Ein Architekt aus Frankfurt am Main schlägt Alarm. “Materialien wie Holz, Stahl, Dämmstoffe, aber auch Fensterscheiben, Beschläge und elektronische Bauteile sind teils extrem knapp. Die Preise von Holz und Stahl haben sich innerhalb weniger Monate verdoppelt. Es wird viele Pleiten in der Baubranche geben – die Lawine rollt erst an”, vermutet der Mann, dessen Identität TE bekannt ist, der aber anonym bleiben will.
Er rechnet damit, dass zuerst kleine Handwerksbetriebe einknicken, etwa Schlosser, Zimmerleute und Schreiner. Die verarbeiten viel Holz und Stahl – Rohstoffe, die sich in den vergangenen Monaten besonders kräftig verteuert hätten – und haben meist ihre Aufträge kalkuliert, als Material noch deutlich billiger war. Nun könnten die Handwerker zumeist die vertraglich festgelegten Preise nicht erhöhen. Lieferten sie nicht, drohe zudem Schadensersatz. “Manche Handwerker werden ein Nullsummenspiel machen, um die Firma am Leben zu erhalten”, schätzt der Architekt, der ein Unternehmen mit knapp 20 Architekten leitet.
Branchenverbände fordern bereits weitreichende Eingriffe von der Politik. Etwa sprach sich Hans Peter Wollseifer, der Präsident des Zentralverbands des Deutschen Handwerks, dafür aus, sogenannte Preisgleitklauseln in Lieferverträgen zum Standard zu machen, damit Handwerker Preise im Nachhinein erhöhen könnten. Zudem dürfe ein Handwerksbetrieb, der nicht lieferfähig sei, nicht mit Vertragsstrafen überzogen werden. “Hier setzen wir darauf, dass der Bundeswirtschaftsminister auch mit Ländern und Kommunen ein entsprechendes Einvernehmen erreicht”, sagte Wolleifer. Auch Kurzarbeitergeld und Stundung der Sozialversicherungsbeiträge solle Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier verlängern.
Oftmals würden Aufträge an Handwerker bereits früh im Bauverlauf vergeben, weil manche Gewerke im Rohbau tätig werden müssten. Etwa verlege der Elektriker Erdkabel oder Hausanschlüsse in der Rohbauphase, bevor er viele Monate später Lichtschalter oder Leuchten anbringe. Der Handwerker erhalte einen Auftrag zu einem festen Preis, kaufe das Material aber aufgrund der Länge von Bauprojekten erst später. “Es ist ein Kartenhaus – wenn man die falsche Karte herauszieht, fallen alle anderen mit um”, sagt der Architekt.
Laut dem ifo-Institut liegt ein “beispielloser Engpass seit 1991” vor. “Das Material ist an vielen Stellen knapp”, ließ sich Ludwig Dorffmeister, der über die Baubranche forscht, in einer Mitteilung zitieren. Bei einer Umfrage berichteten im April 23,9 Prozent der Hochbaufirmen von Materialknappheit. Das sind mehr als viermal so viele wie die 5,6 Prozent vom März. Im Tiefbau hatten 11,5 Prozent Probleme, rechtzeitig Material zu beschaffen – im Gegensatz zu 2,9 Prozent im März.
Aus Branchenkreisen ist von Baustellenstopps zu hören. “Bei mir liegt noch keine Baustelle komplett still. Unsere Handwerker haben aber bei immer mehr Baumaterialien Lieferprobleme, was einzelne Gewerke teilweise ausfallen lässt oder die Ausführung stark verschiebt”, berichtet der Architekt aus Frankfurt, der vor allem hochwertige Privathäuser und Einzelhandelsimmobilien entwirft. Er bekomme aber mit, dass Holz für Dachstühle mancherorts fehle und Dachdecker deswegen Mitarbeiter in Kurzarbeit schickten. Auch eine Finanzchefin eines mittelständischen Metallbaubetriebs hört von Kurzarbeit wegen Materialproblemen, verzeichnet aber selbst keine ruhende Baustelle. “Das könnte die nächsten Monate passieren, wie wir auch von Maurern und Zimmermännern hören”, sagt die Frau, deren Arbeitgeber etwa Treppen oder Vordächer aus Stahl herstellt.
Laut dem Hauptverband der Deutschen Bauindustrie fehlt Material, weil die Nachfrage nach Rohstoffen – etwa von Auto- und Maschinenbauern – nach dem Lockdown-Einbruch abrupt gestiegen sei. Auch die anziehende Konjunktur in Asien treibe die Preise nach oben, etwa habe sich der Erzeugerpreis für Kupferdraht in den ersten vier Jahresmonaten um 18,6 Prozent erhöht. Lieferanten hätten jahrelang Kapazitäten abgebaut und Investitionen zurückgefahren – wegen stagnierender Preise. Investoren flüchteten zunehmend in Rohstoffe, um sich gegen Preisinflation abzusichern. “Auch wurde vermehrt über “Hamsterkäufe” zur Vorbeugung weiterer Preissteigerungen berichtet”, schreibt der Branchenverband.
Ökonomen der Österreichischen Schule sehen indes eine der Hauptursachen in der ultralaxen Geldpolitik der Zentralbanken. Die bringe das Gleichgewicht zwischen Konsum und Ersparnis durcheinander und löse einen Investitionsboom aus. Das aus dem Nichts geschöpfte Geld fließe in Produktionsprojekte, die nur aufgrund der künstlich gesenkten Zinsen rentabel seien. Das passiere auch in der Bauindustrie: Etwa argumentiert der Vertreter der Schule Mark Thornton, dass kurz vor einer Rezession die meisten Wolkenkratzer gebaut werden.
Jede Rezession bedeutet eine Gesundung des Wirtschaftskreislaufs. Unternehmer entdeckten die Fehlinvestitionen und leiteten Arbeitskräfte und Kapitalgüter nachhaltigeren Verwendungen zu, argumentieren Vertreter der Österreichischen Schule. Falls der Markt frei sei, ginge dieser Bereinigungsprozess schnellstmöglich vonstatten. “Es gibt keinen Weg, den finalen Kollaps eines Booms durch Kreditexpansion zu vermeiden. Die Frage ist nur ob die Krise früher durch freiwillige Aufgabe der Kreditexpansion kommen soll, oder später zusammen mit einer finalen und totalen Katastrophe des Währungssystems”, schrieb der Ökonom Ludwig von Mises.
Ob freilich die Rezession unmittelbar bevorsteht, ist unter den Österreichern umstritten. Derweil rechnet auch der Frankfurter Architekt mit massiven Verwerfungen. Die Lage in der Baubranche spitze sich mehr zu als im Jahr 2008. “Damals war der Markt noch nicht so vollgepumpt mit Kreditgeld”, sagt er.