Tichys Einblick
Gegen »Aktionsprogramm Insektenschutz«

Bauern wollen vor Merkels Büro demonstrieren

Aus Protest gegen die gesetzlichen Erschwernisse für die Landwirtschaft wollen Bauern mit ihren Treckern vor Merkels Wahlkreisbüro demonstrieren. Auch Berlin und Bonn, Sitz des Landwirtschaftsministeriums, sind Ziele der Protestfahren.

picture alliance/dpa | Christoph Soeder

Die demonstrierenden Bauern rücken den Regierenden auf die Pelle. In Berlin ziehen die Bauern mit ihren großen Schleppern über die Strassen – in Bonn rollen sie vor das Bundesumweltministerium. Sie demonstrieren schon seit fast zwei Wochen gegen weitere Einschränkungen ihrer Arbeit durch überbordende Bürokratie und für kostendeckende Preise. Verglichen mit den Fridays-for-Future-Kids geht die mediale Berichterstattung zu den Bauernprotesten allerdings fast vollständig unter.

Der nächste Schlag der Politik gegen die Landwirtschaft soll am kommenden Mittwoch geführt werden, wenn das Bundeskabinett das geplante »Aktionsprogramm Insektenschutz« beschließen will. Einen Tag zuvor, am kommenden Dienstag wollen Landwirte aus Mecklenburg-Vorpommern mit ihren Traktoren vor das Wahlkreisbüro von Bundeskanzlerin Merkel in Stralsund fahren: »Wir besuchen Frau Merkel«. Am Dienstag ab 10 Uhr sollen die Traktoren durch Stralsund rollen.

— Karsten Noack (@karstennoack) February 8, 2021

Das Aktionsprogramm sollte bereits im Dezember vergangenen Jahres verabschiedet werden, doch Landwirtschafts- und Umweltministerium konnten sich nicht auf einen Entwurf einigen. Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) will, dass die Bauern grundsätzlich einen Abstand von zehn Metern zwischen ihren bearbeiteten Flächen und Gewässern einhalten müssen. Sie dürfen auf diesem Teil ihrer Flächen keine Pflanzenschutzmittel mehr ausbringen, können also praktisch nicht mehr wirtschaften. Das bedeutet de facto eine weitere Enteignung, bundesweit kann dann auf rund 1,32 Millionen Hektar landwirtschaftlicher Fläche kein Anbau mehr stattfinden.

So würden immerhin acht Prozent der landwirtschaftlich genutzten Flächen verschwinden. Für Viehhalter kann das beispielsweise bedeuten, dass sie nicht mehr Futtermittel in ausreichender Menge für den Winter anbauen können, also entweder ihre Tierhaltung reduzieren oder Futter zukaufen müssen.

Ebenso sollen sogenannte Streuobstbestände unter Schutz gestellt werden, wobei Landwirtschafts- und Umweltministerium darüber streiten, wieviele Bäumen zu einer Streuobstwiese notwendig sind. Betroffen sind von den Verboten auch Obst- und Gemüseanbauer, die gewerblich arbeiten.

Für den im Bodenseeraum bedeutenden Obstbau heißt dies beispielsweise, dass viele Apfelplantagen gerodet und die Apfelbäume abgesägt werden müssen. Im milden Bodenseeklima gut gedeihendes Obst – vor allem Tafeläpfel – stehen auf rund 135 Hektar vorgeblich zu nahe an Gewässern und müssen weg.

Als »kalte Enteignung« der Landwirte bezeichnete die CDU-Fraktions-Vizechefin im Bundestag, die Abgeordnete aus Gitta Connemann, Schulzes Gesetzentwurf. Dafür bekämen die Bauern keine Ausgleichszahlungen. Sie wolle keine neuen Auflagen zu Lasten der Landwirtschaft; die benötige vielmehr ein »Belastungsmoratorium«, sagt sie, steht mit dieser Forderung allerdings ziemlich allein in ihrer Partei da. Auch der Entwurf des Insektenschutzgesetzes müsse zwingend überarbeitet werden.

Insektenschutz ist der seit langem ins Feld geführte Grund für das Aktionsprogramm. Doch die Veränderung der Insektenpopulation habe sehr viele Ursachen, argumentiert die Vereinigung »Land schafft Verbindung«. Die verändert sich zudem von Jahr zu Jahr. Mit praktischem Naturschutz habe das alles nichts zu tun. Insekten sind eher wärmeliebende Lebewesen und fühlen sich in Steinbrüchen und Truppenübungsplätzen am wohlsten, wie das der Biologe Werner Kunz festgestellt hat.

