Biden, Merkel und Macron redeten auf virtueller Sicherheitskonferenz aneinander vorbei
Georg Gafron
Wurde Bidens Antritt vom durchgängigen Pathos der Freiheit getragen, kam bei Merkel dieses Wort nicht ein einziges Mal vor. Die Reaktion der deutschen Kanzlerin fiel noch emotionsloser aus, als man es sonst von ihr gewöhnt ist.
Man kann getrost darauf wetten, dass bei der Rede des neuen amerikanischen Präsidenten Joe Biden sich so mancher Europäer und besonders so mancher hierzulande den ach so furchtbaren Donald Trump bereits wieder zurückgewünscht hat. „America first“ klang so schön distanziert, und die Europäer schien der „Cowboy im Weißen Haus“ als erkannte Weicheier innerlich schon abgeschrieben zu haben. In dieser Rolle konnte besonders Deutschland schmollend und beleidigt in der Auszeit-Ecke Platz nehmen.
Wie anders tritt da der noch vor kurzem euphorisch gefeierte Joe Biden auf. Wie in guten alten Zeiten der Konfrontation mit dem Sowjet-Kommunismus beschwor er den gemeinsamen Wert der Freiheit und deren gemeinsame globale Verteidigung als Grundlage für das europäisch-amerikanische Verhältnis, dessen Kern das Bündnis zwischen Washington und Berlin sei. Und er nannte die großen Herausforderungen auch gleich beim Namen: China und Russland. Dabei bezeichnete Biden die chinesische Herausforderung, die es gemeinsam zu bestehen gelte, als die größere Gefahr. Es ginge um nicht mehr und nicht weniger als den Wettstreit zweier unterschiedlicher Vorstellungen von Gesellschaft, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. Nur gemeinsam würden die USA und Europa am Ende siegreich sein. Russland gefährde die Souveränität und Existenz einzelner Staaten.
Der US-Präsident stellte klar, dass die Wiederherstellung der territorialen Integrität der Ukraine für ihn oberstes Ziel bleibe. Zugleich verurteilte er russische Cyber-Attacken und Moskaus Bestreben, das westliche Bündnis zu schwächen und Keile zwischen einzelne Partner hineinzutreiben. Ausdrücklich bekannte sich der Präsident zu Artikel 5 des Nato-Vertrages, der im Falle eines Angriffs auf jedes einzelne Mitglied automatisch den Bündnisfall auslöse. Dabei lobte er das gemeinsame Engagement in Afghanistan und mahnte direkt anschließend die Bündnispartner, ihre Verteidigungsanstrengungen zu erhöhen. Schließlich bekräftigte der neue Mann aus Washington den gemeinsamen Einsatz zur Bewältigung der „Klimakrise” und der sozialen Probleme der Welt. Gemessen an den Schwerpunkten seiner Ansprache auf dieser – Corona-bedingten – online-Ausgabe der traditionellen Münchener Sicherheitskonferenz wirkte dieser Klima-Appell eher als zum guten Ton gehörende Beigabe.
Die Reaktion der deutschen Kanzlerin fiel noch emotionsloser aus, als man es sonst von ihr gewöhnt ist. Wurde Bidens Antritt vom durchgängigen Pathos der Freiheit getragen, kam bei Merkel dieses Wort nicht ein einziges Mal vor. Natürlich freue sie sich über den Neuanfang nach den vergangenen vier Jahren, sehe ebenso wie Biden die Gemeinsamkeiten, die freilich gelegentliche Differenzen nicht ausschlössen. So bekräftigte sie ihren Standpunkt eines veränderten Sicherheitsbegriffs, der sich in der Vernetzung von militärischen mit humanen und entwicklungspolitischen Ansätzen verbinde. So leiste die Bundesrepublik über ihr militärisches Engagement in Afghanistan in vielen anderen zivilen Bereichen wichtige Beiträge, die es zu berücksichtigen gelte. Sehr ausführlich ging Merkel auf notwendige Anstrengungen mit Blick auf Afrika und andere Teilkonflikte ein. In der Rangordnung ihrer Aufzählung schien es, als ob die Probleme mit China und Russland zwar vorhanden seien, aber in erster Linie mit Dialog zu bewältigen wären, da man zur Lösung der großen Fragen unserer Zeit, wie Pandemien und „Klimawende”, diese Mächte brauche.
Der Konflikt um das russisch-deutsche Gasprojekt Nordstream 2 musste folglich auch gar nicht gesondert erwähnt werden. Die unterschiedlichen Auffassungen dazu ergaben sich ohnehin aus dem Gesagten.
Der Vollständigkeit halber noch ein Wort zum französischen Staatschef Emmanuel Macron. Er forderte die baldige Verabschiedung einer erneuerten Sicherheitsstrategie der NATO, bei der auch die unterschiedlichen Interessen zum Ausdruck kommen müssten.
Fazit: Das Gesicht der Nummer 1 im Bündnis ist neu, die Probleme aber sind geblieben. Der Realitätssinn sagt, die Flitterwochen gehen schnell vorüber und die Gegensätze bestimmen wieder das Tagesgeschäft.
Anzeige
Wenn Ihnen unser Artikel gefallen hat: Unterstützen Sie diese Form des Journalismus. Unterstützen