Schon im Dezember 2019 hatte der Berliner Senat die »Klimanotlage« beschlossen. Die dazugehörigen Meldungen – beispielsweise t-online – lesen sich wie ein Science-Fiction-Roman, in dem das Land Berlin die Welt retten wird: »Der Berliner Senat hat am Dienstag den Klimanotstand in der Stadt ausgerufen. Die voranschreitende Klimakrise mache dies notwendig. Die Hauptstadt will möglichst schnell die CO2-Emissionen reduzieren. Als erstes deutsches Bundesland…« Die Rot-Rot-Grünen also ganz auf Greta-Kurs, genau in jener Schneise, die zuvor das EU-Parlament geschlagen hatte. Einigen (auch in CDU und CSU) war damals schon aufgefallen, dass mit »Notstandsgesetzen« nicht nur Gutes bewirkt werden kann.
In Berlin lief der »Klimaschutz« erst etwas holprig an. Im Pandemie-Jahr 2020 kam es nur zu einzelnen, im Grunde rechtswidrigen Fahrradstreifen-Pop-ups. Nun soll ein ganzes Maßnahmen-Bündel kommen: 230 Einzelmaßnahmen zählte Hildburg Bruns in der B.Z.
Mit »Innenstadt« ist »zunächst« der Berliner S-Bahn-Ring gemeint, der allerdings eine Fläche von etwa 88 Quadratkilometern umfasst. Das Gebiet reicht von Charlottenburg und Steglitz im Westen bis Prenzlauer Berg und Treptow im Osten. Benziner und Dieselmotoren wären damit aus weiten Teilen Berlins, darunter viele reine Wohngebiete, verbannt. Die Bürger dieser Bezirke müssten sich entweder mit Bus und Bahn zufriedengeben oder teure E-Autos anschaffen. Laut der grünen Umwelt- und Verkehrssenatorin soll Berlin dadurch eine Führungsrolle im Klimaschutz übernehmen.
Der Senat sagt den Autofahrern den Kampf an: Bis 2023 sollen zudem alle (in Worten: A-L-L-E) Straßen innerhalb der Ringbahn mit Parkautomaten bestückt werden. In Zukunft muss also auch der kleine Angestellte in Neukölln und die Alleinerziehende aus dem Wedding tägliche Parkgebühren einplanen. Am Ende steht die größte Öko- und Anti-Auto-Zone Europas, wenn nicht der Welt, zudem mit weniger Freiheiten als Anne Hidalgos Pariser Experiment. In Berlin würde nämlich im Gegensatz zu Paris nicht der Wohnort des Autofahrers zum Kriterium, sondern der Zugang zur teuren Elektro-Mobilität und das Kleingeld zum Parken.
Aber Günther will noch mehr: Langfristig soll ganz Berlin zu der Null-Emission-Zone gehören.
Der grün gefärbte Aktivismus übertrifft die Politik – um weniges
Wenig überraschend: Es gibt auch schon einen passenden Aktivistenverein zur Verkehrsverhinderungspolitik der Grünen, Die Initiative »Volksentscheid Berlin autofrei« verlangt eine rigide Reduzierung des Autoverkehrs innerhalb des S-Bahn-Rings. Das Fahren in der Innenstadt soll für private Autos zur Sondernutzung werden. Von 2027 an, so der Plan der Aktivisten, sollen noch zwölf, später sogar nur sechs private Fahrten pro Jahr erlaubt sein, und das auch nur, wenn sperrige Gegenstände zu transportieren sind, schwer erreichbare Urlaubsziele angesteuert oder Kranke und Behinderte befördert werden. (Tipp: Bei Innenstadtfahrten künftig immer eine Leiter einpacken). Weitere Ausnahmen dürften folgen. Am Ende könnte also Kontrollchaos mit letztlich minimaler Lenkungswirkung stehen.
Der Autoexperte Ferdinand Dudenhöffer, Leiter des Center Automotive Research (CAR), bezeichnete den Plan als selbstschädigend und urteilte: »Berlin macht sich lächerlich.« Die Berliner SPD dagegen ist auf diesem Politikfeld offenbar mit ihrer vollständigen Überflüssigwerdung beschäftigt. Angeblich kann der Verkehrspolitiker Tino Schopf »die Ziele der Initiative vorbehaltlos unterschreiben«, findet den Gesetzentwurf aber trotzdem lebensfern. Die SPD steht also für dieselben Ziele, will nur andere Mittel wählen.
