Der Wirtschaftsaufstieg Bayerns begann in den 70er Jahren. Es waren zwei historische Personen, die diesen beförderten: zum einen Franz Josef Strauß, dessen Todestag sich an diesem 3. Oktober zum 34. Mal jährt. Zum anderen ein außerhalb Bayerns weitgehend vergessener Politiker: Alfons Goppel, der den Freistaat 16 Jahre lang als Ministerpräsident führte.
Für die Zeit vor diesem Aufstieg wird von Bayern gerne das Bild eines Agrarstaates gezeichnet: Königlich Bayerisches Amtsgericht, wo der Großbauer sich dagegen wehrt, dass der Kleinbauer in die Familie einheiratet. Das stimmt so nicht. Bayern war auch schon vor den 70er Jahren ein bedeutender Standort mit Firmen wie BMW oder Siemens. Aber die Natur bestrafte das Land mit Nachteilen, die es bis dahin nicht ausgleichen konnte.
Allerdings steckt in wirtschaftlichen Auf- und Abstiegen immer ein Zeitverzug. Es dauert eine Zeit, bis sich Bequemlichkeit rächt. Bis es sich auswirkt, wenn ein Land oder eine Region Reformen unterlässt, weil es ihr im Moment gerade so gut geht. Und es dauert noch länger, bis sich Investitionen lohnen. Das Bayern der 60er Jahre baut. Davon werden seine politischen Erben massiv profitieren. Zum Beispiel von einer Pipeline, die Ingolstadt mit Triest verbindet oder vom Main-Donau-Kanal, der vor allem Nürnberg an die Wasserwege anschloss. Ein Projekt, das in der Endphase seines Baus, den 80er Jahren, umstrittener war als bei seiner Grundsteinlegung. Und das heute unvorstellbar wäre angesichts bürokratischer Hürden, Bürgerinitiativen und einer Deutschen Umwelthilfe, die eine solche wirtschaftliche Investition vor Gericht weggrätschen würde – oder zumindest massiv behindern.
Der bayerische Wirtschaftsminister Otto Schedl forcierte Anfang der 60er Jahre das nordbayerische Ferngasnetz, holte holländisches Gas, und seit 1969, auf dem Höhepunkt des Kalten Kriegs, Russengas von Sojusneftexport. Strauß betonte damals, dass „Bayerns Rückstand … nur durch eine Öffnung des bayerischen Energiemarktes und durch Verbesserung des Energieangebots aufgeholt“ werden könne. Bayern wolle neben Mineralöl auch andere Energiearten nutzen. Alle diese Einsichten gingen spätestens unter Markus Söders (CSU) Kurzfristpopulismus verloren.
Zudem investiert Bayern in Forschung und wird in Deutschland führend in der Wirtschaft, die auf Mikrochips basiert. Auch ist Bayern offen darin, Unternehmen ansiedeln zu lassen, während es in Nordrhein-Westfalen Geländesperren gibt. Die Kohlenkönige und Stahlbarone kaufen Grundstücke auf, damit sich keine andere Industrie ansiedelt. Sie fürchten, dass ihre billigen Arbeitskräfte in anderen Unternehmen bessere Löhne und Arbeitsbedingungen finden könnten. Der Staat sieht zu. Auf der Höhe ihrer Wirtschaftskraft begehen Länder die Fehler, die sich langfristig rächen.
Der lockere Umgang mit Korruption in Bayern wird sprichwörtlich und drückt sich etwa aus im Begriff „Land der Amigos“. Nun dürften nicht einmal überzeugte Anhänger der CSU diesen Hang zur Vetternwirtschaft leugnen. Aber der hatte auch seine positiven Effekte. Strauß und seine Administration haben Investoren den Weg freigemacht. Dabei haben sie sich nicht immer an die Gesetzeslage gehalten. Aber das Land profitierte von den Unternehmen, von ihren Löhnen, von ihren Sozialleistungen oder von ihren Produkten. Ganz im Sinne des Königlich Bayerischen Amtsgerichtes wird das Gesetz so ausgelegt, dass es den Menschen hilft. Heute erklärt der Staat schon den kleinsten Gründern den Papierkrieg und überzieht selbst Minifirmen mit einem Bürokratie-Aufwand, an dem viele zerbrechen.
