Die große Koalition von Angela Merkel und Sigmar Gabriel macht – das erleiden wir seit Jahren – nur halbe Sachen. Deshalb brauchte sie für ihren Koalitionsvertrag auch nur 134 Seiten, um Chancen für das Land auszulassen. Das neue rot-rot-grüne Bündnis in der Hauptstadt dagegen legt gleich auf 251 Seiten nieder, wie sie die Metropole ins ökosozialistische Abseits steuern will.
Nachdem der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) heute in seine zweite Amtszeit gewählt ist, muss er sich kaum noch Gedanken machen. Denn seine Genossen sowie die Unterhändler der Grünen und der Linkspartei haben ihm im dicken Pflichtenbuch der Koalition Vorgaben für nahezu alle Fragen des Lebens festgeschrieben. Künftig, das war bei diesen Partnern nicht anders zu erwarten, nimmt vor allem der Staat die Geschicke der Hauptstadt in seine öffentliche Hand. Er regelt die Investitionen und deckelt die Preise, wie es einst im Ostteil gang und gäbe war. Galt bislang nur das umgebende Brandenburg als „kleine DDR“, will sich nun die Großstadt in die Provinz integrieren: politisch mit einer Planungsorgie, folkloristisch mit dem Versuch, aus der „wachsenden Stadt“ (ein beliebtes Schlagwort des Regiermeisters Müller) ein Ökodorf zu formen. Die private Wirtschaft und die breite Masse der Bevölkerung kommen nur am Rande vor. Im Mittelpunkt stehen Rand- und Problemgruppen. Und immer wieder: die landeseigenen Unternehmen.
Denn die sind der ökosozialistischen Koalition gleich doppelt nützlich: Zum einen sind sie faktisch weisungsgebunden (Senatoren und Staatssekretäre bevölkern die Aufsichtsräte), zum anderen – und das ist noch viel besser – haben sie Geld. Und können sich vor allem welches pumpen, um all die Wohltaten über die Stadt zu streuen, für die im öffentlichen Haushalt gar keine Mittel vorhanden sind. Da aber der Finanzsenator weiterhin damit prahlen will, er würde den Etat sanieren, müssen die Kommunalbetriebe die Arbeit erledigen. Nichts anderes als Schattenhaushalte also. „Wenn die Landesunternehmen verstärkt Investitionen zur Erfüllung politischer Vorgaben tätigen und dafür Kredite aufnehmen sollen, kommt der Schuldentragfähigkeit erhöhte Bedeutung zu“, heißt es dazu im Koalitionsvertrag. Mit anderen Worten: Das wird teuer, sauteuer.
Zentrales Instrument der Stadtpolitik sind künftig die landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften. Nach fünf rot-rot-grünen Jahren soll es 55.000 Staatswohnungen zusätzlich geben, mindestens 30.000 davon sollen sie neu bauen. Den Rest sollen sie aufkaufen, bevorzugt Sozialwohnungen. Die Hälfte der neugebauten Appartements sollen ebenfalls Sozialwohnungen sein, und die andere Hälfte soll überwiegend zu Nettokaltmieten unter 10 Euro pro Quadratmeter angeboten werden. Natürlich liegen Grundstückspreise und Baukosten in der Hauptstadt so hoch, dass niemand zu solchen Konditionen rentabel liefern kann.
Das weiß auch die neue Koalition. Deshalb gibt sie den Wohnungsbaugesellschaften auch gleich die Bedienungsanleitung an die Hand. Die sollen nämlich zunächst ihre Gewinne dazu verwenden, die Mieten dieser Bleiben zu subventionieren, danach das Eigenkapital verzehren. Genügt das immer noch nicht, verspricht Rot-Rot-Grün, weiteres Eigenkapital nachzuschießen. Der Bilanztrick mit dem Schattenhaushalt soll auch helfen, die Bestandsmieten zu senken. Insbesondere wenn die Nettokaltmiete 30 Prozent des Einkommens der Bewohner überschreitet, müssen die Gesellschaften bluten und den Preis senken.
Als „kleine“ Wiedergutmachung bekommen die städtischen Wohnungsgesellschaften für ihre Investitionen öffentliche Grundstücke zugeschanzt: „Flächen für den Wohnungsbau sollen an landeseigene Wohnungsbaugesellschaften, Genossenschaften, soziale Bauträger wie auch Baugruppen vergeben werden.“ Von der privaten Wohnungswirtschaft ist nirgendwo die Rede. Insofern fast konsequent, dass Wohnungsneubau nur noch von Staatsfirmen erwartet wird, wenn Investoren derart vergrault werden.
Vor allem den Wohnungs“markt“ will die Koalition noch weiter regulieren, den Mieterschutz verstärken. Mieterhöhungen sollen erschwert, die Mietpreisbremse verschärft, Modernisierungen nur noch mit sechs Prozent der Kosten auf die Mieter umgelegt werden. Einziger Lichtblick für die Vermieter: Diese Folterwerkzeuge kann Berlin nur auf Bundesebene fordern, aber nicht selbst ansetzen. Aber auch im Alleingang geht eine Menge: Mietwohnungen dürfen nicht mehr in Eigentum umgewandelt werden. Außerdem kann – und will – der Senat die Eigentümer von historisch wertvollen Gebäuden drangsalieren: “Eigentümer*innen sollen Pflegepläne zum Erhalt der Denkmale auferlegt werden.” Denn natürlich weiß die Behörde am besten, wie viel der Hausbesitzer wofür zu investieren hat.
