Tichys Einblick
Immer mehr DDR

Blaue Fahnen der FDJ über Deutschland

Vor 75 Jahren wurde die FDJ gegründet. Im Geltungsgebiet des Grundgesetzes ist sie seit 1954 verboten. Mit einer abstrusen Argumentation setzen sich Bundesregierung und Gerichte über das Verbot hinweg.

IMAGO / Bernd Elmenthaler

Der Anfang erschien pluralistisch und demokratisch: Am 26. Februar 1946 unterzeichneten 14 junge Leute in Berlin einen Antrag an die Sowjetische Militäradministration, im besetzten Deutschland eine überparteiliche Jugendorganisation gründen zu dürfen – die Freie Deutsche Jugend (FDJ). Zu den Antragstellern gehörten nicht nur der spätere SED-Chef Erich Honecker, sondern auch Jugendvertreter von SPD, CDU, Liberalen und den Kirchen. Da die Zustimmung der Sowjets am 7. März bekannt gemacht wurde, gilt das Datum als Gründungstag der FDJ.

75 Jahre ist es her, dass eine Organisation gegründet wurde, die das Leben vieler Ostdeutscher wie kaum eine andere geprägt hat. In der DDR gehörten ihr zuletzt etwa 80 Prozent aller Jugendlichen im Alter von 14 bis 25 Jahren an, insgesamt 2,3 Millionen Menschen. Im kollektiven Gedächtnis der zwischen 1932 und 1975 geborenen Jahrgänge hat das blaue Hemd mit der aufgehenden Sonne auf dem linken Ärmel bis heute einen festen Platz. Denn nur ganz wenige hatten die Kraft und den Mut, sich der politischen Vereinnahmung durch die einzige zugelassene Jugendorganisation zu entziehen.

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Den Plan zu ihrer Gründung hatte die Kommunistische Partei noch während des Krieges in Moskau gefasst. Vorgesehen war „eine breite außerparteiliche Massenorganisation“ zur „Erfassung und Vereinigung der fortschrittlichen Jugend.“ Doch die Überparteilichkeit war nur vorgeschoben, um den unbeliebten Kommunisten in Deutschland mehr Zulauf zu verschaffen. Bereits im Juni 1946, als in Brandenburg an der Havel das sogenannte erste Parlament der FDJ zusammentrat, wurde deutlich, wer die Fäden in der Hand hielt: Vorsitzender wurde Erich Honecker, Generalsekretärin seine spätere Ehefrau Edith Baumann. Das Organisationsbüro übernahm das spätere SED-Politbüromitglied Hermann Axen.

Die Gleichschaltung der FDJ erfolgte ähnlich schnell wie die der SED. Im März 1947 wurde der Christdemokrat Manfred Klein, der zu den Unterzeichnern des Gründungsantrages gehört hatte, von der sowjetischen Besatzungsmacht verhaftet und zu 25 Jahren Arbeitslager verurteilt. Aus den Fotos, die ihn mit Honecker bei der Unterzeichnung zeigen, wurde er später heraus retuschiert. Vom christdemokratischen Mitbegründer der FDJ sieht man dort nur noch einen Stapel Papier. Die anderen nicht-kommunistischen Vertreter passten sich den Vorgaben der Sowjets an oder zogen sich aus der Arbeit zurück.

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Schon bald avancierte die FDJ zur „Kampfreserve der Partei“ – wie sie sich selbst stolz bezeichnete. In ihrem Statut von 1976 hieß es gleich zu Anfang, dass sie unter Führung der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands arbeite und sich „als deren aktiver Helfer“ betrachte. Grundlage für ihre gesamte Tätigkeit seien das Programm und die Beschlüsse der SED.

Tatsächlich wurde die FDJ von Anfang an vom Zentralkomitee der SED gesteuert. Zu diesem Zweck gab es dort eine ganze Abteilung und im Politbüro zusätzlich noch eine Jugendkommission. Dafür, dass sich die Massenorganisation an die Vorgaben hielt, sorgte das Prinzip des sogenannten Demokratischen Zentralismus. Es bedeutete nichts anderes als, dass der Führung absoluter Gehorsam zu leisten war und abweichende Meinungen nicht erlaubt waren.

Genau wie die SED war auch die FDJ streng hierarchisch aufgebaut. Sie gliederte sich in Gruppen, Grundorganisationen, Kreis- und Bezirksleitungen, die jeweils eine alles entscheidende Leitung hatten. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel gehörte bekanntlich einer solchen FDJ-Leitung in ihrem einstigen Zentralinstitut für Physikalische Chemie an. An der Spitze stand der Zentralrat der FDJ, dem wiederum ein Sekretariat vorstand, dessen Chef sich Erster Sekretär nannte. Wer es auf diesen Posten geschafft hatte, hatte gute Aussichten, wie Erich Honecker und Egon Krenz irgendwann auch einmal SED-Chef zu werden.

