Eine solche massive Demonstration gab es schon lange nicht mehr. 8.600 Traktoren aus ganz Deutschland rollten laut Polizei nach Berlin und sorgten für eine verstopfte Hauptstadt. Rund 40.000 Bürger reisten mit Sonderzügen, Bussen und Flugzeugen aus ganz Deutschland an. Selbst jene legendären Proteste der Bauern in Brüssel reichten nicht an diese Großkundgebung heran. Die Vereinigung »Land schafft Verbindung« hatte zu der Demonstration aufgerufen und zusammen mit der Polizei eine gewaltige Organisationsleistung vollbracht.
»Es brennt überall!« rufen die Bauern und wollen sich nicht mehr damit abspeisen lassen, dass all die vielen Wenden in Deutschland »hart für uns werden« sollen. »Wir lassen uns das nicht mehr länger bieten!« Die Existenz von vielen bäuerlichen Betrieben steht durch unsinnige Gesetze und Verordnungen auf dem Spiel, die etablierten Verbände kungeln mit der Politik und genießen nicht mehr das Vertrauen der Bauern.
Immerhin scheint die Politik aufgeschreckt. FDP-Chef Christian Lindner marschierte zu den Bauern aufs Rednerpodest und war beeindruckt von der schier unübersehbaren Heerschar der angereisten Bauern: »Was für ein Bild!« Konkretes hatte er nicht zu verkünden außer:
»Es wird Zeit, dass mit den Landwirten gesprochen wird.« Lindner wünscht sich mehr Rationalität. Doch er weiß zum Beispiel nichts zu den Landfrauen zu sagen, die sich gegen das zunehmende Mobbing von Bauernkindern wehren, wie diese es immer öfter aus den Schulen berichten.
Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner kam aus dem Bundestag auf das Rednerpodest und berichtete den Landwirten, dass gerade ein Rekordhaushalt des Bundesagrarministeriums verabschiedet wurde. 6,7 Milliarden Euro stehen jetzt für die deutsche Landwirtschaft zur Verfügung. Der soll den Umbruch in der Landwirtschaft begleiten und Planungssicherheit und Perspektiven für die Landwirte schaffen. Das Geld werde, so Klöckner, auch für die Absicherung der Landwirte bei Krankheit im Alter und bei Unfällen benötigt. Für diese »agrarsoziale Sicherung« stehen 4,1 Milliarden € bereit.
Doch mit immer neuen Geldgeschenken kann die Politik bei den Landwirten kaum punkten. Die alten Zeiten, in denen Landwirtschaftsminister ihrer Klientel freudig berichteten, wie viele Millionen sie mehr bekommen, sind vorbei.
Das weiß Landwirtschaftsministerin Klöckner und versuchte, ihre politischen Anstrengungen schmackhaft zu machen: »Sie sagen, ‚wir brauchen kein Geld‘. Sie brauchen aber Geld, wenn sie Unfälle haben.« Auch die Anreize, im Sinne des Klimapaketes zu handeln, sollen mit Geld gefördert werden. »Wir Christdemokraten stehen an der Seite der Landwirtschaft«, rief sie aus und erntete wütende Buhrufe.
Sie forderte immer wieder »mehr Ehrlichkeit«: »Meinen Sie, mir macht das Spaß?« Der Ärger, den sie vor den wütenden Landwirten aushalten musste, sei allerdings eingepreist, meinte sie wohl im Hinblick auf ihr Gehalt. »Wir haben dafür gekämpft, dass wir Sie unterstützen können!« betont sie immer wieder und glaubt: »Die Debatte mit den Verbrauchern werden wir nicht gewinnen.« Also müssten sich die Bauern an die Realitäten anpassen und dafür wenigstens Geld erhalten.
Ebenso sieht sie Deutschland in einer schwächeren Position gegenüber der EU: »Ich kann Ihnen auch sagen, dass die EU die Geduld mit uns verloren hat.« Immerhin sei die Düngeverordnung 2017 verschärft worden, und Deutschland halte nicht die Nitratgrenzwerte ein. Das wiederum macht die Landwirte wütend. Sie weisen auf den Nitratmesswerte-Schwindel hin. Eine Bäuerin hatte zuvor in ihrer Rede das Beispiel ihres Bauernhofes angeführt. Dort lägen die Messwerte für Nitrat in ihrem Hausbrunnen »im nicht messbaren Bereich«, sagt sie und fährt empört fort: »Trotzdem liegen wir im roten Bereich, doch die Messstelle liegt mehrere Kilometer weit entfernt von uns.«
Klöckner kennt die Auseinandersetzungen um die Nitratgehalte im Grundwasser: »Dafür sind die Länder zuständig.« Sie führt jenen Ausweg an, der immer häufiger aus der Landwirtschaftspolitik zu vernehmen ist, die Binnendifferenzierung. Mit dieser Methode sollen Gebiete von der verschärften Düngerichtlinie ausgenommen werden können, in denen nicht mehr als 37,5 mg Nitrat je Liter und auch kein Anstieg der Werte um mehr als 50 mg pro Liter gemessen werden. Mit solcherlei Feinheiten hofft die Landwirtschaftsministerin, die Kuh wenigstens teilweise vom Eis zu bekommen, die ihr Bundesumweltministerium und angrenzende NGOs über Brüsseler Politikbande gelegt haben.