Henner Schmidt von der FDP lehnt den Vorschlag von »Berlin autofrei« dagegen eindeutig ab, beklagt den drastischen Eingriff in persönliche Entscheidungen. Die Initiative sei »ein Schritt in Richtung Abschaffung bürgerlicher Freiheitsrechte«, warnt auch ADAC-Vorstand Volker Krane. »Wollen wir für die siebte Fahrt ein Erlaubnisverfahren durchführen, in dem wir vielleicht einen abschlägigen Bescheid erhalten, um dann per Widerspruch und einstweilige Verfügung unseren Anspruch auf Mobilität durchzusetzen?«, fragt Krane in einer Mischung aus Satire und Schreckensbild.
Die deutschen Emissionen sinken seit Jahrzehnten
Der Berliner Energieverbrauch hat sich übrigens seit 1990 um etwa 25 Prozent verringert. Auch die CO2-Ausstoß-Verringerung hat in unseren Breiten lange vor der Geburt von Energiewende und Klimapolitik eingesetzt. Bundesweit fiel der Spitzenwert ins Jahr 1979. Bis 1998 (als Rot-Grün die ersten Ansätze einer Energiewende lostraten) war schon mehr als die Hälfte der Senkung geschehen, vor allem in den Bereichen Wohnen und Industrie. Seitdem folgten weitere Einsparungen in verschiedenen Bereichen.
Ein Sektor, der seit 1979 kontinuierlich wuchs, ist der Verkehrssektor. Er stieg von einem zunächst niedrigen Gesamtanteil von etwa zehn Prozent auf eine Parität mit anderen energieverbrauchenden Sektoren an. Doch erzeugt die in diesen Zeiten von allen vielgeliebte Mobilität immer noch kein Viertel des allgemeinen CO2-Ausstoßes (Zahlen nach der europäischen Emissionsdatenbank EDGAR). Sie ist damit der einzige Bereich, der sich bisher als immun gegen die staatlich verordnete CO2-Reduktion erwies. Könnte das der Ansatzpunkt der grünen »Klimaretter« sein? Es sähe dem gleichmacherischen Denken der ökosozialistischen Bewegung ähnlich. Da sich Reduktionen in allen anderen Bereichen bewirken ließen, warum nicht auch beim Verkehr.
Allerdings ist die Elektrifizierung an dieser Stelle nicht unbedingt erfolgversprechend, denn auch der Strom kommt bekanntlich nicht aus der Steckdose, sondern wird auch künftig teilweise durch die Verbrennung von Kohle und Erdgas oder durch Kernkraft erzeugt werden. Wenn nicht mehr in Deutschland, dann in Nachbarländern, die uns mitversorgen. Daneben ist auch die Energieeffizienz einer Elektro-Busflotte keineswegs garantiert. So sollen in Berlin bis 2030 Fahrzeuge und Ladestationen für zusammen 1,4 Milliarden Euro angeschafft werden. Die Anzahl der Ladestationen ist ein begrenzender Faktor bei der Energieeffizienz. Elektro ist also nicht unbedingt gleich Öko. Eine weitere Frage bleibt: Ist es rationales Handeln oder Ideologie, den Verkehrsanteil am CO2 zu drücken? An dieser Stelle gehen die Meinungen weit auseinander.
Wie reif ist die Zeit für eine Grüne im Roten Rathaus?
Die Berliner sind schon heute im Vergleich relativ wenig motorisiert. Dazu gibt es schließlich U-, S- und im Ostteil noch Straßenbahnen. Das spricht dafür, dass der Autoverkehr, der noch da ist, entweder notwendig ist oder auf den individuellen Entscheidungen der Berliner beruht. Doch auf beides scheinen es die Berliner Grünen und ihre Kohorten in Politik und ›Zivilgesellschaft‹ nun abgesehen zu haben – auf der Jagd nach einem urbanen Raum voller Spaß, Freizeit und Reinheit. Dass diese ›Zivilgesellschaft‹ alle Berliner repräsentiert, ist eher unwahrscheinlich.
Der Senat könnte die Auswirkungen dieses Klimapakets schon im Herbst zu spüren bekommen. Dann steht auch die Grüne Bettina Jarasch zur Wahl und will am Ende gar die Müller-Staffette übernehmen. Auf ihrer Website heißt es zum Thema: »Das Klima kennt keine Grenzen. Guter Klimaschutz setzt deshalb vor der Haustür an. Berlin wird deshalb aus der Kohle aussteigen, den Verkehr umweltfreundlich umbauen und die Wärmewende einleiten. Die Zeit ist reif und wir sind viele: Das zeigt die große Beteiligung an Fridays for Future, aber auch die breite Unterstützung von Unternehmen bis hin zu Kirchen und Sozialverbänden.«
Hinter allem steht also der Glaube, Weltspitze auch noch im Unsinnigsten sein zu müssen. Man wird sehen, wer von den Genannten wie lange an Bord dieses Schiffes bleibt, das gerade auch an anderer Stelle ins Trudeln gerät. Ist die Zeit reif für eine grüne Regierende im Roten Rathaus?