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Die FDJ war allerdings nicht nur in der DDR aktiv. Entsprechend ihrem Anspruch, dem Sozialismus in ganz Deutschland zum Durchbruch zu verhelfen, sorgten KPD und SED dafür, dass sich die FDJ auch in den westlich besetzten Zonen organisierte. Allerdings hatte sie dort nie einen vergleichbaren Einfluss, weil es neben ihr noch viele andere Jugendverbände gab. Gleichwohl gehörten ihr auch in Westdeutschland 1950 rund 30.000 Mitglieder an, von denen etwa die Hälfte zugleich Mitglieder der KPD waren. Die hauptamtlichen Funktionäre gehörten allesamt der KPD an, die keine selbständige Partei war, sondern aus Ost-Berlin gelenkt und finanziert wurde.

Verantwortlich für die Westarbeit waren in der FDJ eine Westabteilung und ein spezieller Sekretär des Zentralrats. Aufgebaut hatte den Bereich der jüdische Kommunist Heinz Lippmann, der zugleich Mitglied der Westkommission des Politbüros war. Nach dem Aufstand vom 17. Juni 1953 floh er mit 300.000 D-Mark aus der Kasse der FDJ in den Westen, weil er fürchtete, in der DDR verhaftet zu werden.

Die westdeutsche FDJ war keine eigenständige Organisation. Sie empfing ihre Anweisungen von der FDJ-Zentrale, die dafür umfangreiche finanzielle, materielle und personelle Ressourcen besaß. Wie die Steuerung erfolgte, kann man unter anderem in einem Dokumentenband des Instituts für Zeitgeschichte genauer nachlesen.

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Eines der zentralen Ziele von SED und FDJ war es, die Wiederbewaffnung der Bundesrepublik zu verhindern. Zu diesem Zweck initiierte die FDJ im Westen 1951 eine „Volksbefragung“, die von der Bundesregierung nach einiger Zeit verboten wurde. Die Begründung dafür lautete: „Die von der SED, dem Gewalthaber der Sowjetzone, betriebene Volksbefragung ‚gegen Remilitarisierung und für Friedensschluss im Jahre 1951‘ ist dazu bestimmt, unter Verschleierung der verfassungsfeindlichen Ziele die freiheitliche demokratische Grundordnung der Bundesrepublik zu untergraben.“ Die Vereinigungen, die diese Aktion durchführten, seien deshalb durch Art. 9 Absatz 2 des Grundgesetzes kraft Gesetz verboten und ihre Betätigung sei zu unterbinden. Am 26. Juni 1951 beschloss die Bundesregierung auch formell, die FDJ zu verbieten.

Drei Jahre später bestätigte das Bundesverwaltungsgericht das Verbot. Die Klage der Vereinigung „Freie Deutsche Jugend in Westdeutschland“, die statt des Ost-Berliner Zentralrates juristisch dagegen vorgegangen war, wurde mit Urteil vom 16. Juli 1954 letztinstanzlich abgewiesen (Az.: BVerwG I A 23.53). Da nach § 86a StGB Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen wie Fahnen, Abzeichen, Uniformstücke und Grußformen öffentlich nicht verwendet werden dürfen, waren seitdem auch das FDJ-Hemd, das Symbol der aufgehenden Sonne sowie der Freundschaftsgruß verboten. Wer sie öffentlich zeigt, kann mit bis zu drei Jahren Haft bestraft werden.

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Durch den Beitritt der DDR zum Geltungsbereich des Grundgesetzes erlangte dieses Verbot – wie das gesamte Bundesrecht – auch in Ostdeutschland Gültigkeit. Abweichungen vom Grundgesetz waren längstens bis zum 31. Dezember 1992 erlaubt. Laut einer Anlage zum Vertrag bestanden rechtsfähige Vereinigungen, die nach dem Vereinigungsgesetz der DDR vor dem Beitritt zur Bundesrepublik entstanden waren, zwar fort, doch nur, soweit das dabei zugrunde gelegte Recht mit dem Grundgesetz vereinbar war. Auf diese Weise wurden zahllose DDR-Vereinigungen in eingetragene oder nicht rechtsfähige Vereine überführt. Unter ihnen befanden sich auch die kläglichen Reste der FDJ, deren Mitgliederzahl bis 2003 auf ganze 150 Personen zusammenschmolz und die sich ins Vereinsregister beim Amtsgericht Berlin-Charlottenburg eintragen ließ.

