Dem Gefühl nach ist das schon fast der größtmögliche Eingriff ins Sicherheitsempfinden: Bombendrohungen gegen Schulen, Evakuierungen, Eltern die von der Arbeit zu den Schulen eilen, Kinder, die teils medizinisch behandelt werden müssen. Seit Tagen hören die Nachrichten nicht auf, mehrere Bundesländer sind betroffen.
Gaby Böckler (Name von der Redaktion geändert) aus Oberfranken hat eines der Geschehnisse quasi live miterlebt: Ihre Enkelkinder gehen auf eine der betroffenen Schulen. Böckler ist freie Unternehmerin und seit vielen Jahren Sprachlehrerin an öffentlichen Schulen und privat. Sie kennt auch die beiden betroffenen Schulen in Bayreuth und Hollfeld aus unmittelbarem Kontakt, teils als Lehrerin und Kooperationspartnerin, teils durch ihre Enkel, die dort zur Schule gehen. Früher hat sie mit ihrem Betrieb auch Kurse für Asylbewerber gegeben, Integrationsarbeit geleistet, das macht sie seit Corona (2020) nicht mehr. Es war zu nervenaufreibend im Wortsinn. Sie als Lehrerin wurde zwischen den unbändigen Jugendlichen aus meist islamischen Ländern und den vorgesetzten Stellen, die meist nur an der Wahrung der Ruhe interessiert waren, buchstäblich zerrieben. Zu welchem Preis diese Ruhe erhalten wird, interessiert nicht.
Die Sprachlehrerin war derlei schon gewöhnt. Ihr Blick auf die Zuwanderer – ob muslimischen Glaubens oder nicht – ist klarer als jener der meisten Politiker. Als sie dem Rektor schildert, dass seine Schüler lieber mit Süßigkeiten feiern als zu lernen, sagt der sinngemäß, er wolle keinen Terror im eigenen Haus haben, Ruhe sei die erste Bürgerpflicht. Man solle die Schüler also machen lassen, nur keinen Eklat. Ähnlich war die Haltung des Landrats, mit dem Böckler ebenfalls sprach. Man solle derlei nicht hochkochen, das seien nur Ausrutscher, und alles werde sich schon wieder beruhigen.
Erst feiern … dann drohen?
Eine Woche später hatte sich allerdings nichts beruhigt, im Gegenteil. Fast bundesweit, geradezu flächendeckend gehen Bombendrohungen an deutschen Schulen ein, und die Serie bricht nicht ab.
Am Donnerstag gab es die dritte Bombendrohung gegen eine Schule in Straubing innerhalb einer Halbwoche. Reihum erhielt jede der Schulen, die im selben Viertel liegen, Droh-Mails.
Am Dienstag waren die Drohungen bei den beiden oberfränkischen Schulen – der Alexander-von-Humboldt-Realschule in Bayreuth und der Gesamtschule in Hollfeld – per E-Mail eingegangen. Die Hollfelder Gesamtschule war schon in der Woche davor bedroht worden. Seit Freitag ermittelt die Bayreuther Polizei. Was die verschiedenen Drohfälle angeht, besteht laut dem Polizeisprecher „eine gewisse Ähnlichkeit“. Inhaltlich hätten die Verfasser jeweils versucht, einen Bezug zur Hamas herzustellen.
Das gleiche Bild in Baden-Württemberg, Mecklenburg-Vorpommern, Nordrhein-Westfalen, Sachsen und Thüringen, wo es zu Bombendrohungen unter anderem gegen Schulen in Mannheim und Karlsruhe, Solingen, Wuppertal, Chemnitz und Erfurt kam. Auch hier wurden Schulen geräumt, mehrere Schüler – allein sechs im sächsischen Pulsnitz – mussten wegen der Stresssituation medizinisch versorgt werden. Kreislaufbeschwerden waren die häufigsten Ursachen, doch so geringfügig das scheinen mag, erzählt es vom seelischen Stress, den solch ein Vorgang bei den Betroffenen auslöst, vielleicht auch von einer Vorgeschichte, in der den Schülerinnen bereits klar geworden war, dass es die Möglichkeit von Gewalt an ihrer Schule gibt.
Innenministerium zweifelt an extremistischem Ziel der Täter
Auch in Berlin gab es trotz Herbstferien Drohungen gegen Schulen, ebenso gegen den Hauptbahnhof, diverse Medien-Dependancen (etwa die von RTL und ARD) und die Bundeszentrale der SPD. Daneben gab es eine Drohung gegen das ZDF in Mainz und die RTL-Zentrale in Köln, ebenso gegen mehrere Radiosender in Thüringen und Sachsen-Anhalt. Eine RTL-Sprecherin sagte, dass die Drohbriefe an einige der Einrichtungen identisch waren, bis hin zu denselben Rechtschreibfehlern. Die Polizei berichtet aber auch von verschiedenen Schreiben, in denen zum Teil etwa auch auf den russisch-ukrainischen Krieg Bezug genommen worden sei.
