Tichys Einblick
Theodor Fontane

Berlins „fanatischer Belehrungstrieb“

Theodor Fontane hat fast sein ganzes Leben in Berlin zugebracht. Er hat es gehasst und auch geliebt. Seine scharfzüngigen Beobachtungen könnten auch auf das Berlin von heute gemünzt sein. Zum 200. Geburtstag des großen Schriftstellers am 30. Dezember.

Fontanes Arbeitszimmer im Märkischen Museum: „In Berlin fehlen Geschmack, Politesse und Generosität“

ullstein Bild/Getty Images

Als 13-jähriger Schüler der Friedrichwerderschen Gewerbeschule zog Theodor Fontane 1833 nach Berlin. Es fuhren Pferdedroschken auf den Straßen, und es stank überall nach Latrine. Als er 1898 in der Potsdamer Straße starb, gab es dort Kanalisation und eine elektrische Straßenbahn. Berlin war zur Metropole gewuchert, keine mickrige Residenzstadt des preußischen Markgrafen mehr, sondern Haupt- und Kaiserstadt des Deutschen Reichs.

Fontane aber war nun „himmelangst“ vor den chauvinistischen Reden Wilhelms II. Ein halbes Jahrhundert zuvor hatte er mit der Märzrevolution und der Arbeiterschaft der industriellen Revolution in England sympathisiert. In seinem letzten Roman, „Der Stechlin“, beschrieb er dann die morbide, dem Untergang geweihte Adelsgesellschaft, und in „Frau Jenny Treibel“ (geborene Bürstenbinder) verhöhnte er die ebenso aufstrebenden wie spießigen Geld- und Bildungsbürger Berlins.

Die Metropole erstickte im Größenwahn – Fontane aber stieg sie nicht zu Kopf. „Die Stadt wächst und wächst, die Millionäre verzehnfachen sich, aber eine gewisse Schusterhaftigkeit bleibt, die sich vor allem in dem Glauben ausspricht: ,Mutters Kloß sei der beste‘.“

Wie sehr Fontanes Berlin an das heutige erinnert! Wieder ist Berlin Hauptstadt eines neu vereinten Landes geworden. Wieder Bauboom und Verrohung. Einen gehörigen Mietwucher hat auch Fontane persönlich erlebt, die „Geldsackgesinnung“ gegeißelt und das „Pflichttrampeltum“ des Justemilieu in der Hauptstadt. Wieder und noch immer steht Berlin für eine Mentalität, die so gar nichts Hauptstädtisches hat, außer dem großkotzigen Anspruch, vom ganzen Land Gehorsam und Geld einzufordern.

„Überhaupt, welche Stadt! Oh, Berlin, wie weit ab bist du von einer wirklichen Hauptstadt des Deutschen Reiches! Du bist durch politische Verhältnisse über Nacht dazu geworden, aber nicht durch dich selbst. Wirst es, nach dieser Seite hin, auch noch lange nicht wer­den. Vielleicht fehlen die Mittel, gewiss die Gesinnung. ,Denn aus Gemeinem ist der Mensch gemacht‘, sagt Schiller. Er soll dabei speziell an den Ber­liner Spießbürger, der inzwischen zum ,Bourgeois‘ sich abwärts entwickelt hat, gedacht haben.“ Fontane begreift den Zusammenhang zwischen Mentalität und Gesinnung. Er echauffiert sich über die „großmäuligen und unverschämten Berliner“, denen vieles fehlt, nicht zu­letzt „Takt und feines Gefühl“. Der Ber­liner „ist immer laut, eitel und zudringlich, nicht mit seiner Person, aber durch seine Manieren“.

So korrespondiert die „echt preu­ßische Ruppigkeit“ mit dem „berlini­schen Räsoniercharakter“. Die Rede ist von jener dröhnenden Geschwätzigkeit, die Fontane „Sprechanismus“ nennt. Es gibt ihn, meint er, nur in Berlin. „Der Sprechanismus ist hart und unerbitt­lich, und sein charakteristisches Zei­chen ist nicht das einfache, gewandte Sprechenkönnen, sondern die verzwei­felte Ordnung darin, die Dialektik, der Doktrinarismus, der fanatische Beleh­rungstrieb, das fanatische Verlangen, dem andern zu einem richtigeren oder, richtiger ausgedrückt, zu dem einzig richtigen Standpunkt zu verhelfen.“

Das kommt uns sehr vertraut vor. Die Berliner Politik soll für das Maß aller Dinge gehalten werden; dabei ist die Hauptstadt nur das Epizentrum je­ner Kräfte, die das Land an die Wand fahren. „Woraus sich dann von selbst ergibt, dass der Sprechanismus immer nur bei beschränkten und halbgebilde­ten Menschen zu Hause ist, bei solchen, die in einem fort Parteizeitungen le­sen. Welcher Richtung, ist gleichgültig. Denn der Sprechanismus entfaltet sein Panier auf jedem Gebiet, uneingeengt von Parteigrenzen.“

