Tichys Einblick
Berlin

Grüner Baustadtrat Schmidt trickst mit sich selbst um die Wette

Baustadtrat Florian Schmidt im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg hat höchste Ziele: genossenschaftliches Eigentum – Klimawende um jeden Preis – Berlin als verkehrsberuhigte »15-Minuten-Stadt«. Dafür opfert er die eigene Rechtschaffenheit – und die eines Mietervereins, dessen Schreiben er bearbeitete.

imago Images/photothek

Es soll auch noch gute Nachrichten geben. Diese gehört dazu: Die Ausübung des Vorkaufsrechts scheint in Berlin schon auf dem Rückzug, bevor sie recht in Schwung kam. So steht es zumindest im Schreiben eines »Vorkaufsrats Xhain«, das nun an die Öffentlichkeit kam. Es ist allerdings nicht die Originalversion des Briefs, die diese Freuden- oder Hiobsbotschaft enthält, sondern eine vom Baustadtrat Florian Schmidt (Bündnis ’90/Die Grünen) korrigierte. Ein ganzer Absatz ist da eingefügt, in dem festgestellt wird: Die »Vorkaufsbilanz« verschlechtere sich aktuell massiv, nach einer »Erfolgsquote« von über 60 Prozent in den Jahren 2019 und 2020 sank man nun auf rund 30 Prozent herab. Anderswo sähe es ähnlich aus, auch wenn man von außen nicht den Eindruck hat. In immer mehr Berliner Bezirken ist von der Ausübung des Vorkaufsrechts die Rede – meist durch grüne Baustadträte.

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Die eigentliche Nachricht ist aber, dass Baustadtrat Schmidt auch weiterhin versucht, beim hauptstädtischen Immobilienhandel mitzumischen und sich dabei auch vor Maskeraden nicht scheut. In dem an die Öffentlichkeit gekommenen Briefentwurf des Vorkaufsrates finden sich zahlreiche und weitgehende Änderungsvorschläge des grünen Baustadtrats. Man hätte – ohne die Veröffentlichung durch Bild  – also glauben sollen, dass die Gedanken des Florian Schmidt geradewegs den Köpfen engagierter Berliner Mieter entsprungen seien.

Damit versucht Schmidt zum wiederholten Male, die Öffentlichkeit über Zusammenhänge rund um das Vorkaufsrecht in seinem Bezirk zu täuschen. Im letzten Jahr war er mit einer wilden Aktion aufgeflogen, als er die Verluste einer Vorkaufsaktion vor den Oppositionsparteien des Bezirksparlaments und der berichtenden Presse verstecken wollte und dabei auch vor Aktenverstümmelung nicht zurückschreckte.

Hinter Masken gegen den Markt

Nun also eine neue »Marktintervention« – diesmal auf dem Markt der Meinungen. Die Ansichten von Mietern und Mietaktivisten sollen nicht mehr ihre eigenen sein, sondern sich jenen des Stadtrats anpassen. Durch das Sprachrohr von Mietern und Mietaktivisten versucht Schmidt, maskiert Einfluss auf die politische Diskussion zu gewinnen.

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Interessant ist allerdings auch die genauere Zielrichtung des Schreibens, so wie es nach Schmidts Korrekturen vorliegt. Denn dort wird beklagt, dass ein Haus in der Reichenberger Str. 108 – das ist beste Kreuzberger Kanallage – »mit einem Zuschuss von 20%« unter Beihilfe der Gewobag vorgekauft hätte werden können. Allein die knauserige Berliner Senatsverwaltung für Finanzen mit ihrer »zögerlichen Zuschusspolitik« ermöglichte das leider nicht. Den Finanzsenator stellt in Berlin noch die SPD. Seine Sprecherin weist den Grünen ob seiner extravaganten Finanzierungswünsche zurecht: »Herr Schmidt bemüht sich darum, bei Ankäufen spekulative Preise zu ermöglichen und die Zuschüsse dafür aus der Steuerzahlerkasse zu erhöhen. Wir bemühen uns darum, bei Ankäufen spekulative Preise zu verhindern.« Doch auch die Hauptstadt-SPD will so viel Wohnraum wie möglich in Berlin ankaufen, so SPD-Vermögensexperte Sven Heinemann laut Bild, den allenfalls der Vertrauensbruch durch Schmidt stört.

