Tichys Einblick
Im Brennspiegel Braunschweig

Braunschweiger Generalstaatsanwalt packt aus

Warum das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) hoffnungslos überfordert und Strafverfolgung zum wichtigen Instrument erkennungsdienstlicher Behandlung von Einwanderern geworden ist.

Die ehemalige Zonenrandgebietsstadt Braunschweig spielt seit Monaten eine interessante Rolle in der Debatte um die seit Mitte 2015 massiv angestiegene Einwanderung. Das liegt zum einen daran, dass die niedersächsische Stadt zu einem sehr frühen Vor-Köln-Zeitpunkt überregional Aufmerksamkeit erlangte durch eine massiv ansteigende Ausländerkriminalität im Einzugsbereich ihrer Landesaufnahmebehörde für Asylbewerber. Und zum anderen daran, dass der Chef der Braunschweiger Kriminalpolizei, Ulf Küch, einer der ersten in Deutschland war, der eine Sonderkommission „Soko Zerm“ (Sonderkommission Zentrale Ermittlungen) einrichten ließ, um diesen Anstieg zu bekämpfen. Auch bemühte man sich in Braunschweig ab einem bestimmten Zeitpunkt wohl mehr als anderswo um Transparenz. Man erklärte sich zunächst grundsätzlich bereit, Zahlen zur Kriminalität zu veröffentlichen, als andere Kommunen sich damit schwer taten.

Der gemütlich-bodenständige Ulf Küch mit dem dezenten silbernen Ohrstecker ist seitdem ein viel gefragter Mann. Braunschweiger würden sagen: der macht den Eindruck eines echten Klinterklaters, eines mit Okerwasser Getauften. Ja, so wie Küch, so sind sie wohl, die echten Braunschweiger. Ein bisschen besserwisserisch, vielleicht sogar ein wenig arrogant, aber nie hochnäsig, eher ausgestattet mit der Selbstgefälligkeit in sich ruhender provinzieller Persönlichkeiten. Doch, der Mann hat eine Meinung, will damit aber um Gotteswillen keinem wehtun. Sympathiepunkte seien ihm gegönnt. Unter anderem bei Anne Will sprach er über seine Arbeit und seine Sonderkommission. Ein Buchvertrag war da schon die fast logische Folge. Der flinke Riva-Verlag erkannt zuerst das Potential des Medienneulings und sicherte sich die Rechte (Küch hat angekündigt, das Honorar für einen guten Zweck zu spenden)

Und in erstaunlicher Geschwindigkeit waren dann auch 224 Seiten zusammengezimmert, die innerhalb weniger Wochen in die Nähe der Bestsellerränge schossen. Ohne Frage also ein heißes Thema, das nach den Ereignissen in Köln bewegt. Ereignisse, die indes völlig unterschiedliche Extreme zu Tage befördert haben: so nennt sie der Journalist und Autor Henryk M. Broder „Pogrom“ und Jakob Augstein vom Spiegel befindet, es habe sich nur um „ein paar grapschende Ausländer“ gehandelt – zwei Kontrahenten im Ring, beide exemplarisch für den Graben, der sich durch die Gesellschaft zieht. Dazwischen Ulf Küch aus Braunschweig.

Kriminalist und Staatsanwalt widersprechen sich

Nun ist das mit Küch und Braunschweig so eine Sache. Auf der einen Seite wird eine Sonderkommission eingerichtet, weil offensichtlich die Polizeieinsätze rapide angestiegen sind, aber auf der anderen Seite wird man nicht müde zu betonen, dass die Kriminalität in Braunschweig unter Asylbewerbern nicht größer sei, als unter der ansässigen Bevölkerung.

