Mit der politisch motivierten Kriminalität ist es gerade wie mit den Schichten einer Zwiebel: Die äußeren Lagen sind größer, aber auch trockener. Innen wachsen neuen Schichten heran, die deutlich vitaler wirken. Der politische Betrieb begnügt sich gerne mit der Außenansicht, weil sie ihm vertraut ist. Was im Inneren wirklich vor sich geht, davon haben auch die Behörden anscheinend allenfalls eine schemenhafte Vorstellung.
Und so bleibt es bei dem merkwürdigen Paradoxon, dass im politischen Zentraldiskurs rund um Ampel und die ihr geneigte Opposition (mit mittelfristigen Koalitionsabsichten) eine Erzählung aufrechterhalten wird, in der die rechtsextremen politischen Straftaten und auch die politische Gewalt von „rechts“ in Deutschland überwiegen sollen, während doch in der allgemeinen Berichterstattung fast nur linksextreme oder andere politische Straftaten auftauchen.
Man nehme nur die Klimakleber, die laut Sicherheitsbehörden von Linksextremisten unterwandert sind – wenn man beide Bewegungen nicht ohnehin als mindestens teilweise identisch ansehen will. Daneben gab es Anschläge auf das Brandenburger Stromnetz und das dortige Tesla-Werk, weitere Anschläge auf Infrastruktur, Baustellen, Kabelschächte, Bahnanlagen, Telekommunikationsnetze, die allesamt als linksextrem firmieren dürften, sicher nicht als „rechts“. Selbst Innenministerin Nancy Faeser (SPD) gab gegenüber der Bild am Sonntag jüngst zu, dass in der linksextremistischen Szene die Hemmschwellen gesunken seien. „Mit äußerster Brutalität“ würden heute „politische Gegner und Polizeibeamte im Einsatz“ attackiert.
Wo sind nun demgegenüber die aufsehenerregenden Fälle rechtsextremer Gewalt? Man weiß es nicht. Bis auf die Erinnerung an Hanau und den noch länger zurückliegenden „NSU“ ist da nicht viel. Trotzdem soll es im vergangenen Jahr laut der neuen Statistik des Bundesinnenministeriums insgesamt 28.945 Straftaten im Phänomenbereich „PMK – rechts“ gegeben haben, darunter 1.270 Gewaltdelikte. Im Phänomenbereich „PMK – links“ waren es dagegen nur 7.777 Straftaten insgesamt (also rund ein Viertel) und mit 916 Gewaltdelikten immer noch etwas weniger als im rechtsextremen Bereich. Wie ist diese Divergenz der öffentlichen Wahrnehmung und der vom Innenministerium mitgeteilten Zahlen zu erklären?
Wie wird eine Tat zur „Tat von Rechten“?
Eine Teilantwort könnte liefern, dass etwa Taten gegen Flüchtlinge und Migranten ganz überwiegend als „rechts“ eingeordnet werden, zu 90 Prozent nämlich. 2023 gab es einen deutlichen Anstieg dieser Straftaten um 75 Prozent auf nun 2.488 Taten. Bei den Gewaltdelikten gegen Migranten gab es ein Wachstum um 15 Prozent auf 321 Gewalttaten. Die Straftaten gegen Asylunterkünfte nahmen um etwa 50 Prozent auf eine Gesamtzahl von 179 zu. Vielleicht beruht es aber doch auf einer oberflächlichen Analyse von Geschehen und Motiven, dass diese Straftaten fast alle als „rechts“ eingeordnet werden, einfach weil es so naheliegt?
