Mit dem August ist auch der Sommer der Sorglosigkeit im engeren Sinne vorbei. Die Landesregierung in Düsseldorf hat für die nähere Zukunft angekündigt, wöchentlich 1.500 Migranten auf die Kommunen verteilen zu wollen. Verantwortlich ist hier die Ministerin für Kinder, Jugend, Familie, Gleichstellung, Flucht und Integration Josefine Paul (Grüne), die bereits in einer kürzlichen Landtagsdebatte unter Druck kam. Unter ihr sollen zunehmend mehr Asyl-Migranten auf die Kommunen verteilt werden, unbesehen ihres Status und ihrer Chancen auf Asyl, auch weil die Ministerin selbst sich damit schwertut, genügend Unterbringungsplätze zu organisieren.
Im Hintergrund steht auch das Zurückstellen, ja Aussetzen von Abschiebungen, das der Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) verkündet hatte. Eine direkte Folge dieser Entscheidung ist: Die nordrhein-westfälische Landesregierung setzt die von ihr verkündete Ansiedlungspolitik fort, ja spitzt sie zu. In Reaktion dazu wächst auch der Protest im Land, der nun auch Bocholt im Westmünsterland nahe der niederländischen Grenze erreicht hat. Dort wehren sich die Bürger gegen eine geplante neue Unterkunft. Damit ordnet sich die Stadt in die Serie von Upahl, Arnsberg und Burladingen ein. Bald wird jedes Bundesland einen oder zwei solche Brandherde der Unzufriedenheit haben.
In Bocholt, respektive in seinem flächengrößten Stadtteil Biemenhorst, soll ein Containerdorf für 250 „Flüchtlinge“ entstehen, die dort angeblich nur zeitweise, sicher aber über fünf Jahre untergebracht werden sollen. In Biemenhorst fand man das zu viel, obwohl der Stadtteil natürlich um einiges größer ist als etwa Upahl in Mecklenburg. Die Bürger sammelten fast 4.000 Unterschriften gegen das neue Containerdorf und für einen Bürgerentscheid darüber. Den wird es nun tatsächlich geben, wie der Rat der Stadt beschloss. Allerdings stimmten 41 Ratsmitglieder in der Sache dagegen, ließen dem Begehren aber seinen Lauf. Nur der einzige AfD-Ratsherr stimmte für den Entscheid, der am 22. Oktober durchgeführt werden soll.
Bald ein Brandherd für jeden Spitzenpolitiker?
Übrigens liegt Bocholt nicht weit weg von Borken, der engeren Heimat von Jens Spahn (CDU). Man könnte meinen, dass bald schon jeder Großkopferte in der Bundespolitik seinen Problemfall Migration in unmittelbarer Nähe zu seinem Wahlkreis bekommen wird. Erst gab es Unruhe in Arnsberg im Sauerland (Wahlkreis von Friedrich Merz), dann in Prenzlau in der Uckermarck mit der Merkel-Heimat Templin in unmittelbarer Nähe. Doch die Bürger haben andere Sorgen, als es den Politikern in Berlin heimzuzahlen. Für sie sind die Probleme so drängend wie bedrohend, und allemal real. In Prenzlau etwa ging es auch um tschetschenische „Flüchtlinge“, die die Menschen tyrannisierten.
Seltsam ist nur eins: In Prenzlau galt ein Bürgerentscheid als eine laut Zeit unzulässige Maßnahme. Schließlich ginge es ja um eine „Pflichtaufgabe des Landkreises zur Erfüllung nach Weisung des Landes“. Das scheint nun in NRW anders zu sein als in Brandenburg.
Die Argumente der Anwohner gegen das Bauvorhaben in Bocholt-Biemenhorst sind jedenfalls so klar wie vielfältig: drohende Unsicherheit, die Angst um Kinder und Enkelkinder, die Befürchtung von „Übergriffen und Vorfällen“. Auch in Bocholt soll man derartiges schon erlebt haben, also Übergriffe auf Frauen. Neben diesen prinzipiellen Einwänden gibt es auch solche, die man taktisch einordnen mag. Einige Bürger lehnen die Containerbauweise ab, wollen lieber solide Häuser, die später als Sozialwohnungen dienen können. Die geplante Unterkunft sei „zu teuer, zu groß und wenig nachhaltig“. Geeint sind beide Parteien in ihrer Ablehnung des Neubaus. Dagegen bietet der Standort laut Bürgermeister Thomas Kerkhoff (CDU) „für uns viele Vorteile“. Das Interview ist ein Wegweiser in die dunklen Bereiche des politischen Zynismus. Denn Vorteile für die Verwaltung sind an dieser Stelle Nachteile für die Bürger und direkten Anwohner.
Auch die grüne Ministerin gerät unter die Räder des „Immer mehr“
In Arnsberg im Sauerland war die Stimmung ähnlich gewesen. Dort hatten die Bürger in einer Informationsveranstaltung verhindert, dass das historische Kloster zu einer Unterkunft für Asylbewerber wurde. Der Eigentümer zog sein Angebot an die Stadt zurück. Geplant war eine zentrale Unterbringungseinrichtung (ZUE) des Landes. Die Art von Unterkünften, die Josefine Paul nicht in hinreichender Zahl gestemmt kriegt. Die Flüchtlingsministerin kriegt nicht hin, was sie den Kommunen abverlangt. Auch die Grüne Paul gerät so unter die Räder der rot-gelb-grünen Migrationspolitik des „Immer Mehr“.
