In den meisten Bundesländern sind an diesem Montag Corona-Regeln gelockert worden. Die wichtigste Nachricht aber kommt aus dem SPD-regierten Brandenburg. Die dortige Landesregierung wird nicht nur Baumärkte öffnen und andere Läden für Kunden mit Termin („Terminshopping“). Sie setzt sich von der zentralen Zahl aus der jüngsten Video-Konferenz Merkels mit den Länderregierungschefs ab: nämlich vom Inzidenzwert 100, bei dessen Erreichen, die Lockerungen wieder zurückgenommen werden sollen. Der zentrale Satz in der Landesverordnung, die am heutigen Dienstag in Kraft tritt: „Übersteigt die 7-Tage-Inzidenz für mindestens drei Tage in einem Landkreis oder einer kreisfreien Stadt den Wert von 200, werden wieder schärfere Kontaktbeschränkungen und Maßnahmen festgesetzt.“ Die landesweite Inzidenz in Brandenburg liegt derzeit bei 63,4, Tendenz leicht steigend.
Eine Landesregierung weicht also nicht nur von einem Detail, sondern vom Kern der Bund-Länder-Vereinbarung ab. Was das für die bisherige Corona-Politik und damit für die Macht im ganzen Lande bedeutet, wird aus der aufgeregten Reaktion von Karl Lauterbach deutlich. Wohlgemerkt in Brandenburg regiert Lauterbachs SPD-Parteifreund Dietmar Woidke. „Das ist mittelgradig unglaublich“, so Lauterbach bei Twitter. „Wenn das alle Bundesländer machen wird es schwere 3. Welle geben und dann langen Lockdown.“
Die Landesregierung in Potsdam hat zwar sanft versucht, zu relativieren und direkt zurückgewittert, man werde, wenn die landesweite Inzidenz sich der 100 nähere, „unverzüglich entscheiden, welche Schritte zu ergreifen sind“. Aber die Abweichung von der gemeinsamen Vereinbarung bleibt.
Was auch immer die Auswirkungen auf das Infektionsgeschehen sein werden, die Aufregung Lauterbachs ist womöglich nicht nur sachpolitisch, sondern auch machtpolitisch zu verstehen: Das im Grundgesetz nicht vorgesehene Gremium der Kanzlerin-Länderchefs-Konferenz, das das Land de facto seit rund einem Jahr auf dem zentralen Politikfeld regiert, ist offenbar entmachtet. Brandenburg hat damit wohl auch den Autoritätsverfall der Kanzlerin noch einmal beschleunigt.