Tatsächlich hat man ähnliches erlebt nach dem Angriff auf einen SPD-Politiker im Wahlkampf in Leipzig, der vorderhand und ohne jede Faktenkenntnis von vielen in Parteien und Medien als „rechts“ eingestuft wurde. Eines ist aber sicher festzuhalten: Migrantenfeindliche Straftaten und Gewalt gegen Asyleinrichtungen sind kein „rechtes“ Privileg, wie breite und teils heftige Proteste in anderen europäischen Ländern zeigen. Der Essener dritter Bürgermeister Rolf Fliß und der Bundestagsabgeordnete Kai Gehring (beide Grüne) – zwei weitere „linke“ Opfer eines „Politikerangriffs“ – beschrieben ihren Angreifer übrigens als von arabischem Aussehen.Sollte es ein politisches Motiv gewesen sein, war dies dann „links“ (vielleicht alt-links gegen den grünen Kriegskurs), „rechts“ oder doch „ausländisch“ oder „religiös“? Diese Etikettierung und Benamsung, die als politische Gesäßgeographie vielleicht ohnehin etwas obsolet ist, obliegt selbstverständlich verantwortungsvoll agierenden Polizisten. Zumindest solange nicht von oben her, aus politischen Sphären her, etwas auf Linie gebracht wird.
Sind radikale Muslime rechts?
Daneben ist hervorzuheben, dass der Unterschied zwischen „rechten“ und „linken“ Straftaten bei den Gewaltdelikten sehr viel kleiner ist als bei den Straftaten insgesamt. Dabei spielen Gesinnungsdelikte eine Rolle, etwa die Nutzung verfassungswidriger Kennzeichen, die eventuell auch eine Unwucht auf der Seite der „rechten“ Straftaten herstellt. Denn eine handelsübliche hingeschmierte Swastika und ähnliches wird man wohl gemeinhin als „rechts“ einordnen, auch wenn sie vielleicht von ganz anderen Bevölkerungsgruppen genutzt wird.
Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) kommentierte die Statistik: „Wir sehen einen neuen Höchststand von Straftaten, die sich gegen unsere offene und freiheitliche Gesellschaft richten. (…) Und seit dem Terrorangriff der Hamas gegen Israel und dem Gaza-Krieg sind antisemitische Taten drastisch angestiegen.“
Wie werden diese Taten nun wieder zugeordnet? Wie die Statistik zeigt, meistenteils den Bereichen „ausländische Ideologie“ (2.790 Taten) und „religiöse Ideologie“ (869 Taten). Im ganzen Jahr 2022 hatte es übrigens nur 61 Straftaten mit Bezug zum Israel-Palästina-Konflikt gegeben, 2023 waren es 4.369. Hier gibt es Steigerungsraten von bis zu 17.280 Prozent, so im Unter-Phänomenbereich „religiöse Ideologie – Israel und Palästina“. Ähnlich hoch ist aber der Anstieg im Phänomenbereich „rechts – Israel und Palästina“, nämlich plus 16.900 Prozent.
Beide Steigerungsraten stechen heraus und machen einen Schluss wahrscheinlich: Der Anstieg der rechten Straftaten geht hier auch auf das Konto radikal-islamischer Gruppen. Hatten nicht schon einzelne Medien die wiederkehrenden Kalifats-Demos in Hamburg als von einer „rechtsextremistischen Gruppe“ organisiert geschildert? Auch die ultralinke taz spricht von „migrantischem Rechtsextremismus“.
Der rosa Elefant im Raum: Verdreifachung bei religiöser Ideologie
Klar ist, und der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung Felix Klein stellt es fest: Der Anstieg der judenfeindlichen Straftaten in Deutschland seit dem 7. Oktober ist „dramatisch und erschütternd“. 30 Prozent der Hasskriminalität mit dem Anlass der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit seien tatsächlich judenfeindliche Straftaten. Das bedeutet laut Klein im Klartext: „Nahezu ein Drittel aller Straftaten gegen spezifische Gruppen betrafen vergangenes Jahr die winzige jüdische Gemeinschaft in Deutschland, die nur rund 0,25 Prozent der deutschen Bevölkerung ausmacht.“ Juden seien einem Hass ausgesetzt, der noch viel eklatanter sei, als die absoluten Zahlen vermuten lassen.
