Tichys Einblick
Wahlwiederholung

Berlin bereitet sich auf die größte anzunehmende Wahl vor

Das Land Berlin bereitet sich auf eine Wiederholung der Bundestagswahl in ganz Berlin vor. Eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts steht aber noch aus. Die Wahlwiederholung ist gleichzeitig eine Art Generalprobe für die EU-Wahl 2024.

IMAGO / IPON

Am Montag gab der Landeswahlleiter Berlins, Stephan Bröchler, bekannt, dass er eine Wahlwiederholung für alle Berliner Wahlkreise vorbereitet. Damit plant er ein Szenario, welches das Verfassungsgericht und die Wahlprüfungskommission des Bundestags grundlegend düpieren muss.

Nach deutschem Wahlrecht liegt das erste Prüfungsrecht der Wahl in den Bundestag beim Parlament selbst. Nur auf eine Wahlprüfungsbeschwerde hin kann das Bundesverfassungsgericht die Entscheidung des Bundestags überprüfen. Das Recht, diese Wahlprüfungsbeschwerde einzureichen, ist dabei scharf eingegrenzt. Nur Bürger, die unmittelbar von Wahlfehlern betroffen waren oder die im Parlament vertretenen Fraktionen dürfen eine Wahlprüfungsbeschwerde einreichen.

Die Wahlprüfungskommission, die gezwungenermaßen von Vertretern der Ampel dominiert war, hat entschieden, dass die Bundestagswahl in Berlin nur in 431 Wahlbezirken wiederholt wird. Das bedeutet: In 431 einzelnen Wahllokalen soll die Wahl wiederholt werden. Nicht aber in allen Wahlkreisen. Die 12 Wahlkreise konstituieren sich in 2.257 Urnenwahllokalen und weiteren Briefwahllokalen. Die Ampel hatte für diese Wahllokale schwerwiegende Wahlfehler ausgemacht, die eine Wahlwiederholung nötig machten.

In der vergangenen Woche hatte das Bundesverfassungsgericht mündlich über eine Wahlprüfungsbeschwerde der CDU/CSU-Bundestagsfraktion verhandelt. Wahlprüfungsbeschwerden wie die der AfD-Fraktion und derer, die zwei Leser von Tichys Einblick eingereicht hatten, wurden bisher ignoriert. Möglicherweise wird das Gericht, wie auch schon bei anderen Vorgängen, nach Abschluss der Verhandlung diese anderen Beschwerden beiseitelegen, denn die verhandelte Beschwerde der CDU/CSU könne als Beispiel für die anderen herhalten. Dass die vorgebrachten Gründe und Argumente andere sind, wird dabei ignoriert.

CDU will eingeschränkte Wahlwiederholung

Die CDU/CSU verlangt eine Wahlwiederholung in sechs der 12 Wahlkreise und ausschließlich der Zweitstimmen. Die Erststimmen zu wiederholen sei nicht nötig, so die Union, weil die Mandate hier mit genügend Wählerstimmen errungen wurden, so dass eine korrekt durchgeführte Wahl am Ergebnis nichts geändert hätte. Der Verdacht, dass man die teilweise nur mit geringer relativer Mehrheit erreichten direkt gewählten Abgeordneten nicht gefährden möchte, drängt sich aber auf.

Es ist nach wie vor möglich, dass das Gericht eine komplette Wahlwiederholung anordnet. Sehr wahrscheinlich ist dies aber nicht, denn warum verhandelt das Gericht über eine Beschwerde, die nur eine eingeschränkte Teilwiederholung verlangt? Für die Verhandlung hätten Wahlprüfungsbeschwerden vorgelegen, die eine komplette Wiederholung verlangen, wie eben die oben beschriebene von TE-Lesern erhobene und von TE und der Atlas Initiative unterstützte Wahlprüfungsbeschwerde.

Noch ist aber völlig offen, wie sich das Gericht entscheiden wird. Eine Entscheidung wird erst im Herbst erwartet. Nach Verkündung muss die Wahl jedoch innerhalb von 60 Tagen wiederholt werden. In so einer kurzen Zeit ist eine Organisation nicht möglich. Wohl deswegen bereitet sich Bröchler auf eine stadtweite Wiederholung vor – wenn weniger Material, Lokale und Helfer gebraucht werden, umso besser für ihn.

Gleichzeitig will er diese Vorbereitungen auch nutzen, um die EU-Wahl am 9. Juni 2024 vorzubereiten. Die Wiederholung der Bundestagswahl wird gewissermaßen zur Generalprobe. Nur eine Bitte äußerte er schon vor Gericht und in der Pressemitteilung noch einmal: Die Wahl dürfe auf keinen Fall in die Adventszeit fallen. Sie sei in dieser Zeit unmöglich zu organisieren, da Gemeinderäume nicht als Wahllokal zur Verfügung stünden und Wahlhelfer nicht verfügbar wären.

Auch erhofft er sich, dass das Bundesverfassungsgericht mit seinem Urteil klarmacht, welche Fehler so schwerwiegend sind, dass eine Wahlwiederholung nötig und unter welchen Umständen eine Stimmabgabe nach 18:00 Uhr noch möglich ist. Bisher waren diese Fragen nicht eindeutig durch das Wahlrecht geregelt. Zwar ist eine Stimmabgabe nach 18:00 Uhr eigentlich nicht erlaubt, eine Klausel erlaubt aber eine Ausnahme unter bestimmten Umständen. Ein Streitpunkt vor Gericht war, wie eng diese Ausnahme gefasst ist.

Für das Desaster der Wahl 2021 machte Bröchler die strukturell ungenügende Organisation Berlins verantwortlich. Die Bezirke organisieren vor sich hin, der Senat soll verantwortlich überwachen, hat aber keine Zugriffsrechte oder gar Einsicht. Für die Bundestagswahl kam erschwerend hinzu, dass die Wahlkreise nicht mit den Berliner Bezirken deckungsgleich waren – oder gar sein können. So mussten die Bürgermeister, die sonst so penibel auf Eigenständigkeit achten, zusammenarbeiten. Ein Problem, an dem sie scheiterten. Um diesen Problemen angemessen zu begegnen, sollen ständige Bezirkswahlämter eingerichtet, sowie die Rechte des Landeswahlleiters gestärkt werden. Dass es auch funktionieren kann, konnte Berlin mit der Wiederholung der Senatswahlen beweisen: Bei dieser Wahl gab es keine schwerwiegenden Beschwerden, die mit den Problemen der Wahl 2021 vergleichbar gewesen wären.

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