In Upahl in Mecklenburg geht man nun übrigens einen anderen Weg. Dort versuchen 500 Einwohner, ein seit langem geplantes Asylbewerberheim gerichtlich zu stoppen. Ein Eilantrag wurde allerdings nicht einmal angenommen, weil sich Land und Landratsamt auf ein Notausnahme-Gesetz berufen. Das Schicksal des kleinen gallischen Dorfes im Westen Mecklenburgs bleibt damit bis auf weiteres unentschieden.
Im baden-württembergischen Burladingen, Stadtteil Killer, kam es Anfang August zum Eklat in einer Bürgerversammlung, als die geladenen Bürger nicht so auf die Ankündigungen des Landrats reagierten, wie von diesem erwartet. Günther-Martin Pauli (CDU) hatte behauptet, die Asylbewerber kämen „mit Sorgen im Gepäck aus schwierigen Situationen“. Doch dergleichen verfängt immer weniger bei den Bürgern. In Burladingen-Killer war es Anlass für Gelächter und lautstarken Protest. Ein Flugblatt hatte die Bürger mobilisiert und führte zu mehr als 100 Überschriften gegen die Umnutzung eines alten Gasthofs.
Quoten-Übererfüllung in Dortmund
Unter der grünen Flüchtlingsministerin Josefine Paul „grassiert“ das „Organisationschaos“, weiß die WAZ. Bundesgelder in Millionenhöhe lasse das Land dabei liegen, denn die Erstattungen werden schlichtweg nicht beantragt.
Regierungsgewogene Medien (darunter der WDR) entfachen schon seit einiger Zeit den inoffiziellen Wettbewerb: Wer hat die Quote bisher wie gut erfüllt, wer nicht? Die wirkliche Frage ist aber, wer die Quote überhaupt noch erfüllen will und kann. Die Stadt Dortmund zum Beispiel wähnt sich derzeit auf der sicheren Seite mit einer Quotenerfüllung von 102 Prozent. Das seien 183 Menschen mehr, als die Stadt hätte aufnehmen müssen. Einen Moment, 183 zu viel? Bedeutet das, dass Dortmund insgesamt 10.000 „Flüchtlinge“ aufgenommen hat? Nach Adam Riese schon. Die westfälische Metropole zergeht offenbar in Humanität.
Noch merkwürdiger ist, dass die Stadt im letzten Oktober bei einer Erfüllungsquote von 232 Prozent lag – bei über 13.000 aufgenommenen Asylbewerbern zuzüglich 7.000 Ukrainern. Hier scheint irgendetwas am Zahlenwerk nicht zu stimmen oder aber sich rasant zu entwickeln. Und da die Ukrainer wohl noch da sind, muss man fragen: Wohin sind die Asylbewerber verschwunden? Zugleich bekennt die Stadt aber, dass sie durchaus noch Platz hat. Drei Unterkünfte seien nur zur Hälfte belegt. Außerdem gibt es noch 900 Plätze in der stillen Reserve („Stand by“). Nun will das Fluchtministerium in Düsseldorf wöchentlich 1.500 Migranten verteilen. Da wird auch das schon überbelegte, Platz habende Dortmund mitspielen müssen.
Asylplätze: Auch die Regierung in Hannover schwächelt
Nun fällt neben Nordrhein-Westfalen auch Niedersachsen bei den Aufnahmeplätzen zurück, die von Landesseite vorgehalten werden. Gab es zu Beginn des Jahres noch 15.000 Plätze, so waren es Ende August nurmehr 13.000. Dabei wollte das Land eigentlich auf 20.000 Plätze „Gesamtkapazität“ hochfahren. Dafür scheint das Geld zu fehlen, das der scheidende Ministerpräsident Stephan Weil nun vom Bund erbetteln will – und zwar regelmäßig, ohne intermittierenden Bund-Länder-Gipfel, als Blankoscheck auf eine ungeklärte Zukunft.
Die Asylbewerberzahlen in Niedersachsen entwickelten sich übrigens genau andersherum: Wo es letztes Jahr bis Ende Juli 12.600 Anträge in Niedersachsen gab, waren es dieses Jahr schon 19.000. Der überhängende Rest muss offenbar auch hier schnellstmöglich in die Kommunen abgeschoben werden. Die ertragen es, soweit sie auf dem Land liegen. Denn da weiß jeder, dass die „Flüchtlinge“ nicht lange bleiben werden. Die Städte sind allemal anziehender für sie.
Kapteinat (SPD): Geht auch um die Art der Unterbringung
Ganz am Rande kommen auch in Nordrhein-Westfalen noch Neuigkeiten ans Licht: So gab es im April eine Messerstecherei zwischen Syrern und Afghanen in einer Notunterkunft in Castrop-Rauxel, der Stadt ohne Problemviertel. Das verriet die SPD-Abgeordnete Lisa Kapteinat der SZ am Rande der jüngsten Asyldebatte im Landtag. Sie habe auch die grünen Kolleginnen darüber „vertraulich“ informiert.
Es geht laut Kapteinat auch um die Art der Unterbringung: Wo es – mangels Platz und Mitteln – keine Privatsphäre mehr gebe, wüchsen die Spannungen. In der Landtagsdebatte warnte die seit neuestem oppositionelle FDP vor „Kollaps und Überlastung“. Enxhi Seli-Zacharias von der AfD kritisierte, die Landesregierung stelle „das Leben von Menschen völlig auf den Kopf“ und entwerte beispielsweise Grundstücke und Häuser. Außerdem will Seli-Zacharias „kein Bundesland, das 640 Millionen Euro für Menschen ausgibt, die gar nicht hier sein sollten“. Grenzsicherung sei leider ein Fremdwort für die Landesregierung.