Tichys Einblick
TEURE FOLGEN FÜR FLUGHAFEN-CHAOS

Berlin Tegel: Trotz Flughafenschließung warmer Geldregen für Anwohner

Die Berliner dürfen sich darauf freuen, dass der Flughafen Tegel am 8. November 2020 mit einem großen Fest verabschiedet werden soll. Aber Tegel-Anrainer haben ab 1. Januar 2020 Anrecht auf Entschädigung für den Fluglärm.

© Axel Schmidt/AFP/Getty Images

Der neue Flughafen BER ist noch nicht eröffnet – er harrt der Dinge bis 31.Oktober 2020 – da springt der Berliner Senat der geplagten Anwohnerschaft des Noch-Flughafens Berlin-Tegel bei. Er offeriert den Anwohnern per Verordnung die Möglichkeit, ab dem 1.Januar 2020 Geld für bauliche Maßnahmen gegen Lärmschutz zu beantragen. Etwa 3.000 Haus- und Wohnungseigentümer sowie Erbbauberichtigte können demnach bei der Landeskasse anklopfen. Um die 3,5 Millionen Euro sind kalkuliert. Es kann natürlich auch mehr werden, sollten die Anrainer nicht auf die Vergleichsangebote eingehen und sich mit anderen Forderungen an die Gerichte wende.

Wieso eigentlich, fragt sich der Steuerzahler, soll er zusätzliche 3,5 Millionen Euro und mehr für die Lärmbelästigung in Berlin-Tegel berappen, wenn dieser Flughafen doch 10 Monate später geschlossen wird?

Fragen über Fragen. Dafür darf sich der Berliner darauf freuen, dass der Flughafen Tegel am 8. November 2020 mit einem großen Fest verabschiedet werden soll. Dabei hatten die Berliner im September 2017 (zeitgleich mit der Wahl zum Abgeordnetenhaus) mit 56,1 Prozent in einer Volksabstimmung dafür plädiert, dass Tegel als zweiter Flughafen geöffnet bleibt.

Also keine Eröffnungsfeier für Berlins neuen Flughafen am Stadtrand, sondern eine Abschiedsparty für Berlin-Tegel. Was gewissermaßen ja verständlich ist. Eine Feier für einen Flughafen, der 1992 geplant wurde und im Oktober 2020 – voraussichtlich, falls nichts dazwischenkommt – in Betrieb geht, ist kein Grund zum Jubeln und wäre der Lacher des Jahres.

Als die Politiker in Berlin-Brandenburg beschlossen, den Hauptstadtflughafen BER in Eigenregie zu bauen – also ohne Generalunternehmer; um Kosten zu sparen! – ging das Desaster los.

Chaosjahre Flughafen BER 

Im Januar 1992 beginnen die Planungen für den Großflughafen BER. Im September 2006 erfolgte der erste Spatenstich. Baubeginn 2008. Als Eröffnungstermin ist der 30.10.2011 geplant. Doch Mitte 2010 wird die Eröffnung auf den Juni 2012 verschoben. (Grund: Pleite einer Planungsfirma.) Vier Wochen vor dem Eröffnungstermin, im Mai 2012, wird wieder verschoben. Grund: Probleme mit der Brandschutzanlage. Wieder ein neuer Termin, diesmal der März 2013.

Im September 2012 kommt heraus: Weitere Mängel im Brandschutz. Verschiebung auf Oktober 2013. Im Januar 2013 wird der Öffentlichkeit verkündet, dass auch dieser Termin nicht realisierbar ist. Grund: Eine Liste mit Zehntausenden Bau- und Sachmängeln. Neuer Eröffnungstermin: Unbekannt.

Knapp zwei Jahre später, im Dezember 2014 ein neuer Termin: Eröffnung im zweiten Halbjahr 2017. Im Januar 2017: Erneute Verschiebung auf 2018. Neue Probleme mit der Dysfunktionalität von Türen, Sprinkleranlagen defekt. Im Mai 2019 wird bekannt, dass in wichtigen Kabeltrassen Dübel verbaut sind, die nicht den Sicherheitsvorschriften entsprechen.

Finanzdesaster 

Nun von den Chaosjahren zum finanziellen Desaster: Noch bei Baubeginn 2008 wurden 2,4 Milliarden Euro kalkuliert. 2012 wurden 4,5 Milliarden geschätzt, 2015 waren es rund sechs Milliarden Euro.

Damit aber noch kein Ende. Die Kosten explodieren weiter. Die Flughafengesellschaft hat für den Finanzierungsplan 2021 bis 2024 fast 300 Millionen Euro mehr als bislang veranschlagt. Allein für die Fertigstellung des Hauptterminals fehlen dem Bericht zufolge noch 212 Millionen Euro an Nachlaufkosten. Die Kosten des Gebäudes steigen demnach auf 2,6 Milliarden Euro. Weiterhin bestehe Mehrbedarf von rund 60 Millionen Euro für den sogenannten Masterplan 2040, wie t-online berichtet.

Für Lärmschutz mehrere hundert Millionen Euro 

Dazu kommen die Entschädigungen für Lärmschutz. Im Juli 2017 wurde bekannt, dass das Lärmschutz-Budget für den Hauptstadtflughafen BER von 730 Millionen Euro auf weitere 50 Millionen Euro aufgestockt werden müsse. Unklar war, ob das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg auch jene Anwohner betrifft, denen der Lärmschutz für Wohnküchen und Wintergärten verweigert wurde, bei denen die übrigen Schallschutzmaßnahmen aber schon umgesetzt sind.

Um die Kosten umzulegen, planen die Betreiber des künftigen Flughafens BER, die Fluggesellschaften abzukassieren. Nach Inbetriebnahme des Airports soll der Lärm bei jeder einzelnen Flugbewegung gemessen und die Fluglinien entsprechend zur Kasse gebeten werden. Doch das neue Gebührenmodell, das sie sich ausdachten, stößt auf Widerstand.

Aber zurück zu Tegel und dem neuerdings per Verordnung angesetzten Lärmschutz für die Anrainer: Vor Jahren wurde die Ausweisung des Schutzbereichs um den Flughafen Tegel einfach ausgesetzt. Mit der „Lex Tegel“ wollte der Senat der Flughafengesellschaft Millionenausgaben für Lärmschutzfenster und andere Schutzmaßnahmen ersparen. Und nun, quasi in allerletzter Minute hat der Berliner Senat eben jenen Lärmschutzbereich für den Flughafen festgelegt. Davon profitieren dürfte der Plan eines privaten Projektentwicklers, der am Saatwinkler Damm 800 Wohnungen errichten will, wie die Berliner Morgenpost berichtet.

Da die Betriebsgenehmigung für Tegel spätestens sechs Monate nach Eröffnung des BER erlischt, also Anfang April 2021, gibt es also noch viel Zeit und Möglichkeiten, Entschädigungsverfahren geltend zu machen.

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