Wie in DDR-Zeiten geht es künftig um Planerfüllung. Schon die abtretende große Koalition hatte in einer Vorgabenorgie alles regeln wollen (war aber bekanntlich kläglich gescheitert). Auf rund 30 Pläne bringt es Rot-Rot-Grün. Der Bibliotheksentwicklungsplan macht die Berliner belesener, der Hochhausentwicklungsplan stoppt hochstrebende Ideen. Der Bedarfsplan für Gebäude des Landes und der Bezirke ermittelt, was akut noch benötigt wird. Was nicht gebraucht wird, darf aber nicht verkauft werden, sondern wird aufbewahrt, falls es später vielleicht doch mal Bedarf gibt. Verstärkt sollen die Bezirke ihr öffentliches Vorkaufsrecht nutzen, um in private Grundstückskaufverträge einzusteigen.
Nun wird die 3,5-Millionen-Metropole ökologisch umgestrickt. Die neuen Stadtentwicklungspläne (STEP) „Grüne Infrastruktur“, „Sport und Bewegung“ sowie jener für Kultur ergänzen und begrenzen künftig die bereits bestehenden STEPs für Verkehr, Industrie und Gewerbe. Klar, dass ein “Masterplan Solarhauptstadt” noch eine Masse von spiegelnden Paneelen auf Berlins Dächer zaubern wird. Ein Höhepunkt des Plan-Wahns: Im Kleingartenentwicklungsplan wachsen Schreberparzelle (West) und Datsche (Ost) zusammen. Wie gut, dass die neu zu gründende „Berliner Regenwasseragentur“ sich um das „Regenwassermanagement“ kümmert. Der „feste Ansprechpartner für Urban Gardening“, eine Art staatlich bestellter Blumendoktor, sagt dem hilflosen Städter, wie er Tulpenzwiebeln zu pflanzen hat. Und das Sahnehäubchen: „Berlin wird zur ‚essbaren Stadt‘.“
Die vielfache Einfalt der Autoren zeigt sich am deutlichsten im Kapitel zum Verkehr. Die Metropole soll zur verkehrsberuhigten Zone werden, zum Ökodorf. Über den Anger zwischen Brandenburger Tor und Alexanderplatz kann man ja noch reden – hier soll der private Autoverkehr verbannt werden. Freilich weniger, um für die Touristen eine Flaniermeile zu schaffen, denn Taxis und Busse brausen weiter Unter den Linden entlang. Es zieht sich vielmehr durch das gesamte Verkehrskapitel das Bestreben, den Autolenkern ihren Wagen zu vermiesen. “Der Masterplan Parken wird abgeschlossen. Die Koalition wird eine Verordnung in Kraft setzen mit dem Ziel der Begrenzung von Stellplätzen.” Das Motto: Der fließende Verkehr lässt sich auch dadurch behindern, dass der ruhende blockiert wird. Die so genannte Parkraumbewirtschaftung soll sich schon bald auf die gesamte Innenstadt erstrecken. Im Klartext: kein einziger gebührenfreier Autoabstellplatz mehr innerhalb des S-Bahn-Ringes.
Noch doller wird es für den so genannten Wirtschaftsverkehr. Lieferwagen will der Senat aus der Innenstadt verbannen. Am Rand der City will er “Urban Hubs” schaffen, also Verteilzentren. Dazu gehören „die Belieferung auf der ‚letzten Meile‘ mit Lastenfahrrädern“ und „die schienenseitige Erschließung geeigneter Gewerbe- und innerstädtischer Logistikstandorte“ sowie die Nutzung der Wasserwege für die Belieferung der Innenstadt. Und weil Geld anscheinend üppig vorhanden ist, fördert die Koalition „die Anschaffung von Elektro-Lastenrädern für Gewerbetreibende, freiberuflich tätige Personen sowie gemeinnützige Einrichtungen“. Das richtige Strampeln organisiert die noch zu gründende landeseigene Velo-GmbH (heißt wirklich so). Den Verkehrslärm bekämpfen die Ökosozialisten mit „Temporeduzierungen abschnittsweise auch auf Hauptverkehrsstraßen und Autobahnen“. Heute liegt die Höchstgeschwindigkeit auf dem Autobahn-Stadtring bei 80 Stundenkilometern.
Dass sich die rot-rot-grüne Koalition mit allen wichtigen und hochpolitischen Fragen befasst, die dringend vom zu ermächtigenden Staat zu regeln sind, haben die Koalitionsstrategen auf Seiten 56 niedergelegt: „Der Einstieg beim Bus soll in der Hauptverkehrszeit grundsätzlich an allen Türen erlaubt werden.“