Bettina Gaus ist gestorben. Ich gestehe, es trifft. Wir waren Kommilitonen auf der Deutschen Journalistenschule, es ist, das muss ich jetzt nach ihrem Tod sagen, fast ein Leben her.
Bettina gehörte zu den scharfzüngigsten Kolleginnen, damals sagte man noch ganz unbedarft: Mitschülern. Sie pflegte ätzenden Spott, was aber nicht ihre persönliche Hilfsbereitschaft schmälerte. Den Start in den Journalismus hat sie sich nicht leicht gemacht. Ihr Vater war der Chefredakteur des Spiegel und präzise nachfragender Fernseh-Interviewer, gegen den heutige Moderatoren wirken wie Ritter mit dem Zahnstocher. Später war er der Ständige Vertreter der Bundesrepublik in der DDR, was sie nutzte, um schmutzige Wäsche am Wochenende in Ost-Berlin reinigen zu lassen. Was macht man mit so einem Vater im Gen-Gepäck und dem wissenden Lächeln der Big Bosse, wenn sich so eine Tochter bewirbt?
Bettina nutzte das nicht. Sie versuchte, dem auszuweichen.
Sie war von 1983 bis 1989 Redakteurin bei der Deutschen Welle und berichtete dann bis 1996 aus Nairobi. Sie hat die Afrika-Berichterstattung geprägt; dem Kontinent auch über ihren Partner verbunden. Es waren keine volkstümelnden oder von oben herab geschriebenen Geschichten, sondern Storys aus der Perspektive eines Kontinents, der so viele Facetten hat. Folgt man ihrer Spur, dann hat man den Verdacht, dass sie mehr Nächte im Flieger oder im Bus statt im eigenen Bett verbracht hat; sie hat alle Orte besucht, beschrieben und analysiert, die später Donald Trump als „Shitholes“ beschrieben hat. Es waren aber auch Orte der Menschlichkeit, des Fortschritts und der Freude. Thema und Sprache waren immer distanziert, kritisch, fair, und sie machte wenigstens auf diesem Gebiet ihre Zeitung führend: die taz.
Zunächst freiberuflich, ab 1991 als Korrespondentin über Ost- und Zentralafrika. Danach leitete sie bis 1999 das Parlamentsbüro der taz, bis 2021 war sie deren politische Korrespondentin. Seit Anfang April 2021 war sie Kolumnistin beim Spiegel. Sie kehrte auf den Kontinent zurück, von dem sie aufgebrochen war. War es schon ein Zeichen? Viele wunderten sich über den Wechsel, denn die Altersgrenze ist auch für angestellte Journalisten ehern. Warum jetzt noch das Blatt wechseln? In der kurzen Zeit schrieb sie ihre besten Stücke. Wie zum Abschied.
Im Wahlkampf wandte sie sich sogar von den Grünen ab, denen sie immer schreiberisch nahe gestanden hat. Es war ein eisiger Ton:
„Ich möchte von niemandem regiert werden, der oder die sich ein moralisches Urteil über meine Lebensführung erlaubt. Ein politisches Urteil? Sehr gern.
Ich esse nicht besonders gern Fleisch, habe kürzlich mein Auto verkauft und nie den Wunsch gehabt, ein Eigenheim mit Garten zu besitzen. Eigentlich. Aber in dem Augenblick, in dem ich diesen Tonfall höre, diesen ganz besonderen Tonfall, den ich als hochmütig und als übergriffig empfinde: In genau diesem Augenblick wünsche ich mir einen SUV, sechsmal in der Woche Steak und eine protzige Villa ohne Solardach. Aus Prinzip. Wenn Leute mich behandeln wie eine trotzige Heranwachsende, dann benehme ich mich auch so.“
Bettina Gaus begann beim Spiegel, zwischen den Welten zu wandern. Ihre Kolumne machte sich nicht gemein mit dem Zeitgeist, sondern kritisierte ihn – wenigstens in ihrer Kolumne, wenigstens in ihren Zeilen. Sie schrieb längst von einem einsamen wie hohen Turm aus, dessen Stockwerke nur sie selbst zählen konnte. In einer ihrer letzten Kolumnen setzte sie ein Fanal an Klarsicht gegen eine Titelgeschichte, wie sie kaum einfacher gestrickt sein konnte. Die Causa Julian Reichelt.
In diese Debatte habe sich
„ein merkwürdig prüder Ton geschlichen. Inzwischen entsteht der Eindruck, Frauen seien stets und grundsätzlich die Opfer in Beziehungen mit männlichen Vorgesetzten – auch dann, wenn sie selbst eine solche Beziehung wünschten. Hinter einer solchen Sicht steckt ein Weltbild, in dem Frauen nicht imstande sind, selbstbestimmt die Entscheidung darüber zu treffen, mit wem sie ins Bett gehen wollen. Das ist eine besonders perfide Art der Diskriminierung, weil sie sich als Fürsorge tarnt.“
Journalismus bleibt nicht; er vergeht wie die Spuren unserer Füße im Sand am Saum des Meeres. Unsere Texte werden weggewischt für den nächsten Aufreger.
Aber von Dir bleibt ein scharfer, oft lächelnd vorgetragener Satz.
Ciao, Bettina. Wir treffen uns wieder im Sommer in Beaulieu.