Es soll auch noch gute Nachrichten geben. Diese gehört dazu: Die Ausübung des Vorkaufsrechts scheint in Berlin schon auf dem Rückzug, bevor sie recht in Schwung kam. So steht es zumindest im Schreiben eines »Vorkaufsrats Xhain«, das nun an die Öffentlichkeit kam. Es ist allerdings nicht die Originalversion des Briefs, die diese Freuden- oder Hiobsbotschaft enthält, sondern eine vom Baustadtrat Florian Schmidt (Bündnis ’90/Die Grünen) korrigierte. Ein ganzer Absatz ist da eingefügt, in dem festgestellt wird: Die »Vorkaufsbilanz« verschlechtere sich aktuell massiv, nach einer »Erfolgsquote« von über 60 Prozent in den Jahren 2019 und 2020 sank man nun auf rund 30 Prozent herab. Anderswo sähe es ähnlich aus, auch wenn man von außen nicht den Eindruck hat. In immer mehr Berliner Bezirken ist von der Ausübung des Vorkaufsrechts die Rede – meist durch grüne Baustadträte.
Damit versucht Schmidt zum wiederholten Male, die Öffentlichkeit über Zusammenhänge rund um das Vorkaufsrecht in seinem Bezirk zu täuschen. Im letzten Jahr war er mit einer wilden Aktion aufgeflogen, als er die Verluste einer Vorkaufsaktion vor den Oppositionsparteien des Bezirksparlaments und der berichtenden Presse verstecken wollte und dabei auch vor Aktenverstümmelung nicht zurückschreckte.
Hinter Masken gegen den Markt
Nun also eine neue »Marktintervention« – diesmal auf dem Markt der Meinungen. Die Ansichten von Mietern und Mietaktivisten sollen nicht mehr ihre eigenen sein, sondern sich jenen des Stadtrats anpassen. Durch das Sprachrohr von Mietern und Mietaktivisten versucht Schmidt, maskiert Einfluss auf die politische Diskussion zu gewinnen.
Ende Mai kaufte Berlin 20.000 Wohnungen von den fusionierenden Immobilienkonzernen Vonovia und Deutsche Wohnen. Das, fanden wiederum die Grünen, sei ein »Hinterzimmerdeal« der SPD-Genossen. Damit ging allerdings auch das Versprechen der Vonovia einher, die Mieten in den kommenden drei Jahren um höchsten ein Prozent pro Jahr zu erhöhen – das ist Unter-Mietendeckel-Niveau. Rainer Zitelmann hat das Nötige zu den wirtschaftlichen Folgen solchen Handelns schon hier auf TE gesagt. Passender Weise will Berlin laut Michael Müller vielleicht zuallererst die West-Plattenbauten aus der Lichterfelder Thermometersiedlung erwerben. Das sind einige Mini-Manhattan-Zahnstocher knapp an der Grenze zu Brandenburg. Eigentlich kein gutes Wohnumfeld, sagen die Bewohner. Doch die Berliner SPD will das konservieren.
R2G: Getrennt marschieren, vereint schlagen
Ähnlich hält es Schmidts Parteifreund Jochen Biedermann im Nachbarbezirk Neukölln. Er zog die Karte »Vorkaufsrecht« nun sogar beim geplanten Verkauf von Unternehmensanteilen durch den schwedischen Immobilienhändler Akelius. Bisher konnte man mit einem sogenannten Share Deal das Vorkaufsrecht umgehen. Berlin, in diesem Fall Neukölln, begeht und schafft so juristisches Neuland.
Im April twitterte Schmidt von neun geplanten Vorkäufen. »Trotz Corona und Mietendeckel wird wieder mehr gekauft«, zitiert der dem Grünen freundlich gesonnene Tagesspiegel-Newsletter den Stadtrat. Auch die Umgehung des inzwischen vom Bundesverfassungsgericht gekippten Mietendeckels wird da in die Runde geworfen. Es ist Kampagnenjournalismus vom Besten, auch wenn es nur im kiezkuschligen Stadtteil-Newsletter geschieht.
Man fragt sich, wo diese Liebe der quasi hoheitlich via Vorkaufsrecht und Landeshaushalt enteignenden Linken für Häuser herkommt. Die gehandelten Adressen werden jedenfalls wie liebgewonnene Personen gehätschelt. Es scheint eine besondere Form des Status- und Besitzstandsdenkens zu sein. Unterfüttert durch anspruchsvolle Finanzierungswünsche an die Berliner Staatskasse, beziehungsweise eigentlich an die länderfinanzausgleichzahlende Gemeinschaft der noch profitablen Bundesländer.
Schmidts Utopie: die »15-Minuten-Stadt«
Florian Schmidt erträumt sich Berlin und den »Kreuzhain« insbesondere mit seinen »bunten Milieus« als »munizipalistisches« Experiment, wie er in einem ausführlichen Gastbeitrag für den Tagesspiegel im März bekundete. Das große Vorbild ist das Barcelona der Ada Colau, die ebenfalls als »Mietenaktivistin« (Schmidt) startete oder vielleicht doch eher in der Hausbesetzerszene aktiv war.
Schmidts Utopie ist dagegen die »Stadt der kurzen Wege«, »15-Minuten-Stadt« oder gar »1-Minuten-Stadt«, in der die nötigen Läden bitte sehr in Spaziernähe sein sollen, vermutlich planwirtschaftlich vom Bezirksamt aus koordiniert. All das nennt Schmidt auch das »Zukunftslabor Berlin« – dabei will er nur den Ist-Zustand in bestimmten Vierteln bewahren und den motorisierten Individualverkehr aus möglichst vielen Straßen verbannen. Auch links tickende Kreuzberger empfinden das oft eher als Behinderung, die durch Umwege und Parkplatzsuche mehr Fahrkilometer erzeugt, als sie einspart.
Wie sähe dieser Politikansatz wohl im Bund aus?
Das Wohnungs-Wolkenkuckucksheim der grünen Programmatik wird an der deutschen Hauptstadt nun privilegiert ausprobiert. Originalton Schmidt: »Nur, wenn wir die Immobilien ins Gemeinwohl holen, können wir die Verkehrswende und die klimaresiliente Stadt ausgestalten und dem Argument, dass Verkehrsberuhigung und schöne öffentliche Räume die Gentrifizierung befördern, effektiv entgegentreten.«
Die Bauwirtschaft wäre weitgehend auf öffentliche Aufträge angewiesen. Die öffentlichen Bauetats zögen entsprechend an. Bauministerin Baerbock würde zur heimlichen Zahlmeisterin der Republik. Ein Großteil des Wohnraum- und Sanierungsbedarfs bliebe dennoch unbefriedigt. Freigestellte Ingenieure könnten sich endlich dem Gleisbau widmen und die Deutsche Bahn zum 15-Minuten-Verkehrsmittel (= höchste zugelassene Verspätung) machen. Gästezimmer wären für irregulär ins Bundesgebiet »Geflüchtete« freizugeben. Um nur einige der greifbarsten Folgen zu nennen.