Es ist hinlänglich bekannt, dass Elon Musk und die EU-Kommission in Sachen „freie Meinungsäußerung“ wohl nicht mehr beste Freunde werden. Das muss auch nicht sein, so denkt man in Brüssel, zumindest solange Musk und dessen Plattform X sich an die vom Digital Services Act festgelegten Richtlinien halten. Aber anstatt in vorauseilendem Gehorsam, lieber zu viel als zu wenig zu löschen, lässt Elon Musk es auf einen öffentlichen Disput zwischen ihm und EU-Kommissar Thierry Breton ankommen.
Dass der Ausbruch von Kriegen und Konflikten immer eine große Menge an Falschinformationen erzeugt, ist nichts Neues. Schon vor hunderten, wenn nicht tausenden Jahren wurden Falschinformationen über Feinde in die Welt gesetzt, auch wenn der Informationskrieg lediglich in den Händen von Regierungen und Medienproduzenten lag. Was sich seitdem verändert hat, ist lediglich der Verlust der Kontrolle über Narrative für diese Medienproduzenten und Regierungen auf einer vergleichsweise unregulierten Medienplattform wie X.
Wenn also die EU-Kommission von X verlangt, die Desinformation zu bekämpfen, dann ist damit vielmehr gemeint, der unregulierten Verbreitung von Informationen einen Riegel vorzuschieben, um mit der Rückführung in die Hände von Staaten und Medienhäusern verloren gegangenes Vertrauen in die dort vorherrschenden Narrative wiederzugewinnen.
Breton macht, was EU-Kommissare gerne tun: Drohen
Seit dem Angriff der Hamas auf Israel und der folgenden Gegenoffensive durch Israel finden immer wieder Videos – ähnlich wie bereits zuvor im Ukraine-Krieg – ihren Weg auf X, die dabei entweder die terroristischen und kriegerischen Akte verherrlichen, oder aus dem Kontext gerissene Aufnahmen aus anderen Zeiten und Orten darstellen. Wer will, findet dabei nicht nur Fehlinformationen, sondern mit ein wenig Aufwand auch die möglichen Richtigstellungen und lernt dabei wieder einmal, dass auch Bilder lügen können und daher hinterfragt werden müssen.
Von solch einem Lernprozess möchte aber ein EU-Kommissar wie Thierry Breton nichts wissen. Stattdessen ließ er einen Brief an Elon Musk aufsetzen und teilte diesen öffentlich auf X. Darin ruft Breton Musk im gönnerhaften Ton dazu auf, gemäß den Regelungen des Digital Services Act „illegale Inhalte und Desinformation“ von seiner Plattform zu löschen. Begründet wird die Aufforderung mit einem Satz: „Wir erhielten von qualifizierten Quellen Berichte über potenziell illegale Inhalte, die trotz Meldung durch relevante Autoritäten auf ihrer Plattform zirkulieren.“
Bretons Brief schloss mit einer Reihe mehr oder weniger verhüllter Drohungen an Elon Musk, unter anderem der möglichen Verhängung von Strafen.
Doch falls Breton dachte, Elon Musk damit einschüchtern zu können, täuschte er sich. Musk antwortete höchstpersönlich und wies darauf hin, dass die Leitlinie von X darin bestünde, „alles ‚Open source‘ und transparent zu halten“, und erlaubte sich den Seitenhieb, dass er wisse, dass „die EU diesen Ansatz unterstütze“. In Folge bat er Breton, die Verstöße öffentlich aufzulisten, damit die Öffentlichkeit diese sehen kann.
Empörung von Journalisten und Politik prallt ab an den Türen der Hinterzimmer
Breton antwortete damit, dass Musk „sehr wohl wisse“, welche „Berichte über fake Inhalte und die Verherrlichung von Gewalt“ seine Nutzer und Behörden eingereicht hatten und schloss mit dem Hinweis, dass sein Team für Rückfragen zur Verfügung stünde. Darauf ging Musk aber erneut in die Offensive und betonte: „Wir handeln öffentlich. Bitte keine Hinterzimmergeschäfte. Bitte führen Sie Ihre Bedenken explizit auf dieser Plattform aus.“
Der Versuch von Breton, Musk zur vorauseilenden Selbstzensur zu bewegen, scheiterte, erweckte dabei aber die Aufmerksamkeit vieler Nutzer, Journalisten und Politiker. TE-Gastautor Michael Shellenberger stellte die Frage: „Wer glaubt er eigentlich, dass er ist, um Zensur der freien Meinungsäußerung zu fordern? In Amerika lassen wir nicht einmal unsere eigenen Politiker Zensur ausüben, und schon gar nicht ausländische. Ziehen Sie in Erwägung den ersten Verfassungszusatz unserer Verfassung zu lesen UND HALTEN SIE SICH VERDAMMT NOCH MAL FERN.“
— Michael Shellenberger (@shellenberger) October 11, 2023