In einer Gründerzeit hat ein flexibler Umgang mit Gesetzen positive Effekte. Doch solche Laxheiten schlagen schnell um, wenn ein Land gesättigter wird. Wenn es sich nicht mehr darum bemüht, Investoren zu gewinnen – sondern wenn Platzhirsche damit anfangen, Rivalen außen vorzuhalten. McKinsey hat Bayern schon 2015 gefährliche Tendenzen aufgezeigt. Eben weil es sich gegenüber neuen Entwicklungen vergleichsweise abschottete. So belegte der Freistaat damals bei den Start-up-Unternehmen nur noch Platz acht. Berlin stellte diesen Firmen ein Wagniskapital von 140 Millionen Euro im Jahr bereit, Bayern nicht einmal 50 Millionen Euro.
40 Prozent der industriellen Arbeitsplätze seien in Bayern gefährdet, attestierte McKinsey Bayern 2015. Anders als die deutsche Politik hatte das Beratungsunternehmen schon seinerzeit den Ukraine-Konflikt und Sanktionen gegen Russland im Blick. Bill Clinton hatte sich in seinem Wahlkampf 1992 noch ein Bild aufgehängt, das ihn stets an den wichtigsten Grundsatz erinnern sollte: „It’s the economy, stupid.“ In Markus Söders Büro müsste äquivalent dazu hängen: „It’s the energy, stupid.“
Nun verbreiten grüne Ideologen in Partei, ARD und anderen Vorfeldorganisationen gerne die Geschichte, Bayern habe den Ausbau erneuerbaren Energien verschlafen und rutsche deshalb wirtschaftlich ab. Das ist einfach und passt ins Weltbild. Gut, es stimmt so nicht. Aber einfache „Erzählungen“ zu verteidigen, die ins Weltbild passen, nennt sich neuerdings „Haltung zeigen“. In der Realität hat Robert Habecks (Grüne) Wirtschaftsministerium der CSU-Landesgruppe bestätigen müssen, dass Bayern der größte Stromproduzent bei den erneuerbaren Energien sei. Doch die Erzählung mit der verschlafenen Energiewende rollt und bei den öffentlich-rechtlichen Sendern findet sich kaum jemand, der ein Interesse hat, sie aufzuhalten.
Denn wer darüber aufklärt, dass Bayern nicht absteigt, weil es den Ausbau der erneuerbaren Energien verschlafen habe, der klärt auch darüber auf, dass erneuerbare Energien den Abstieg der deutschen Wirtschaft nicht aufhalten können. Denn der Abstieg Bayerns ist auch der Abstieg Deutschlands. Alleine wegen seiner Größe: Neun Milliarden hat Bayern in den jüngsten Länderfinanzausgleich gezahlt. Ein Land wie Berlin kann sich ein 29-Euro-Ticket und Debatten über Straßennamen leisten, weil es an Bayerns Tropf hängt. Und weil aus diesem Tropf das Geld noch fließt.
Wogegen sich Bayern in der Tat lange gewehrt hat, ist der Ausbau des Stromnetzes. Wobei es auch da notwendig ist, gegen grüne Legenden anzugehen. Große Strommengen werden in den Offshore-Windparks der Nordsee erzeugt, die müssen per Überlandleitung zur Industrie in Hessen, Bayern und Baden-Württemberg gebracht werden. So weit die grüne Theorie. Die gut klingt, wie immer. Aber praktisch nicht funktioniert, auch wie immer.
Die jüngsten Interviews zeigen, dass Ministerpräsident Markus Söder die Zeichen der Zeit erkannt hat. Zu spät. Zu seinem großen Unglück gibt es Archive. Eines liefert ein Video aus dem März 2021. Da wollte Söder noch Kanzlerkandidat der Union werden und wusch sich selbst grün: Fukushima habe alles verändert, er selbst habe 2011 dafür gesorgt, dass in Bayern als Reaktion sofort ein Atomkraftwerk vom Netz geht. Damit hat Söder ein Dokument geliefert, das seinen Anteil am Niedergang Bayerns verewigt. Auf der Höhe ihrer Wirtschaftskraft begehen Länder die Fehler, die sich langfristig rächen.