Prall gefüllte, schwere und gefährliche Wasserflaschen werden auf die Pausenhofaufsicht geschleudert. Randalierende Halbwüchsige feuern Böller und Knallkörper in Gruppen von Mitschülern und auf Lehrer. Ständig gibt es plötzliche und scheinbar anlasslose Zusammenrottungen, die allgemein als bedrohlich empfunden werden und die sich durch die Lehrer nicht unter Kontrolle bringen lassen.
Viele Lehrkräfte fühlten sich „in diesen Situationen körperlich bedroht und zahlenmäßig unterlegen“.
Was klingt wie die Schilderung aus einer US-Strafanstalt für Schwerverbrecher, ist ein Erfahrungsbericht aus der Friedrich-Bergius-Schule im Berliner Ortsteil Friedenau. Der sieben Seiten lange Brandbrief an die Schulverwaltung, zu dem sich Lehrer und Eltern jetzt gemeinsam durchgerungen haben, erinnert an den Fall der Neuköllner Rütli-Schule. Dort hatten die Lehrer – ebenfalls wegen unhaltbarer Zustände – im Jahr 2006 einen dramatischen Hilferuf veröffentlicht.
Der neue, aktuelle Fall zeigt: Seitdem ist alles nur noch schlimmer geworden.
Im Jahr 2005 führte der damals neue Schulleiter Michael Rudolph enorm strenge Regeln ein. Anfangs wurde er dafür belächelt, dass er Zuspätkommen und respektloses Verhalten wie etwa das Ausspucken von Kaugummis konsequent bestrafte. Der Berliner Boulevard nannte ihn bald durchaus anerkennend „den härtesten Schulleiter Berlins“.
Sein Konzept erklärte Rudolph zusammen mit der angesehenen Bildungsjournalistin Susanne Leinemann 2021 in dem Buch „Wahnsinn Schule“. Und der Ansatz war erfolgreich: Die Schule wurde bei Lehrern, Eltern und auch Schülern immer beliebter und galt bald als Modell.
Nur nicht bei den Berliner Bildungspolitikern und ihren folgsamen Beamten in der Schulaufsicht.
Aufgeschreckt durch die Erfolgsberichte, schickte die Schulaufsicht vor sechs Jahren sogenannte Schulinspekteure zu Rudolph. Die konnten zwar an den konkreten Zahlen nicht vorbei: geringe Schulschwänzer-Rate, wenig Unterrichtsausfall, wenig Gewalt, hohe Zufriedenheit bei Schülern, Lehrern und Eltern, ein sehr gutes Klima und eine hohe Nachfrage – also exakt jene Punkte, die die damalige Schulsenatorin Sandra Scheers (SPD) öffentlich als „wichtigste Indikatoren für eine gelingende Schule“ vorgestellt hatte.
Trotzdem bekam Rudolph eine extrem schlechte Note. Und seiner Schule wurde attestiert, sie benötige dringend „Hilfe von außen“. Der Grund: Der Schulleiter halte sich nicht an die „vorgegebenen Prozesse“ und lege zu wenig Wert auf „Partizipation“.
Mit anderen Worten: Die Inspekteure waren sauer, weil da ein Schulleiter mit gesundem Menschenverstand tolle Ergebnisse erzielte.
Auch nach seiner Pensionierung äußert sich Rudolph, ganz loyaler Beamter, maximal zurückhaltend. Er könne sich daran erinnern, dass er und sein damaliges Kollegium sich „oft von der Schulaufsicht nicht unterstützt fühlten“. Das ist, höflich gesagt, die Untertreibung des Jahres: Denn trotz seiner exzellenten Bilanz wurde Rudolph von der Schulaufsicht seinerzeit geradezu gemobbt. Und trotz flehentlicher Bitten der Eltern wurde sein Angebot, über die Pensionsgrenze hinaus tätig zu sein, brüsk zurückgewiesen.
Das Ergebnis sieht man jetzt.
Der Brandbrief von Lehrern und Eltern spricht auch von massivem Mobbing. Auf den Jungs-Toiletten urinieren Schüler regelmäßig absichtlich neben die Schüsseln, der Gestank ist mittlerweile bestialisch. Vor allem Mädchen haben chronisch Angst davor, „in kompromittierenden Situationen von Schulkameraden fotografiert oder gefilmt zu werden, die kurzzeitig und überraschend ihre Handys (deren Benutzung in der Schule verboten ist) unterhalb oder oberhalb der Trennwand in die Nebenkabine halten und abdrücken“.
Die Täter sind auch sonst übergriffig. Nachbarn im Umfeld der Schule beschweren sich praktisch täglich. Ein Supermarkt in der Nähe hat gleich mehreren Schülern nach wiederholten Zwischenfällen Hausverbot erteilt.
