Tichys Einblick
Großbritanniens gebildeter Premier

Boris Johnson, der Klassiker: »Echt, liebenswürdig, intelligent«

Boris Johnson wird immer fabelhafter. Auf Twitter machte nun ein Video die ganz große Runde, in dem er aus der griechischen »Ilias« rezitiert. Es zeigt sich die profunde Bildung des viel zu oft unterschätzten Premiers. So viel Persönlichkeit ist selten geworden in der europäischen Politik.

Screenprint: via Twitter

Die Twitter-Gemeinde ist ehrlich beeindruckt von einem Video, das vor sechs Jahren entstand. Zu sehen ist Boris Johnson, wie er auf einem Autorenfestival im australischen Melbourne die ersten Verse der »Ilias« rezitiert – doch nicht etwa in der englischen Übersetzung »Sing, o goddess, the anger of Achilles«, sondern im griechischen Original. Seit ein Twitterer das Video am Tag vor Heiligabend ausgegraben hat, wurde es an die 11 Millionen Mal angesehen. Der virale Hit fand inzwischen auch seinen Weg in internationale Nachrichtenseiten und Zeitungen – von Griechenland bis in die französische Libération und zurück ins Vereinigte Königreich.

Es mag wahr sein, dass Johnson den Text in der Hitze des Gefechts um einige Verse gekürzt hat, vermutlich nur um seine Zuhörer nicht zu langweilen. Seine Aussprache wird als englisch kritisiert, aber natürlich hat da jedes Volk so seine nationale Tradition. Stets bewusst ist sich Johnson aber des Hexameters ebenso wie der Bedeutung der Worte.

Nicht viele Personen des öffentlichen Lebens können mit solchen Schätzen glänzen. Was die Szene anschaulich macht, ist die wahrhaft europäische Bildung Johnsons, die über die unter deutschen Politikern übliche Partei-»Ochsentour« samt fadenscheinigen Doktortiteln weit hinausgeht. Hierzulande wäre man schon froh, wenn die Regierenden den einen oder anderen Satz gerade herausbrächten, »ohne zu stocken, halbe Sätze zu verdrehen oder zu stammeln«, wie ein anderer Twitterer bemerkte.

Daneben zeigt die theaterreife Darbietung Johnsons, dass er sich noch immer für das Bildungsgut »Ilias« begeistern kann. Schon im Alter von zwölf Jahren soll ihn die berühmte Trauerrede des Perikles für die Toten des Peloponnesischen Kriegs beeindruckt haben. Später studierte Johnson Klassische Philologie, eine Zeit, die er nutzte, um an seinen rednerischen Fähigkeiten zu feilen, wie auch seine Churchill-Analysen zeigen. Ein Sprachwissenschaftler bemerkte jüngst, wie wichtig die geschliffene, ausdrucksvolle Sprache und das Rollenspiel für das Wirken Johnsons als Politiker ist: »In der öffentlichen Arena nutzt er mindestens die folgenden Masken: die des aufrüttelnden Redners, des umgänglichen Konversationstreibers und des tolpatschigen Dilettanten.« Johnsons Sprache sei dabei »voll unerwarteter Metaphern und Wendungen, voller Übertreibung und Nostalgie, häufig mit einer spezifisch britischen Drehung«, stets auf der Wasserscheide zwischen Heroismus und Komödie.  

Die Twitterer überschlugen sich jedenfalls im Lob für diesen komödiantischen Auftritt des Klassikers Johnson – einfach weil einer so etwas kann, der für etwas ganz anderes gewählt wurde, und weil er dabei auch noch wie ein netter Kerl wirkt, dem sein Publikum offenbar nicht egal ist. Ein polnischer Twitterer traf diesen Nerv ziemlich genau: »Ein echter Mensch« sei Johnson, »kein Plastik-Politiker«. Ein anderer erwiderte: »Echt, aber auch sehr liebenswürdig, zugänglich und intelligent. Auf seine eigene Weise bescheiden und in der Lage, sich über sich selbst lustig zu machen.«

Das ist in der Tat eine gute Beschreibung des Mannes, der für seine gelegentlich täppische Art von einigen belächelt wird, während ihn andere gerade dafür lieben. Doch hier gilt die Mahnung: »Never underestimate Boris!«

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