Im letzten Herbst versuchte der Berliner Senat, den öffentlichen Druck nach den offensichtlich verpfuschten Wahlen um jeden Preis zu lindern. Die beamtete Landeswahlleiterin wurde zum Sündenbock erklärt, anschließend wurde eine „Expertenkommission“ eingesetzt. Was zunächst nach Aufarbeitung klang, wurde aber bereits durch den Auftrag des Gremiums zunichte gemacht. Der Auftrag war nämlich in erster Linie die „Erarbeitung von Handlungsempfehlungen in Bezug auf Prozess- und Rechtsänderungen für künftige Wahlen“. Also schöne Tipps für die Zukunft – und möglichst wenig Blick zurück.
Der Bericht bestätigt auch die Kritik von TE, dass Senat und Landeswahlleitung die Bezirksämter mit falschen bzw. nicht ausreichend präzisen Vorgaben ausstattete: „Die Durchführung der Wahlen und Abstimmungen unterliegen der Aufsicht der Senatsverwaltung für Inneres. Aufsicht bedeutet nicht nur nachträgliche Kontrolle, sondern unterstützende Begleitung, sofern es um die Vermeidung von Rechtsverstößen geht.“
Auch die Verschiebung von Verantwortung kritisiert die Kommission: „Niemand wollte nach der Wahl Verantwortung übernehmen. Die Senatsinnenverwaltung hat aber eine Mitverantwortung.“
Inhaltlich bestätigt die Kommission fast alle Punkte, die auch TE in seiner umfangreichen Recherche zum Thema aufbrachte: nicht ausreichende Zahl von Wahlkabinen, langfristige Planungsfehler bei der Stimmzettelvergabe, Irrsinn des gleichzeitig stattfindenden Berlin-Marathons. „Großereignisse wie der parallel zu der Wahl am 26. September 2021 durchgeführte Berlin-Marathon behindern in Einzelfällen den Wahlvorgang und sind aber vor allem demokratiepolitisch problematisch. Großereignisse dieser Art und Wahlen sollten nicht am gleichen Tag stattfinden“, heißt es im Bericht.
Die Kommission findet allerdings keine Anhaltspunkte für Manipulation – die Rechercheergebnisse von TE in dieser Frage hat sie ausgeklammert. Man müsse sich aus Kapazitätsgründen auf Ratschläge für nächste Wahl konzentrieren, heißt es – die Einmauerung der Kommission durch diesen diffusen Auftrag durch den Senat wirkte am Ende also doch, jedenfalls an dieser entscheidenden Stelle. TE konnte nachweisen, dass die Landeswahlleitung und die Senatsverwaltung in die Auszählung der Wahl eingriff und ungültige Stimmen verschwinden ließ. Man täuschte u.a. Wahlausschüsse, um das Ergebnis zu glätten – und das eigene Versagen zu kaschieren und damit einem Rücktritt zu entgehen. Mit dem Rotstift wurden schließlich die Ergebnistabellen der Wahl „korrigiert“.
Diese Auswahl im Vorschlag ist insofern mindestens bemerkenswert – die Konsequenzen für die Zusammensetzung des Parlamentes werden so nämlich minimiert. Marcel Luthe, der die Aufarbeitung der Berlin-Wahl juristisch vorantreibt, kommentierte dazu gegenüber TE: „Die Empfehlung des Wahlprüfungsausschusses des Bundestags ist eine Farce, die das lädierte Bild demokratischer Grundregeln in Berlin nur noch weiter beschädigt. Diese rein politisch-taktische Entscheidung, die der Wahlprüfungsausschuss ohne Kenntnis des Gesamtsachverhalts hingeschludert hat, wird – sollte der Bundestag dem folgen – das Bundesverfassungsgericht zu prüfen haben. Ganz ungeachtet dessen, dass der Bundestag nicht wird erklären können, wie er auf 400 Wahllokale kommt – und dabei die berlinweiten Unregelmäßigkeiten und wechselseitigen Abhängigkeiten ausklammert – ist es anhand der Akten auch nicht zu erklären, weshalb Lichtenberg nicht betroffen sein sollte.“
Würde die Linke das Mandat in Lichtenberg verlieren, würde die gesamte Fraktion aus dem Bundestag fliegen – das hätte dramatische Auswirkungen auf die Zusammensetzung des Bundestages. 39 Sitze wären davon mindestens betroffen – allerdings hätte es ebenfalls drastische Auswirkungen auf die Zusammensetzung auch der anderen Fraktionen über die Landeslisten.
Im Oktober soll ein entsprechendes Papier in den Bundestag eingebracht werden. Man wartet allerdings auch hier auf die Entscheidung des Berliner Landesverfassungsgerichtshofs, der die Entscheidung zur Wahl in Berlin immer weiter aufschiebt.
Zunächst ist zu begrüßen, dass nun auch immer mehr offizielle Stellen nicht umhin kommen, die TE-Recherchen zur Wahl zur Kenntnis zu nehmen und auf eine Wahlwiederholung zu drängen. Im Raum steht nun allerdings vor allem eine Alibi-Wahlwiederholung – eine Wahl, die zwar öffentlich wie eine Aufarbeitung wirken soll, aber so gestaltet wird, dass sie keine Auswirkungen haben kann. Das passt ins Bild: Seit nun fast einem Jahr spielt in der Hauptstadt ein Verzerr- und Verzögerungsspiel, vor allem um die politische Haut des Senats zu retten. Dabei ist die Beweislage eindeutig: TE konnte zweifelsfrei nachweisen, dass die Fehler berlinweit mandatsrelevant sind und die Wahl damit insgesamt wiederholt werden muss.