Die Ursachen sind jedem bekannt. Aber die Berliner Politik und die Berliner Verwaltung leugnen sie seit Jahren beharrlich.
Die Schulverwaltung schickt immer öfter und immer mehr Kinder aus prekären Verhältnissen an die Friedrich-Bergius-Schule. Das sind überwiegend Flüchtlinge – oder andere Kinder und Jugendliche, die kaum oder gar kein Deutsch können. Meistens gilt Letzteres. So kommen immer mehr Schüler in die siebten Klassen, die die Ansprüche einer weiterführenden Schule „in keiner Weise erfüllen können“.
Von den 2023 aufgenommenen Siebtklässlern konnten 70 Prozent „keine analogen Uhren mehr lesen“.
Die Schulaufsicht hilft aber nicht etwa, sondern tut das Gegenteil: Gerade erst hat das für den Ortsteil Friedenau zuständige Schulamt Tempelhof-Schöneberg der Friedrich-Bergius-Schule eine Turnhalle kurzerhand gestrichen und die Kapazitäten dem nahe gelegenen Rückert-Gymnasium gegeben. Berlin hat nämlich entschieden, dass der Sportunterricht für Jungen und Mädchen getrennt erfolgen muss: um die Teilnahme muslimischer Mädchen zu fördern.
Das funktioniert, wenn man immer jeweils zwei Parallelklassen zusammen unterrichtet. Aber um das zu organisieren, braucht man genügend Lehrer und genügend Hallenzeiten. Beides hat Berlin nicht. Die fehlende Turnhalle führt an der Friedrich-Bergius-Schule nun dazu, dass der Stundenplan aufwändig umgeschrieben werden muss. Darunter leidet der Unterricht zusätzlich. Das Kollegium beklagt in dem Brandbrief, dass es „zu 65 Prozent mit bürokratischer Erziehung beschäftigt und nur zu 35 Prozent mit faktenorientiertem Unterricht“ ist.
„Der Brief zeigt ungeschminkt, wie es an der Schule zugeht. Es brennt lichterloh“, sagt Gesamtelternsprecher Andreas Thewalt.
Allein in den ersten 38 Tagen dieses Schuljahres gab es über 1.500 Klassenbucheinträge. In Worten: eintausendfünfhundert. Über 500-mal mussten Schüler während des Unterrichts zu Sozialpädagogen geschickt werden. Die Lehrer haben unzählige sogenannte Schulversäumnisanzeigen und viele, viele Kinderschutzmeldungen an das bezirkliche Jugendamt geschickt. Im gesamten Schuljahr 2023/24 wurde davon beantwortet: eine (1). Kein Schreibfehler.
Das dürfte daran liegen, dass die Bezirkspolitiker weitgehend mit sich selbst beschäftigt sind. Das Schul- und Sportamt hat seit anderthalb Jahren (!) keinen Leiter. Die Stelle war viermal ausgeschrieben. Angeblich fand sich kein Bewerber. Doch im Bezirksamt ist es ein offenes Geheimnis, dass der Posten wegen Streitereien zwischen den Parteien nicht besetzt wurde.
Der Friedrich-Bergius-Schule widmet die Schulaufsicht ihre Aufmerksamkeit jetzt dadurch, dass sie dieselbe Schulinspektion schickt, die schon im Jahr 2018 so fundamental versagt hatte und „Prozesse“, also Ideologie, vor Ergebnisse stellte.
Vielleicht ist es ja aber eben doch besser, wenn Schule nicht „Kompetenzen“ vermittelt, sondern Wissen.
Etwa 700 Lehrer fehlen in der Hauptstadt. Der Senat will gegensteuern, indem er wieder mehr Lehrer verbeamtet. Das soll den Job attraktiver machen. Es ist dieses typische, beschränkte, muffige Verwaltungsdenken, das Berlin schon seit ewiger Zeit ruiniert. Tatsächlich liegt es natürlich wenig am Geld und noch weniger am Beamtenstatus, weshalb fast kein Lehrer mehr nach Berlin will.
In Wahrheit haben dort die linken Ideologen aller Parteien mittels einer absurden Bildungspolitik für jeden ernstzunehmenden Pädagogen so verheerende Arbeitsbedingungen geschaffen, dass halt einfach jeder nicht völlig Verblödete nur noch einen großen Bogen um die Stadt machen kann. Allein im vergangenen Jahr haben 952 Lehrer an Berliner Schulen ihre Arbeitsverträge gekündigt.
Niemand will täglich mit vollen Wasserflaschen beworfen werden – auch nicht als Beamter.