So wird beispielsweise für das betroffene Vorstadtviertel erklärt, es sei nicht schlimmer als im Innenstadtbereich von Braunschweig. Betrachtet man allerdings das Viertel für sich, gab es ohne Zweifel einen massiven Anstieg der Kriminalität. „Mit der Zahl der Asylbewerber in Kralenriede (so heißt das Viertel) habe auch die Zahl der Straftaten zugenommen. Das räumt der Leiter der Kriminalpolizei Braunschweig Ulf Küch ein“, schreibt das Magazin Stern. Küch erzählt dort weiter: „Die Zahl der Wohnungseinbrüche hat im Stadtteil (…) enorm zugenommen.“

Das allerdings ist nicht das Fazit in „Soko Asyl“, so der Titel des Buches. „Soko Zerm“ war dem Verlag wohl nicht reißerisch genug, noch weniger, wenn man im Untertitel verspricht, „überraschende Wahrheiten“ zu präsentieren. Eine dieser „Wahrheiten“ hat der NDR nach einem Interview mit Küch so getitelt: „Buch widerlegt Vorurteil von Flüchtlingskriminalität“.

Der FAZ gegenüber erklärt der Polizist: „Insbesondere die enge Zusammenarbeit der Soko mit der Staatsanwaltschaft und dem Amtsgericht, ohne die polizeiliche Arbeit sonst fruchtlos bliebe, zahle sich aus. Die gemeinsamen Anstrengungen richteten sich darauf, Täter möglichst rasch zu bestrafen.“

Und jetzt wird es interessant, denn anscheinend muss die Gesamtdarstellung des ‚Braunschweiger Problems‘ und der besondere Fokus auf die Aussagen und Arbeit von Ulf Küch beim Braunschweiger Generalstaatsanwalt  Norbert Wolf einen bestimmten Eindruck hinterlassen haben. So sehr, dass er jetzt der Braunschweiger Zeitung ein erstaunliches Interview gegeben hat, das einen gänzlich anderen Eindruck hinterlässt, als das, was der NDR noch aus Küchs Aussagen herausgelesen haben will. Bei Wolf könnte der Sender jetzt ebenso überspitzt titeln: „Vorurteile von Flüchtlingskriminalität bestätigt“.

Warum? Weil dieser Staatsanwalt (dem übrigens ausgerechnet das staubtrockene Niedersächsische Justizministerium online bescheinigt, er habe: „ein sehr sympathisches, freundliches Wesen“) im Gespräch mit dem Journalisten Henning Noske, einen kontrovers zu Ulf Küchs Aussagen stehenden Blickwinkel mit erstaunlicher Offenheit präsentiert. Solche Sätze aus dem Munde eines leitenden Staatsanwaltes sind jedenfalls bemerkenswert: „(Menschen) sehen auf der Straße junge Männer, die sich nicht immer gut benehmen. Ich schaue aus dem Fenster meines Büros und sehe, wie sich auf dem Weihnachtsmarkt sechs bis zehn Nordafrikaner prügeln.“

Der Staatsanwalt wählte den Polizeinotruf. „Wer so etwas erlebt, ist nicht zufrieden, wenn er hört, dass die statistische Kriminalitäts-Belastung bei Zugewanderten gering ist.“ Und dann erklärt Wolf klipp und klar, was bei Küch ganz anders klingt: Nein, „(w)ir führen hier keine Statistik über Zugewanderte, aber unsere Staatsanwälte haben Erfahrungen, die ich sammele und woraus ich Konsequenzen ziehe für die Strafverfolgung.“

Ein Satz, der das ganze Dilemma offenbart: In Ermangelung eines offiziellen Auftrages in Zusammenarbeit mit der Polizei eine dezidierte Statistik zu führen, befragt der Generalstaatsanwalt eigenhändig seine Staatsanwälte und bastelt sich eine Statistik, die dann wiederum Messlatte individuellen Handelns wird.

Eine weiteres Braunschweiger Novum nach der „Soko Asyl“? Auch eine wegweisende Arbeit für andere Staatsanwaltschaften bundesweit? Die Befragung der Kollegen – sagen wir es mal ganz salopp – in der Gerichtskantine und die Auswertung im Büro des Generalstaatsanwalts? Ja, warum eigentlich nicht, wenn es anders nicht zustande kommt, möchte man einwerfen.