Darin sieht Klein „auch eine Bedrohung für die Demokratie“, wie die Nachrichtenagentur dts zusammenfasst. Klein fordert, den Kampf gegen Antisemitismus durch bessere Strafverfolgung, mehr Bildung und Sensibilisierung zu intensivieren.
Auch die Gewalttaten haben in beiden Bereichen stark zugenommen. Und das ist natürlich auf die neu entfaltete Stimmung nach dem Terrorangriff auf Israel zurückzuführen. Unklar ist aber, ob sich hier nicht einfach die Zuwanderungsdynamik der letzten Jahre ausdrückt. Zudem kann nicht jeder Einwohner der Bundesrepublik diese Straftaten so leicht begehen. In Frage kommen wohl vor allem Ausländer und Muslime. Das grenzt die Sache schon ziemlich ein. Die Quote steigt dadurch weiter, auch wenn es etwa noch deutlich mehr „linke“ und „rechte“ Straftaten gab.
„Staatsdelegitimierer“ auf dem Rückzug – und wer sie wirklich sein könnten
Daneben erzählte BKA-Präsident Holger Münch bei der Vorstellung der Zahlen etwas von „Radikalisierungstendenzen“ in Teilen der Bevölkerung. Dieselben reichen demnach „bis hin zu einer versuchten Delegitimierung des Staates und seines Gewaltmonopols“ hin. Münch klärte allerdings nicht auf, über welche Gruppe er hier sprach. Klar ist laut dem BKA-Chef nur: „Diese Entwicklung müsse man sehr ernst nehmen, denn sie bedrohe die Demokratie und den gesellschaftlichen Frieden.“ Deshalb lege die Polizei „weiterhin eine hohe Priorität auf die Bekämpfung der politisch motivierten Kriminalität“. Das ist ganz richtig so. Aber wer ist denn nun der wirkliche „Staatsdelegitimierer“: Der Demonstrant gegen die Coronamaßnahmen oder allgemein Bürger mit ausgeprägter Regierungskritik? Oder sollte es bei der von Münch ungefähr beschriebenen Gruppe nicht vielmehr um Kriminelle ohne intensive Integrationserfahrung gehen, die sich keinen Deut um die Rechtsordnung Deutschlands kehren und das gelegentlich auch ganz offen so sagen?
Jedenfalls ist die politische Kriminalität durch „Reichsbürger“ und „Selbstverwalter“ um 30 Prozent zurückgegangen, auf nun 1.300 gezählte Delikte. Und das wird auf das verstärkte Vorgehen der Sicherheitsbehörden zurückgeführt. Delikte wie Beleidigung, Nötigung und Erpressung seien teilweise deutlich zurückgegangen. Jenes Vorgehen war in der Tat beeindruckend, wenn man an die Festnahme des Prinzen Reuß und seiner versprengten Truppen denkt. In diesen Tagen beginnt nach fast 18 Monaten ein weiterer Prozess in Frankfurt; weitere Mitglieder der Gruppierung müssen sich in Stuttgart und München verantworten.
Insgesamt ist die politisch motivierte Kriminalität übrigens zurückgegangen, nämlich um rund zwölf Prozent. Das liegt aber offenkundig nur am Phänomenbereich „PMK – sonstige Zuordnung“, der um 50,6 Prozent zurückging. Hier dürfte es um die im Jahr 2022 noch sehr rege Corona-Protestszene gegangen sein, die 2023 natürlich zurückging. Die Straftaten wurden dadurch anscheinend wieder leichter zuzuordnen, könnte man nun geschwind aus dem Zahlenmaterial schließen. Rechts wurde wieder rechts, auch links wieder links. So könnte man vermuten. Aber darüber hinaus gehört ein grundlegendes Fragezeichen an diese politischen Richtungszeiger, deren Sinn immer mehr verschwimmt und deren relative Bedeutung abnimmt.