Ende Mai kaufte Berlin 20.000 Wohnungen von den fusionierenden Immobilienkonzernen Vonovia und Deutsche Wohnen. Das, fanden wiederum die Grünen, sei ein »Hinterzimmerdeal« der SPD-Genossen. Damit ging allerdings auch das Versprechen der Vonovia einher, die Mieten in den kommenden drei Jahren um höchsten ein Prozent pro Jahr zu erhöhen – das ist Unter-Mietendeckel-Niveau. Rainer Zitelmann hat das Nötige zu den wirtschaftlichen Folgen solchen Handelns schon hier auf TE gesagt. Passender Weise will Berlin laut Michael Müller vielleicht zuallererst die West-Plattenbauten aus der Lichterfelder Thermometersiedlung erwerben. Das sind einige Mini-Manhattan-Zahnstocher knapp an der Grenze zu Brandenburg. Eigentlich kein gutes Wohnumfeld, sagen die Bewohner. Doch die Berliner SPD will das konservieren.

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Laut Florian Schmidt gehören dagegen die Mieter der Reichenberger Straße »zu fast 100% zur extrem vulnerablen Gruppe auf dem Wohnungsmarkt«. Opferstatus kommt immer gut. Und der Markt ist unser Feind, da nehmen sich Rot, Dunkelrot und Grün nicht viel. Unterschiedlich sind nur die Mittel. So schlägt Schmidt im korrigierten Mieterbrief eine »regelmäßige Zuschussgarantie für Vorkäufe« vor, und zwar in Höhe von »mindestens 20%«. Der Zuschuss ist aber eigentlich per Gesetz auf zehn Prozent begrenzt. In der Reichenberger Straße 108 wäre laut den Recherchen von Bild real sogar ein Zuschuss von 32,5 Prozent vonnöten, um eine Asbestsanierung zu finanzieren. Das ist die Schmidtsche Methode: Vulnerable Bewohner des grünen Kreuzberger Milljös sanieren, die Mehrkosten beim ohnedies hochverschuldeten Land Berlin abladen.

Ähnlich hält es Schmidts Parteifreund Jochen Biedermann im Nachbarbezirk Neukölln. Er zog die Karte »Vorkaufsrecht« nun sogar beim geplanten Verkauf von Unternehmensanteilen durch den schwedischen Immobilienhändler Akelius. Bisher konnte man mit einem sogenannten Share Deal das Vorkaufsrecht umgehen. Berlin, in diesem Fall Neukölln, begeht und schafft so juristisches Neuland.

Im April twitterte Schmidt von neun geplanten Vorkäufen. »Trotz Corona und Mietendeckel wird wieder mehr gekauft«, zitiert der dem Grünen freundlich gesonnene Tagesspiegel-Newsletter den Stadtrat. Auch die Umgehung des inzwischen vom Bundesverfassungsgericht gekippten Mietendeckels wird da in die Runde geworfen. Es ist Kampagnenjournalismus vom Besten, auch wenn es nur im kiezkuschligen Stadtteil-Newsletter geschieht.

Man fragt sich, wo diese Liebe der quasi hoheitlich via Vorkaufsrecht und Landeshaushalt enteignenden Linken für Häuser herkommt. Die gehandelten Adressen werden jedenfalls wie liebgewonnene Personen gehätschelt. Es scheint eine besondere Form des Status- und Besitzstandsdenkens zu sein. Unterfüttert durch anspruchsvolle Finanzierungswünsche an die Berliner Staatskasse, beziehungsweise eigentlich an die länderfinanzausgleichzahlende Gemeinschaft der noch profitablen Bundesländer. 