Dass sich in der Bundesrepublik eine verbotene Organisation ungehindert betätigen konnte, war in Deutschland lange kein Thema. Wenn Ostdeutsche auf sogenannten Ostalgiepartys im FDJ-Hemd erschienen, sah man großzügig darüber hinweg. Kein Polizist dachte daran, dass sie sich damit strafbar machen könnten. Erst in den letzten Jahren ist das FDJ-Verbot verstärkt ins Bewusstsein der Sicherheitsbehörden getreten, weil eine linkssektiererische Organisation gleichen Namens inzwischen immer häufiger auf die Straße geht.

So erschienen 2012 an der Gedenkstätte Berliner Mauer zwei Männer demonstrativ im FDJ-Hemd, als Politiker und Opfervertreter dort am Jahrestag des Mauerbaus Kränze für die Maueropfer ablegten, dort. Als sich Anwesende daraufhin an die Polizei wandten, schrieben Polizisten pflichtbewusst eine Anzeige.

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Unter dem Motto „30 Jahre sind genug. Revolution & Sozialismus“ kam es dann im vergangenen Jahr zu regelrechten FDJ-Aufmärschen in mehreren ostdeutschen Städten. Zahlreiche Demonstranten zeigten sich dabei nicht nur im Blauhemd, sondern schwangen auch riesige Fahnen mit dem Emblem der verbotenen Jugendorganisation. Bei einem ähnlichen Auftritt im Rahmen der jährlichen Luxemburg-Liebknecht-Demonstration am 10. Januar in Berlin sah die Polizei dem Treiben nicht länger zu, sondern nahm die Personalien mehrerer Demonstranten auf.

Die Bereitschaft der Gerichte, das FDJ-Verbot tatsächlich durchzusetzen, hielt sich allerdings in Grenzen. Nachdem die Blauhemden an der Mauer-Gedenkstätte wegen Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen Strafbefehle über je 2700 Euro erhalten hatten, legten diese Einspruch ein – und kamen beim Amtsgericht Berlin-Tiergarten damit durch (243 Cs 295/12). Die Richter begründeten den Freispruch damit, dass es sich nicht um Abzeichen der West-FDJ gehandelt habe, sondern um das der DDR-FDJ, das von dem Verbot aus dem Jahr 1954 nicht erfasst sei. Demgegenüber bejahte das Landgericht München in einem Urteil vom 14. April 2015 (2 Qs 14/15) eine mögliche Strafbarkeit nach § 86a StGB.

Die Behauptung, dass sich das Verbot von 1954 nur auf die nicht mehr existierende West-FDJ beziehe, geht unter anderem auf eine Ausarbeitung des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages über „Das strafbare Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen“ zurück. Darin wird eher beiläufig festgestellt, dass sich das Verbot auf die FDJ-West beschränkt und die DDR-Jugendorganisation nicht erfasst hätte, „da es sich um zwei unterschiedliche Organisationen“ gehandelt hätte. Die FDJ-Ost werde auch nicht „als Ersatzorganisation der FDJ-West“ von deren Verbot umfasst, weil sie diese mangels entsprechender organisatorischer Maßnahmen und Identitätswechsel nach ihrem Verbot nicht ersetzt habe.

Die historisch haltlose Unterscheidung zwischen FDJ-West und FDJ-Ost hat sich jetzt offenbar auch die Bundesregierung zu Eigen gemacht. Auf eine Kleine Anfrage der Linksfraktion vom 11. Februar teilte sie nach Angaben der Linken-Abgeordneten Ulla Jelpke mit: „Die FDJ wurde nach der Wiedervereinigung vom Verbot nicht umfasst, da sie eine eigene juristisch unterscheidbare Person darstellt und […] als Verein mit Rechtsnachfolge der FDJ in der ehemaligen DDR fortgesetzt wird.“ Zwar gelte das Verbot von 1954 fort, doch auf die weiterhin existierende FDJ sei dieses nicht anzuwenden, da sich diese als Fortführung der DDR-Jugendorganisation verstehe. Obwohl die FDJ auf ihrer Webseite offen extremistische Positionen vertritt, ist sie nach diesen Angaben nicht einmal Beobachtungsobjekt des Verfassungsschutzes.

Für die Erben der vor 75 Jahren von deutschen Kommunisten gegründeten FDJ ist dies eine gute Nachricht. Wer auch immer in Zukunft die blauen Fahnen der FDJ über Deutschland wehen lassen möchte, kann sich vor Gericht auf diesen Freibrief der Bundesregierung berufen. Im Zweifelsfall handelte es sich eben nicht um das Symbol einer kommunistischen Organisation, die in der Bundesrepublik seit 1954 zweifelsfrei verboten ist.

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