Wie hellsichtig! Da trifft Fontane auch das Allparteiengedöns unserer Tage, das Mitte zu sein beansprucht und sich in moralischer Überlegenheit suhlt. Er gesteht, dass „mein Ärger über einen ge­wissen deutschen und speziell berlini­schen Chauvinismus von Tage zu Tage größer wird. Wenn man die Stimmung in unserer Oberschicht belauscht, wenn man in unsere Zeitungen hineinkuckt, die den Leuten nach dem Munde reden, so sollte man glauben, Berlin spaziere an der Tête der Zivilisation. Es ist aber sehr weit ab davon. Jeder Berliner Bä­cker bildet sich ein, Berliner Backware sei was ganz Besondres, während sie, wenn man nicht als Fremder im Hotel de Rome wohnt, erbärmlich ist. Dies wiederholt sich auf jedem Gebiet.“

Mit Karacho steuerten ein nationalis­tischer Kaiser und seine Kamarilla ins Verderben. Heute soll die Welt an einem moralisch hochgerüsteten Deutschland genesen. Berliner Politik rettet nicht weniger als das Klima und zerstört die Grundlagen des Wohlstands und in­neren Friedens. Damals wie heute gilt: „Es könnten Zeiten kommen, und sehr bald, wo das regierende märkisch­ber­linische Wesen der Sympathien All­deutschlands dringend bedürftig ist.“

Stolz auf das Chaotische

Dabei ist Berlin geradezu stolz auf das Chaotische und Unregierbare. Die Ist­-mir­-egal­-Haltung wird mit Coolness verwechselt. Was Berlin dagegen gerade deshalb fehlt, ist Urbanität. Fontane: „Berlin aber war nie eine urbs, es war nie eine Bürger­Republik. All das war es nur dem Namen nach. Bis in neuere Zei­ten hinein war es ein mit Bureaus und Kasernen reich ausgestattetes Dorf gro­ßen Stils, und eines Tages (…) erwach­te es und war eine Residenz geworden. Eine Residenz mit einem Reichstag und einem Heuschrecken­-Proletariat. Bür­ger hatte es nie und hat es noch nicht.“

Mit dem Umzug des politischen Be­triebs von West nach Ost, von Bonn nach Berlin, wucherte in Berlin kleingeistige Überheblichkeit. Der sprichwörtliche Berliner glaubt gewissermaßen ewigen Anspruch auf das Bekenntnis aller Be­sucher zu haben: Ich bin ein Berliner. Hält er sich doch für den Inbegriff einer fortschrittlichen Spezies, die sich in Wahrheit als linke Kietzigkeit entpuppt.

Keine Rücksicht auf den Fremden

Fontane sieht auch das. „Mit der Orts­eitelkeit hängt zusammen, dass auf den Fremden gar keine Rücksicht ge­nommen wird. Überall in der Welt kommt man dem Fremden entgegen, (…) sucht sich zu belehren und vor al­len den Fremden dadurch wohltätig zu berühren. Das kennt der Berliner nicht. Er fordert sofort das Eingehn auf seine Stadt und das Leben und die Interessen derselben.“

So kommt es auch, dass in Berlin die Abwesenheit von Stil zum Berliner Stil erklärt wird. Das ist nicht neu. Berlin ist schon Fontane „von allen echten Berlinern immer als der Inbegriff städ­tischer Schönheit geschildert worden“. Der Schriftsteller fällt nicht darauf herein: „Und nun! Welcher Zusammen­bruch! Es gereicht mir noch in diesem Augenblick zu einer gewissen Eitel­keitsbefriedigung, dass mein künstlerisches Gefühl angesichts des Neuen oder richtiger des Alten, was ich da sah, sofort gegen das Dogma vom ,schönen Berlin‘ revoltierte und instinktmäßig weghatte, dass Städteschönheit was andres ist als gerade Straßen und breite Plätze mit aus der Schachtel genomme­nen Häusern und Bäumen.“

Es fehlt in Berlin an „Geschmack“, „Politesse“, „Generosität“. Ja, so ist es. Und nicht zuletzt ist das dort zu be­obachten, wo die Leute ihre Nase am höchsten tragen, in der Welt der Kul­tur. Fontane war Theaterkritiker, es ist ihm nicht entgangen. „Oh, dieses Ber­liner Publikum! Sehen Sie, in der gan­zen Welt geht der Mensch ins Theater, um seine Freude daran zu haben. Nur der Berliner geht ins Theater, um diese Freude nicht zu haben, und diese Nicht­freude ist seine einzige Freude. Auf die­se Freude wartet er, und deshalb setzt er sich ins Parkett, nicht als dankbarer Zuschauer, sondern wie ein Sonntags­schütze, der sich in eine Sandkuhle legt, um einen armen Hasen abzuwarten.“

So gehen sie denn auch zur Premiere, die Berliner, als ob sie gerade noch in der Sandkuhle gelegen hätten.

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