Tichys Einblick
Berlin

Eine Hauptstadt im Rettungs-Chaos

Zum dritten Mal innerhalb weniger Monate ist der Notruf in Berlin nicht erreichbar. Softwareprobleme sollen die Ursache sein. Parallel arbeitet man fleißig weiter daran, die Rettung von Menschen zu erschweren. Von Selma Green.

IMAGO / Rüdiger Wölk

Als ich das erste Mal mit meinem Motorroller durch die Straßen düste und das Martinshorn hinter mir dröhnen hörte, war ich aufgeregter denn je. Ich suchte hektisch in meinen Spiegeln nach dem Rettungswagen. Ich fahre nur 25 km/h und habe oft Angst, schnell mal über den Haufen gefahren zu werden. Ich war dankbar, dass ich den Rettungswagen, der auf mich zuraste, durch die vielen Lichter noch rechtzeitig bemerkte und ihm ausweichen konnte.

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Das Bundesverkehrsministerium ist anderer Meinung: Da es eine “Übersignalisierung” gebe, hat es im Juli 2021 beschlossen, dass Polizeiautos und Krankenwagen, jeweils nur ein Blaulichtpaar vorne und hinten montiert haben dürfen. Diese sollen ihr Licht auch nur in die “Hauptabstrahlrichtung” werfen.

Der Beschluss stößt verständlicherweise auf Widerspruch. Pierre-Enric Steiger, der Präsident der Björn Steiger Stiftung für Notfallhilfe warnt: “Die Maßnahme wird die Zahl tödlicher Unfälle an Einsatzkräften erhöhen.” Es sei besonders nachts, auf Landstraßen sowie auf Autobahnen wichtig, dass möglichst viele Lichter am Einsatzfahrzeug in alle Richtungen leuchten. Dazu erklärt Steiger: „Die Maßnahme gefährdet Einsatzkräfte in ihrem beruflichen Alltag und damit in ihrem für uns alle überaus wertvollen Wirken.”

Die Rettungsdienst-Kooperation Schleswig-Holstein hält die Maßnahme ebenfalls für “akut lebensgefährlich für die Einsatzkräfte und Verkehrsteilnehmer” und fordert das Bundesverkehrsministerium auf, sie rückgängig zu machen.

In Berlin hat der Rettungsdienst ohnehin mit genügend Schwierigkeiten zu kämpfen: In diesem Jahr wurde beim Rettungsdienst der Feuerwehr 149 Mal, doppelt so oft wie im Vorjahr, ein Ausnahmezustand ausgerufen. Das geschieht, wenn 80 Prozent der Rettungswagen ausgelastet und die Eintreffzeit bei den Patienten, die bei höchstens zehn Minuten liegen sollte, nicht mehr eingehalten werden kann. Hinzu kommt, dass 275 Stellen des Rettungsdienstes der Berliner Feuerwehr unbesetzt bleiben. Bei nur 120 Ausbildungsplätzen, dessen Anzahl in den letzten Jahren unangetastet blieb, ist das kein Wunder. In diesem Jahr beendeten nur 35 Menschen die Feuerwehrakademie und wurden bei der Berliner Feuerwehr eingestellt.

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Zu alledem kommt noch, dass in Berlin in kürzester Zeit mehrmals die Notrufnummern 110 und 112 wegen technischer Probleme ausgefallen sind. Ende September konnte man für etwa 40 Minuten und Mitte November sogar mehrere Stunden lang (und bundesweit) keinen Notruf absetzen. Laut eines Sprechers der Telekom, die für die Notrufnummern zuständig ist, gab es Störungen, vermutlich durch die Einbringung einer neuen Software, die nun alle behoben seien.

Während des Ausfalls mussten die Bürger über das Bürgertelefon oder beim Polizeiabschnitt vor Ort anrufen. Die Zahl der Notfälle, für die kein Rettungsdienst erreicht werden konnte, ist offen.

In der Nacht zum Donnerstag, dem 2. Dezember, sollen die Berliner jetzt zum dritten Mal in Folge für eine knappe halbe Stunde auf sich allein gestellt gewesen sein – auch wenn bislang nicht ganz klar ist, wie viele und warum. Die Telekom weist die Schuld von sich und meldete über t-online, dass die Notrufnummern nicht wirklich ausgefallen gewesen seien, sondern lediglich ein Server-Ausfall zu Störungen einiger Festnetzanschlüsse geführt habe. Laut rbb hingegen habe die Polizei auf Anfrage mitgeteilt, dass die Ursache ein technischer Defekt bei der Telekom gewesen sein soll.


Selma Green ist 15 Jahre alt und Teil des Nachwuchsprogramms von Tichys Einblick und Apollo News. Lesen Sie mehr junge Perspektiven in der neuen digitalen Edition des Jugendmagazins Apollo News. Hier. 

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