Deutschland bemühe sich, möglichst hohe Nitratmesswerte nach Brüssel zu melden, sodass die EU-Kommission kaum anders konnte, als Deutschland zu rügen. Ein Verfahren, das aus der Diskussion um Diesel und Benzinfahrzeuge her bestens bekannt ist.
Klöckner zu den Bauern: »Ich biete Ihnen den Dialog an!« Sie lud zu einem Treffen mit der Bundeskanzlerin am 2. Dezember ein. Drei Stunden Zeit habe sich die Bundeskanzlerin dafür genommen, berichtet sie: »40 Verbände aus der Landwirtschaft sollen darüber reden, was Sie umtreibt.« Ein Bauer rechnete sich gleich die geringe Redezeit aus, die ihm verbleibe.
Im Januar soll dann ein »Nationales Dialogforum« ins Leben gerufen werden, in dem Umweltverbände und Verbraucher mit Landwirten über Zielkonflikte reden sollen. Sie erinnert weiterhin daran, dass es früher einmal mit der damaligen cma eine Marketinggesellschaft für die Agrarwirtschaft gegeben habe, die imagebildend für die Landwirtschaft sein sollte. Doch die haben die Landwirte weggeklagt. Informationen über Landwirtschaft gebe es seitdem kaum noch.
Klöckner weist auf diejenigen Gruppen hin, die im Januar anlässlich der Grünen Woche wieder wie gewohnt rufen: »Wir haben es satt!« Klöckner weiter: »Und dann gibt es euch, die rufen ‚wir machen euch satt‘.« Klöckner sucht den Kompromiss: »Alle mit ins Boot holen!« Sie weiss auch, dass Landwirte Kritik an ihren Verbänden üben und fordert auf: »Lassen Sie sich nicht spalten.«
Sie berichtet von einer neuen Richtlinie für den Handel, mit der mehr Fairness im Umgang mit Bauern gepflegt und unlautere Handelspraktiken beendet werden sollen. Sie führt das Beispiel eines landwirtschaftlichen Betriebes an, der Kopfsalat produziert: »Die bekommen vom Handel abends gesagt, wir brauchen morgen um fünf Uhr 30 Paletten Kopfsalat, um fünf Uhr liefern, und um vier Uhr morgens kommt das Fax, wir brauchen nur 15 Paletten!«
»Die anderen 15 Paletten kann der wegschmeißen.« Nur habe der heute keine Chance, dagegen etwas zu tun, weil er sonst ausgelistet wird. Da traue sich kein Landwirt dran. »Wir haben eine Richtlinie, für die wir auf europäischer Ebene gekämpft haben, die werden wir eins zu eins umsetzen, damit diese unlauteren und unfairen Handelspraktiken gegenüber Bauern nicht mehr stattfinden können.« Schwacher Beifall der Bauern. Deutlich wird, dass sich die CDU erhebliche Sorgen darüber macht, dass die Bauern bei der Stange bleiben und nicht zur AfD abwandern.
Sicher ist eins: Bundesumweltministerin Svenja Schulze von der SPD wird keine Freunde unter den Landwirten finden. Sie wurde gnadenlos ausgebuht. Die Bauern wissen, dass die Bundesumweltministerin eine der Hauptbetreiberinnen jener katastrophalen Grenzwertepolitik ist, über die die Bauern an die Wand gespielt werden sollen. Sie verließ das Rednerpodium und twitterte später: »Es war mir wichtig, persönlich auf der #Bauerndemo zu sprechen. Ich bin bereit zum Dialog – erwarte Dialogbereitschaft aber auch von der anderen Seite. Denn: Bei Herausforderungen wie Nitratbelastung oder Artenschwund müssen wir miteinander, nicht gegeneinander arbeiten!«
Wie wenig Miteinander möglich ist, ließen die Kiddies von »Forest For Future Berlin« (Nein kein Schreibfehler, die gibt es auch) erkennen: »Danke Frau Schulze, sie gehen dahin wo es weh tut! ✊? Respekt! Dieser Industrie-Bauernprotest ist eine Ohrfeige für die Umwelt. Aber zum Glück haben viele Menschen die industrielle Lebensmittelproduktion in diesem Land satt! #wirhabenessatt.«
Werden von einer satten Gesellschaft noch die Aufrufe der Bauern gehört? »Wir Landwirte sorgen für ihr Essen. Wer mit Kritik nicht umgehen kann, gehört nicht in die Politik«, so ein Landwirt.
Das lassen sie sich erkennbar immer weniger gefallen. Eine der Organisationen am Schluss zu den Bauern: »Einen schönen Heimweg und bis zum nächsten Mal – vielleicht.«