Tichys Einblick
Mehr PR soll erlaubt sein

Bundesrechnungshof sieht Finanzen der Fraktionen kritisch

Die Fraktionen halten sich meist nicht an die Regel, kein parteipolitisches Marketing betreiben zu dürfen. Deswegen wollen sie diese Regel einfach ändern. Verfassungsrechtliche Bedenken hat dabei der Bundesrechnungshof.

Haupsitz des Bundesrechnungshofs in Bonn.

picture alliance / | Daniel Kalker

140 Millionen Euro muss der Steuerzahler im Jahr den Fraktionen des Bundestages für ihre Arbeit überlassen. Darin nicht enthalten sind die Kosten für Büromaterial, was die Abgeordneten für ihre Wahlkreisbüros erhalten oder die Lohnkosten der Mitarbeiter der Abgeordneten. 140 Millionen Euro erhalten die Fraktionen allein dafür, ihre Arbeit zu organisieren. Parteiarbeit dürfen sie dabei ausdrücklich nicht machen. Das ist schon jetzt eines der am häufigsten missachteten Gesetze in Deutschland.

Nun liegt ein Gesetzesentwurf vor, der die Finanzierung neu regeln soll. Eigentlich, so hieß das Versprechen der Ampel, soll die Trennung zwischen Fraktionsarbeit und Parteiarbeit präziser definiert werden. Doch das Gegenteil passiert: „Die Grenzen zwischen Fraktions- und Parteiarbeit verschwimmen“, beurteilt der Bundesrechnungshof den Gesetzesentwurf. Dessen Experten bezweifeln, dass der Entwurf mit der Verfassung vereinbar ist.

Wieso nicht? Eigentlich ist das Geld für die Fraktionen gedacht, um ihre parlamentarische Arbeit zu unterstützen. Steht zum Beispiel der Entschluss über den Haushalt an, müssen die Abgeordneten in kurzer Zeit eine große Menge an Papier lesen, unübersichtliche Zahlenkolonnen aufdröseln und komplexe Zusammenhänge verstehen. Mit den 140 Millionen Euro sollen die Fraktionen die „Wissenschaftlichen Mitarbeiter“ finanzieren, die ihnen dabei zuarbeiten. So die Idee.

Doch die Praxis sieht meist so aus: Statt zum Beispiel den Haushalt selbst verstehen zu wollen, stimmen immer mehr Abgeordnete der Regierungsfraktionen einfach so ab, wie ihnen das die Regierung vorgibt. Das erlaubt ihnen dann, statt tatsächlich „wissenschaftlichen Mitarbeitern“ solche einzustellen, die noch studieren oder ein Studium abgebrochen haben, sich aber sonst als Parteisoldaten verdient machen.

Parteipolitische PR dürfen diese Mitarbeiter während der Arbeitszeit nicht machen. Eigentlich. Doch kaum einer prüft dies. Wenn ein „Wissenschaftlicher Mitarbeiter“ über soziale Netzwerke um 14.12 Uhr, um 14.13 Uhr und um 14.15 Uhr Partei-PR verbreitet, dann hat er das in seinen Pausen und folglich in seiner Freizeit als Privatperson gemacht. So die Ausreden. Zwischen 14.13 und 14.15 Uhr hat er sich ja schließlich, um im Beispiel zu bleiben, in die Tiefen des Haushalts gearbeitet.

Wenn der „Wissenschaftliche Mitarbeiter“ den Arbeitsplatz ganz verlässt, etwa um „gegen Rechts“ zu demonstrieren, tut er das dann offiziell ebenfalls in seiner Freizeit. Als im Frühjahr die „Zivilgesellschaft“ nach der inszenierten Berichterstattung von Correctiv gegen den Rechtsruck demonstrierte, haben ARD und ZDF darüber ausgiebig berichtet. Dabei interviewten sie mit Vorliebe Teilnehmer, die für die Parteien oder Fraktionen arbeiteten. Bis heute ist unklar, ob die Öffentlich-Rechtlichen nach solchen Mitarbeitern gesucht haben – oder ob auf diesen Demos der „Zivilgesellschaft“ einfach keine anderen Teilnehmer waren als die, die der Steuerzahler den Parteien und Fraktionen finanziert.

Bis jetzt haben die Fraktionen das Gebot, ihre Arbeit mit der Parteiarbeit nicht zu vermischen, nur ignoriert. Nun wollen sie es ganz aufheben. Den Fraktionen erlaubt der Entwurf eine eigenständige Öffentlichkeitsarbeit, welche „die Vermittlung allgemeiner politischer Standpunkte und der(n) Dialog mit Bürgerinnen und Bürger(n)“ erlaubt. Der Bundesrechnungshof sieht das kritisch: „Eine so weitgehende Öffentlichkeitsarbeit der Fraktionen, die nicht nur an der parlamentarischen Willensbildung, sondern auch an der außerparlamentarischen Willensbildung des Volkes mitwirkt, birgt verfassungsrechtliche Risiken“.

Der Bundestag solle den Entwurf daher nochmal kritisch prüfen, empfiehlt der Bundesrechnungshof. Die Abgeordneten können nun entscheiden, ob sie sich an die Verfassung halten wollen oder ob sie ihr bisheriges Treiben absegnen wollen. Wetten auf den Ausgang werden nicht angenommen, die Quote ist zu schlecht. Doch letztlich ist es fast egal, was die Abgeordneten beschließen. Denn wirksame Strafen gegen Fehlverhalten werde es weiterhin nicht geben, kritisiert der Bundesrechnungshof. Sodass die Frage ist, ob ein verfassungskonformes Gesetz bestehen bleibt, an das sich keiner hält – oder ob es ein verfassungswidriges Gesetz gibt, das den Anschein von Legalität vermittelt. Vernünftige Bürger schütteln angesichts solche Zustände frustriert den Kopf. Aber immerhin: SPD-Chefin Saskia Esken will es ihnen künftig „besser erklären“ – auch mit Hilfe der „Wissenschaftlichen Mitarbeitern“, die das dann ja laut Gesetz offiziell dürfen.

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