Tichys Einblick
Ist der Ruf erst ruiniert ...

Bundesregierung: Lebe wohl, schwarze Null!

Zwischen den Zeilen der Kanzlerin und hinter den Türen des Finanzministeriums wird der Abschied von soliden Staatsfinanzen vorbereitet. Das ist auch eine Konsequenz aus dem Scheitern der Währungsunion.

imago/Steinach

Wir haben jetzt immerhin noch mindestens ein Jahr Zeit, um uns mental von ihr zu verabschieden. Von der so genannten „Schwarzen Null“. Die Tatsache, dass die Bundesregierung einige Jahre lang keine neuen Schulden aufnahm, war der ganze Stolz des Bundesfinanzministeriums. Die Überschüsse beruhten zwar nicht auf Ausgabendisziplin, sondern allein auf konjunkturbedingt gestiegenen Steuereinnahmen und der Weigerung, die Steuerzahler angemessen zu entlasten. Und doch konnte die Bundesregierung zumindest den Eindruck erwecken, dass die Konsolidierung der Staatsfinanzen ihr wichtig sei. 

Der Bundeshaushalt für 2020 wird noch einmal ohne Neuverschuldung auskommen. Spätestens mit der heutige Regierungserklärung der Kanzlerin und jüngeren Äußerungen des Bundesfinanzministers dürfte klar sein, dass das wohl das vorläufig letzte Mal sein wird. Anderes ist vermeintlich wichtiger. Oder wie soll man Merkel sonst verstehen, wenn sie sagt, „der Mangel an Geld“ sei im Augenblick nicht das Problem. Und vor allem, wenn sie das Klima in den Mittelpunkt ihres Auftritts im Bundestag stellt, von einem „Kraftakt“ spricht und sagt: „Der Klimaschutz wird Geld kosten. Dieses Geld ist gut eingesetzt. Wenn wir ihn ignorieren, wird es uns mehr kosten.“ 

Die erste Aussage ist zweifellos richtig, die zweite angesichts der Energiewende-Katastrophe höchst zweifelhaft. Und bei der dritten sollte man die Kanzlerin fragen, wen sie mit „wir“ meint. Die Deutschen oder die Menschheit. Letztere liegt eigentlich nicht in der Verantwortlichkeit der deutschen Finanzplanung. Aber das scheint für deutsche Regierungspolitiker unerheblich, und für die linksgrüne Opposition erst recht. 

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Die einen rufen im Namen der Weltklimarettung nach neuer Verschuldungsbereitschaft, andere, vor allem Ökonomen, tun es im Namen der Abwehr der drohenden oder schon eingetretenen Rezession. Widerstand von Finanzminister Olaf Scholz, derzeit vermutlich ohnehin eher mit innerparteilichem Wahlkampf befasst, ist nicht zu erwarten. Er hat schon gesagt: Im Falle einer Wirtschaftskrise, werde die Bundesregierung „mit vielen Milliarden“ gegenhalten. Und die werden sicher nicht durch Einsparungen im Sozialen freigemacht werden. 

Der Abschied von der „schwarzen Null“ wird im Bundesfinanzministerium derzeit auch schon ideologisch vorbereitet. Dafür sorgt der Chefökonom des Ministeriums, Jakob von Weizsäcker. Wie es seit vielen Jahrzehnten immer wieder Angehörige des Adelsgeschlechts der von Weizsäckers in Wissenschaft, Verwaltung und Politik auf besonders einflussreiche, wirkmächtige Positionen schaffen – das wäre ein anderes Thema. Der Großneffe des verstorbenen Bundespräsidenten ist jedenfalls im Gegensatz zu diesem SPD-Mitglied, ehemaliger Abgeordneter des Europäischen Parlaments und hat für einen Brüsseler Thinktank schon ein Konzept für Eurobonds entworfen. Jetzt dürfte sein Ehrgeiz darin liegen, die Beamten-Kollegen vom Glauben an die schwarze Null abzubringen, die sie einst zum Abschied des Amtsvorgängers Wolfgang Schäuble für diesen mit ihren eigenen Körpern im Hof des Ministeriums formten.

Im Februar hatte von Weizsäcker schon über ein mangelndes Bewusstsein geklagt für die Tatsache, dass die Zinsen wohl dauerhaft extrem niedrig bleiben: “Wir sind gedanklich nicht sehr gut vorbereitet auf eine Welt, in der Ersparnis und Kapital viel weniger knapp sein dürften als in der Vergangenheit,” erklärte von Weizsäcker. Twitter-öffentlich fordert er ein “Investitionsprogramm”, das “gezielt statt mit der Gießkanne, geklotzt und nicht gekleckert, gestaffelt und nicht hektisch ohne Planungsvorlauf” funktioniert. 

Doch so sehr man sich über die mangelnde Prinzipientreue Berliner Regierungspolitik zurecht empören kann: Unter den waltenden Umständen hat das Festhalten an ausgeglichenen Haushalten vermutlich ohnehin längst seinen Zweck eingebüßt. Zu diesen Umständen gehört vor allem die Währungsunion. Dank Euro sitzen die Deutschen stabilitätspolitisch in einem gemeinsamen Boot mit den anderen Staaten. Da Mitgliedsstaaten, die die in Maastricht festgeschriebenen Defizitregeln verletzen, erfahrungsgemäß ohne irgendwelche ernsthaften Sanktionen durchkommen (Welche sollten das auch sein? Etwa Geldstrafen, die die Schulden noch weiter nach oben treiben?), entsteht für Staaten mit soliden Haushalten ein negativer Trittbrettfahrereffekt. Die schmerzhaften Folgen unsolider Staatsfinanzierung werden unvermeidlich auch die Bürger von solide finanzierten Staaten mittragen müssen. Wenn der große Währungskladderadatsch eintritt – vermutlich eben doch irgendeine Form der Entwertung von Ersparnissen – , werden die Deutschen nicht davonkommen. 

Warum also sollte Deutschlands Regierung sparen, wenn es dadurch ohnehin keine wirkliche Stabilisierungswirkung erzielen kann? Den anderen ein leuchtendes Vorbild sein? Dass das nicht funktioniert, hat die jüngste Geschichte des Euro wohl erwiesen. In der Klimaschutzpolitik versucht Deutschland derweil trotzdem dasselbe. 

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