Tichys Einblick
TE 06-2020

Bernd Raffelhüschen: Einnahmen des Staates brechen noch stärker ein als das BIP

Der Finanzökonom Bernd Raffelhüschen rechnet nach Corona mit steigenden Steuern und Abgaben sowie „kalter Enteignung“ – Abgabenlast steigt auf über 60 Prozent

imago Images/Rainer Zensen

Die Steuereinnahmen des Staates werden durch die Coronakrise noch stärker einbrechen als das Bruttoinlandsprodukt (BIP), das nach Aussage der Bundesregierung um etwa 6,3 Prozent in diesem Jahr schrumpft. „Weil das Steueraufkommen progressiv veranlagt wird, reduzieren sich die staatlichen Steuereinnahmen prozentual noch deutlich stärker“, sagte der renommierte Finanzwissenschaftler Bernd Raffelhüschen dem Monatsmagazin Tichys Einblick. Doch der Staat müsse nicht nur niedrigere Einnahmen verkraften, sondern mit explodierenden Ausgaben rechnen „für das Kurzarbeitergeld, das Gesundheitssystem, die gigantischen inländischen und europäischen Hilfspakete“. Das werde die Schuldenquote Deutschlands massiv nach oben treiben. „Bei der expliziten Staatsschuld halte ich einen Anstieg auf bis zu 80 oder gar 90 Prozent des BIP für durchaus realistisch, nachdem Deutschland in diesem Jahr erstmals die 60-Prozent-Maastricht-Schuldenstandsquote wieder unterschritten hätte“, so Raffelhüschen.

Um diese riesigen Defizite aufzufangen, rechnet der Finanzwissenschaftler mit steigenden Einkommenssteuern nicht nur für Reiche, sondern für alle Schichten sowie höheren Sozialabgaben. „Kranken- und Pflegeversicherung werden signifikant teurer, auch die Rentenbeiträge steigen.“ Zudem rechnet der Ökonom mit einer „Enteignung der Bürger auf kaltem Weg“. Raffelhüschen: „Bereits seit Jahren schmilzt die Kaufkraft von Deutschlands liebsten Sparformen auf Sparbüchern und bei Versicherungen. Die Nullzinspolitik frisst selbst bei der ausgewiesenen relativ niedrigen Inflation heimlich, still und leise die Kaufkraft. Die härteste Enteignung stellt eine deutlich steigende Inflationsrate bei stagnierender Wirtschaft dar.“

Steuerkeile im internationalen Vergleich
OECD-Statistik: Deutschland besteuert extrem hoch und familienunfreundlich
Allerdings sieht Raffelhüschen den Staat bei der Erhöhung von Steuern und Abgaben an einer Akzeptanzgrenze angekommen. „Allein veranlagten Steuerpflichtigen mit Facharbeitereinkommen in der Metall- oder Chemieindustrie verbleiben oft kaum mehr als 40 Prozent von ihrem Arbeitnehmerbruttolohn. Wir können diese Steuer- und Abgabenbelastung nicht weiter erhöhen, weil das zu einem massiven Akzeptanzproblem bei den Bürgern führen wird.“ Zudem würden Verbrauchssteuern wie die Mehrwertsteuer noch einmal 20 Prozent des privaten Konsums wegfressen. Dennoch rechnet der Ökonom damit, dass die Abgabenlast immer weiter steigen wird. „In der langen Frist werden wir bei 60 Prozent landen, wenn wir auf der Ausgabenseite so weitermachen wie bisher.“

Das gesamte Interview in Tichys Einblick 06-2020 >>>

Die mobile Version verlassen