Laut den ermittelnden Behörden ist unklar, ob es einen Zusammenhang zwischen den verschiedenen Bombendrohungen gebe. Aber die Parallelität der Fälle beeindruckt. Klar dürfte nur das eine sein, dass der Konflikt zwischen Israel und der Hamas den Hintergrund für alle diese Drohungen bildet. Nahe liegt, dass die Verfasser – wenn das nicht ein und dieselbe Person oder Gruppe ist – sich abgesprochen haben oder von Dritten auf diese Idee gebracht wurden.
Man lernt so aber zumindest, dass in den E-Mails nicht allein ein „Bezug zur Hamas“ hergestellt wurde, wie es in der Presse hieß, sondern dass „Hamas“ schlicht und einfach die Unterschrift des Absenders war. Dass die Schreiben wirklich von deutschen Hamas-Angehörigen (es sind angeblich sehr wenige) kamen, daran darf man in der Tat zweifeln – aber dass es sich im Wortsinn um „Trittbrettfahrer“ handeln würde, daran erst recht.
„Hallo, es freut uns, zu verkünden, dass ihr Gebäude im Namen der Hamas bombardiert wird …“
In einem Drohbrief an den Hauptbahnhof in Berlin heißt es laut einer Quelle: „Hallo, es freut uns, zu verkünden, dass ihr Gebäude im Namen der Hamas bombardiert wird, wir haben Sprengstoff im Wert von mehr als 20 Millionen Euro. … Wir sind bewaffnet mit automatischen Gewehren, also versucht gar nicht erst, uns zu stoppen. Allah ist der Größte.“ Das „Bombardement“ wird in dem Brief für elf Uhr angekündigt. Man glaubte dem offenbar nicht.
Vor allem aber ist das Vertrauen Piazolos in die bayrischen Lehrer erstaunlich und rührend: „Bayerns Lehrkräfte verstünden es aber sehr gut, ‚auf ihre Schülerinnen und Schüler einzugehen, sie zu betreuen, zu unterstützen und auch zu sensibilisieren‘“, so wird Piazolo vom fränkischen Radio Euroherz zitiert. Doch da müssen diese „Lehrkräfte“ schon eher herzhaft lachen – bevor ihnen ebendieses Lachen über die Absurdität einer Minister-Vorstellung im Halse stecken bleibt. So geht es auch Gaby Böckler. Josef Kraus hat zu dieser Frage auf TE angemessene Worte gefunden, aber Zweifel bleiben, ob Schulpädagogen wirklich in dieser Weise zu Krisenmanagern berufen sind – und ob das unsere Idee von einer Schule ist, dass sie praktisch in einer Art „Kampfeinsatz“ gegen Widrigkeiten und Feinde standhalten muss.
Wo könnte eine solche Drohbrief-Serie organisiert werden?
Daneben gingen die Droh-E-Mails auch bei Fernseh- und Radiosendern ein. Ebenso wurde der Berliner Hauptbahnhof bedroht. Wo aber die Schulen evakuiert wurden, verzichtete man beim Hauptbahnhof auf solch einen Akt, der ungleich schwerer zu bewältigen gewesen wäre. Man kam wohl nicht zur Einschätzung einer realen Bedrohung. Gewöhnt man sich also schon etwas an die Bombendrohungen? Geht die Polizei routiniert mit ihnen um? Das möchte man nicht sagen. Was aber an den bekannt gewordenen Details bedenklich stimmt, ist die Großflächigkeit der Bedrohungen und die daraus entstehende Unsicherheit. Wer sagt übrigens, dass jede reale Bombe auch angekündigt werden muss?
Schon seit Mitte Oktober hatte es ähnliche Drohungen gegen öffentliche Einrichtungen in Frankreich gegeben, darunter sechs Flughäfen in Lille, Lyon, Nantes, Nizza, Toulouse und Beauvais bei Paris. Auch der Flughafen von Basel-Mülhausen, der ebenfalls in Frankreich liegt, war betroffen, daneben der Pariser Louvre und das Schloss Versailles.
Für die erfahrene Lehrerin und Integrationshelferin Böckler ist evident, dass die Moscheegemeinden auch ein Ort der Kommunikation für die Muslime sind. Sie glaubt, dass dort auch aktuelle Parolen ausgegeben werden, etwa darüber, wo es wieder einmal etwas abzustauben gibt (also staatliche Leistungen). Aber auch die Koordination einer solchen Drohbrief-Serie – und noch Schlimmeres – wäre so organisierbar.
Es ist eine unheimliche Macht, die sich in diesen anonymen, vielleicht einstweilen noch laienhaft verfassten Briefen ausdrückt. Eine Macht, die eine Art Oberhoheit über die Angelegenheiten aller hier lebenden Menschen zu beanspruchen scheint, auch falls diese Oberhoheit nur durch das Chaos erreicht wird. Eine gefährliche Herausforderung für die deutsche Gesellschaft ist hier unauffällig-dezentral geschehen und hätte eigentlich eine vernehmliche Antwort der Politik verdient.