich „Dunkeldeutschland“ gegen die Bewohner der „neuen Länder“, diesmal allerdings nur gegen eine Untergruppe, nämlich solche, die voller Hass in ihrem Herzen gegen Andersdenkende agitieren. Gauck sieht sich wohl als Präsident von „Helldeutschland“. Es ist menschlich und verständlich, Schimpfworte in die Welt zu prusten, um moralische Entrüstung zu zelebrieren, und Gaucks Entrüstung war hier zweifelsohne gerechtfertigt. Doch genau hier knirscht es auch: Indem Gauck sich als Bundespräsident einer für sein Amt viel zu plumpen und zudem geschichtslosen Entrüstung hingibt, spaltet er das Land und trennt die Menschen. Er teilt Bürger und Gesellschaft in „Licht“ und „Dunkel“. Gaucks Worte spalten und reißen alte Wunden auf.
Gauck trennt oft
Doch gehen wir weiter in der Bibel! Auch im ersten Psalm geht es wieder um Trennung. Der Psalmist betont die Notwendigkeit, den Weg der Gerechten zu gehen, nicht den Weg der Gottlosen. „Denn der Herr kennt den Weg der Gerechten, aber der Gottlosen Weg vergeht.“ Auch Gauck scheint die Wege der Gerechten wie der Gottlosen zu kennen, und er verheißt uns über jene: „Diese Menschen werden niemals zu einer Mehrheit werden.“
Für die aber, die wohl arm an Geist sind (die erst ein späterer Gott für selig befinden wird) und immer noch nicht begriffen haben, wo die Frontlinie verläuft, zieht Gauck die Linie gerne nach. Mit der Autorität seines Amtes sagt der Präsident, er sei sehr dankbar, dass keine „solche Partei“ (ja, er nennt eine Partei namentlich) es ins (Bundes-)Parlament geschafft habe. Gauck lässt sich nicht irritieren von Ketzern, und mögen sie sich „Verfassungsrechtler“ nennen, wenn sie ihn zur Präsidialität mahnen.
Gauck trennt und er trennt oft. Gauck trennt das Gute vom Bösen. Besonders leicht scheint ihm von der Zunge zu gehen, die guten Menschen von den bösen Menschen zu trennen.
„Wir“ erwarten, dass ein Bundespräsident nicht von den Querelen des Alltags hin und her gerissen ist. Wer weisen Rat erteilen will, dessen Augen dürfen nicht vom Staub der Bodenkämpfe verklebt sein. „Kommet her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid“, soll der Präsident rufen, „ich will euch erquicken!“
Gauck ist kein Erquicker. Die Beladenen kommen nun einmal mit Ballast. Menschen mit Ballast, die sollten dem Präsidenten Gauck besser nicht kommen.
Es wurde gestritten, ob Gauck ein Mann mit Prinzipien sei. Er sprang, wie ein Kritiker sagt, auf den DDR-Oppositions-Zug auf, als dieser schon längst fuhr und kurz vorm nächsten Bahnhof war. Ende 1989 trat Gauck dem Neuen Forum bei. 1990 vertraute man ihm die Geheimnisse aller Ostdeutschen an (die „Stasi-Unterlagen“) und 1991 wurde er zum Chef der „Gauck-Behörde“. Seine Aufgabe war es, vulgo, zu „trennen“. Gaucks Akten trennten zwischen den guten und den bösen Ostdeutschen. Wem die Akten das „Böse“ nachwiesen, der war oft ruiniert, und die Kriterien waren nicht allen klar. Wen die Behörde aber nach Aktenlage freisprach, dessen berufliches Limit war nur der gesamtdeutsche Himmel. Gauck verlangt – vor allem von den einfachen Menschen – lebenslang eiserne Prinzipien.
Gauck bringt keinen Frieden, sondern das Schwert
Wenn Präsident Gauck sich nach Vorbild eines Gottes selbst erschaffen würde, was für ein Gott wäre er? Wäre dieser Präsident der Kuschelgott einer Margot Käßmann, trivial allgütig und vergebend bis an die Grenze der Lächerlichkeit? Welches Jesus-Zitat würden wir mit Gauck assoziieren? Richtet nicht, auf dass ihr nicht gerichtet werdet? Wohl kaum. Gauck richtet gern, so scheint es. Zu Gauck passt eher: Ich bin nicht gekommen, um Frieden zu bringen, sondern das Schwert.
Auf der Website des Bundespräsidenten lernen wir, dass sein Amt „auf Einheit ausgelegt“ sei. Sein Amt gehört zu keiner der „drei klassischen Gewalten“. Der Präsident soll „geistig-moralisch“ ins Land hinein wirken. („Geistig-moralisch“ ist eine jener Zuckerwatte-Formulierungen, die nichts wirklich bedeuten, aber denen immer überraschend viel Steuergeld anklebt.) Es obliegt der konkreten Person im Amt, auszulegen, wie weit „moralische Wirkung“ reicht und wo „Parteipolitik“ beginnt.
Es ist gutes Recht eines Jeden, als Mensch und Bürger für Werte einzustehen. Oft adelt es einen sogar. Das Problem ist im Fall Gauck, dass seine persönlichen Werte zwar anständig und verständlich, aber zu oft wenig „präsidial“ sind. Es ist ja denkmöglich, ein guter, ein hervorragender Mensch zu sein und zugleich ein schlechter Präsident.
Deutschland ist unter Merkel zu einem zerrissenen Land geworden. Gauck hätte die Aufgabe und die Chance (gehabt), diesen Riss, zumindest ein Stück weit, zu heilen. Doch Gauck folgt nicht dieser Aufgabe und vergibt seine Chancen. Gauck trennt und spaltet. Gauck ergreift Partei, wo Überparteilichkeit brennend nötig wäre. Aus einer Position der Stärke heraus zieht Gauck in den moralischen Krieg gegen einige jener Bürger, die sein Leben im Schloss und sein lebenslang sechsstelliges Jahreseinkommen finanzieren.
Wir müssen fragen, ob Gauck der richtige Bundespräsident ist, in einem ohnehin fiebernden Deutschland, in einer hochnervösen Welt. Der öffentliche Gauck kennt nur Schwarz und Weiß, Freund und Feind, Hell und Dunkel. Gauck scheint einfach die moralische Palette zu fehlen, sich ein adäquat komplexes Bild des deutschen Befindens zu machen.
Wir brauchen, besonders heute, einen Präsidenten, der die Menschen zusammenbringt. Wir brauchen einen Präsidenten, der die Einheit des Landes und seiner Bewohner vor die Tagespolitik und alle persönliche Schlachten stellt. Joachim Gauck ist nicht dieser Präsident. Was Gauck sagt, spaltet und trennt, statt Brücken zu bauen und Menschen zusammen zu bringen.
Deutschland hat den Präsidenten, den es verdient, aber nicht den, den es braucht.