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So heißt es im durch Schmidt korrigierten Text: »Vom Senat erwarten wir in Bezug auf Immobilienkäufe […] eine rigorose Verantwortung gegenüber der bestehenden und zukünftigen Stadtbevölkerung […]. Die aktuelle Begrenzung der Zuschusshöhe erschwert diese Verantwortungsübernahme unnötig.« Da klingt das Mantra der Grünen durch, das durch das Luisa-Neubauer-KLima-Urteil in Karlsruhe neuen Auftrieb gewinnen dürfte: Verantwortung gegenüber der zukünftigen Bevölkerung. Die kann man heute schon übernehmen, aber vielleicht dann doch nicht, indem man sich im Namen der Zukünftigen heillos verschuldet, ob als Bund oder Bundesland.
Schmidts Utopie: die »15-Minuten-Stadt«

Florian Schmidt erträumt sich Berlin und den »Kreuzhain« insbesondere mit seinen »bunten Milieus« als »munizipalistisches« Experiment, wie er in einem ausführlichen Gastbeitrag für den Tagesspiegel im März bekundete. Das große Vorbild ist das Barcelona der Ada Colau, die ebenfalls als »Mietenaktivistin« (Schmidt) startete oder vielleicht doch eher in der Hausbesetzerszene aktiv war.

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Kritiker weisen darauf hin, dass man in Wien – das gern als Vorbild in Sachen städtisches Eigentum herangezogen wird – eben nicht mit einem staatlichen Vorkaufsrecht hantiert und dabei Fördergelder im Grunde an die Genossenschaften verschenkt. Vielmehr betreibt die Stadt Wien seit vielen Jahrzehnten ein Wohnungsbauprogramm, das private und soziale Interessen ausgleicht.

Schmidts Utopie ist dagegen die »Stadt der kurzen Wege«, »15-Minuten-Stadt« oder gar »1-Minuten-Stadt«, in der die nötigen Läden bitte sehr in Spaziernähe sein sollen, vermutlich planwirtschaftlich vom Bezirksamt aus koordiniert. All das nennt Schmidt auch das »Zukunftslabor Berlin« – dabei will er nur den Ist-Zustand in bestimmten Vierteln bewahren und den motorisierten Individualverkehr aus möglichst vielen Straßen verbannen. Auch links tickende Kreuzberger empfinden das oft eher als Behinderung, die durch Umwege und Parkplatzsuche mehr Fahrkilometer erzeugt, als sie einspart.

Wie sähe dieser Politikansatz wohl im Bund aus?

Das Wohnungs-Wolkenkuckucksheim der grünen Programmatik wird an der deutschen Hauptstadt nun privilegiert ausprobiert. Originalton Schmidt: »Nur, wenn wir die Immobilien ins Gemeinwohl holen, können wir die Verkehrswende und die klimaresiliente Stadt ausgestalten und dem Argument, dass Verkehrsberuhigung und schöne öffentliche Räume die Gentrifizierung befördern, effektiv entgegentreten.«

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Die Frage ist, ob eine grüne Kanzlerin oder vielleicht zumindest grüne Bundesbauministerin den Weg zu Ähnlichem auch bundesweit ebnen könnte. Denn irgendjemand muss all das ja bezahlen. Das könnte noch heiter werden, wenn Annalena Baerbock sich – vielleicht ja auch als Bundesbauministerin – auf einen bundesweiten Mietendeckel oder auch »differenzierte Maßnahmen zur Begrenzung des Mietanstiegs« (Robert Habeck) sowie anschließende Enteignung und grün-gerechte Verteilung des bestehenden Wohnraums kaprizieren sollte. Dann drohte allerdings die 15-Wochen-Republik… denn so lange dauert es dann wohl noch bis zu Staatspleite per Wirtschaftsinfarkt.

Die Bauwirtschaft wäre weitgehend auf öffentliche Aufträge angewiesen. Die öffentlichen Bauetats zögen entsprechend an. Bauministerin Baerbock würde zur heimlichen Zahlmeisterin der Republik. Ein Großteil des Wohnraum- und Sanierungsbedarfs bliebe dennoch unbefriedigt. Freigestellte Ingenieure könnten sich endlich dem Gleisbau widmen und die Deutsche Bahn zum 15-Minuten-Verkehrsmittel (= höchste zugelassene Verspätung) machen. Gästezimmer wären für irregulär ins Bundesgebiet »Geflüchtete« freizugeben. Um nur einige der greifbarsten Folgen zu nennen.


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