Statistisch weniger Straftaten als Verfahren?

Das allerdings widerspricht einer Aussage des Niedersächsischen Innenministeriums vom Oktober 2015, als man gegenüber der HAZ erklärte, eine bestimmte Software würde zukünftig ein neues Eingabefeld erhalten, das Beamten die klare Zuordnung von Straftaten von Asylbewerbern ermöglicht: „Bislang war es den Beamten überhaupt nicht möglich, die Vorfälle, in die Flüchtlinge als Opfer oder Täter involviert waren, gesondert zu erfassen und auszuwerten, weil in dem Computersystem schlicht kein Eingabefeld für dieses Kriterium vorhanden war. (…) Straftaten gegen oder von Flüchtlingen könnten mit der neuen Funktion künftig zielgerichteter ausgewertet werden.“

Nun ist so eine Software eine Sache, die Auswertung und Veröffentlichung noch einmal eine ganz andere. Damals erklärte man, das „vollkommen offen ist, wann erste valide Zahlen dieser neuen Erfassungsmethode vorliegen und was aus ihnen abzulesen sein wird. Grundsätzlich werden die Polizei-Kriminalstatistiken für ein Jahr im Frühjahr des darauffolgenden Jahres präsentiert.“ Heißt also, die ersten Zahlen erscheinen frühstens im Frühjahr 2017?

Gut, dass Norbert Wolf schon jetzt eine Tendenz zu erkennen glaubt und ohne Umschweife erklärt: „Ganz deutlich: ja, es gibt einen Anstieg (der Kriminalität). Wir haben pro Monat 400 Verfahren mehr als sonst.“ Und dann landen wir wieder in besagter Kantine, dort, wo sich die Braunschweiger Staatsanwälte austauschen: „Wir haben keine Statistik“; sagt Wolf der Zeitung, „die differenziert, wer die Beschuldigten in diesen Verfahren sind. Aber die Amtsanwälte sagen, dass in vielen Verfahren Asylsuchende beschuldigt werden.“ Weiter: „Sehr oft bei brutalen Straftaten sind sowohl Täter als auch Opfer Flüchtlinge oder Zugewanderte.“ Für den gegenüber seiner Heimatzeitung so offenherzigen Generalstaatsanwalt nimmt die Gefahr auch zukünftig nicht ab, wenn sich die Betroffenen einige Jahre in Deutschland aufhalten. Das ist echte Düstermusik.

Übrigens unabhängig davon, ob man nun festgestellt haben will, die Kriminalität wäre angestiegen oder nicht, geht Wolf in einer Sache konform mit Küch: Es gibt nicht die erkennungsdienstliche Behandlung, zu der das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge verpflichtet ist. Dafür verantwortlich sei eine „schlichte Überforderung“ der Behörde. „Erst wenn sie straffällig werden, werden sie für das Strafverfahren erkennungsdienstlich behandelt.“

Auf die Frage, ob die offiziellen Mitteilungen, die besagen, dass die Kriminalität sogar gesunken sei, seinen Aussagen widersprechen würde, antwortet Norbert Wolf sibyllinisch: „Ich muss das so hinnehmen.“ Er könne es weder verifizieren, noch bestätigen noch wiederlegen durch das, was „wir hier erfahren“.

Das können die die vielen Frauen, die nach der Kölner Silvesternacht als Geschädigte mittlerweile über eintausend Anzeigen bei der Polizei eingereicht haben, ebensowenig. Auch sie werden, glaubt man dem Braunschweiger Generalstaatsanwalt, in den kommenden Jahren vermehrt Straftaten „hinnehmen“ müssen, „wenn die Integration nicht gelungen ist.“, wie Wolf anfügt. Und das klingt dann gar nicht so, als würde er selbst noch daran glauben, dass es gelingt. Hoffen wir mal für Braunschweig und für die Republik, dass auch ein so offenherziger und engagierter Staatsanwalt irren kann.

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