Doch Bundesumweltministerin Schulze erklärt: »Wenn das Insektensterben in diesem Tempo weitergeht, haben wir alle ein Problem. Deshalb bestehe ich darauf, dass wir – wie beschlossen – endgültig aus Glyphosat aussteigen.« Sie will Blühstreifen, so wie sich das NGOs und grüne Städter vorstellen. Im Hintergrund ihrer Landschaften allerdings zerschreddern Großanlagen der Windindustrie Vögel und Insekten in industriellem Maßstab. Firmen wiederum leben prächtig davon, die Flügel der Windräder wieder von zerschmetterten Insekten zu befreien, die die Windströmung beeinflussen.

Der Präsident des Bauernverbandes Schleswig-Holstein, Werner Schwarz, wirft Schulze vor, sie bleibe die Antwort schuldig, warum die bisherigen zahlreichen und mit enormen Mittelaufwand von Bund und Ländern betriebenen Naturschutzprogramme, die genau diesem Verlust entgegenwirken sollen, offenbar wirkungslos bleiben.

Erstaunlich ist übrigens, was Schulze vor ihrer eigenen Haustür macht. Sie hat vor ihrem Ministerium in Bonn ganze 1,2 Quadratmeter Blühflächen in vier Plastikkübeln, eingefasst in imprägniertem Tropenholz auf einer 7883 Quadratmeter großen, mit Betonsteinen versiegelten Fläche angelegt, wie jetzt die protestierenden Bauern feststellen mussten.

Die Landwirtschaftsminister aus Baden-Württemberg, Bayern und Niedersachsen äußerten in einem gemeinsamen Brief an Kanzlerin Merkel massive Bedenken gegen das Insektenschutzgesetz. Peter Hauk (CDU), Landwirtschaftsminister in Stuttgart, wies daraufhin, dass durch das Herbizidverbot der in Baden-Württemberg traditionelle Steillagenweinbau praktisch vor dem Aus steht. Im Weinbau seien rund 15 000 Hektar betroffen, das sei ein Großteil der Weingüter und -kellereien, Weingärtner und Winzergenossenschaften. Insektizide müssten vor allem gegen invasive Schädlinge eingesetzt werden. Die Länder müssten darüber individuell entscheiden können.

Joachim Rukwied, Präsident des Bauernverbandes, beschwert sich, dass dieses Gesetzpaket den Bekundungen des Bundesumweltministeriums widerspricht, dass Landwirte mit Naturschutz auch Geld verdienen könnten. Damit werde auch ein »Dialog« zwischen Landwirtschaft und Naturschutz zerstört. Doch den gibt es kaum, er ist von Umweltministerium, Umweltbundesamt und NGOs offensichtlich nicht gewollt.

Einer ihrer mächtigsten Hebel, die neue Düngeverordnung, beginnt bereits jetzt, den Bauern gewaltige Schäden zuzufügen. Diese heftig umkämpfte Verordnung trat im Mai vergangenen Jahres in Kraft; gegen sie laufen eine Reihe von Klagen.
Demnach müssen Landwirte ihre Düngermengen schrittweise reduzieren, im ersten Jahr um 20 Prozent gegenüber dem Vorjahr, im darauffolgenden Jahr wiederum weniger – jeweils bezogen auf die bereits reduzierte Menge. Eine Abwärtsspirale, denn diese einschneidenden Einschränkungen bedeuten, dass die Pflanzen nicht mehr genügend Nährstoffe bekommen, ihr Wachstum entsprechend reduziert wird und damit die Erträge der Landwirte weiter sinken. Anspruchsvolle Sorten wie Brotweizen lassen sich kaum mehr anbauen. Das würde das Ende für einen großen Teil der Landwirtschaft in Deutschland bedeuten, das dann zu einem Importland für Agrarprodukte würde.

Die Düngeverordnung bedeutet weiterhin einen erheblichen Raubbau am Boden und gewissermaßen den Rückschritt in die landwirtschaftliche Produktionsweise unserer Vorfahren. Denn die entzogen den Böden mangels Dünger die wenigen Stickstoffmengen. Sie mussten deswegen die Äcker regelmäßig brachliegen lassen, damit sie sich ein wenig »erholen« konnten. Erst durch Düngen, wie es in den fünfziger, sechziger Jahren eingeführt wurde, konnte in die Böden Stickstoff eingetragen und die Produktivität gesteigert werden.

Spätestens mit der neuen Düngeverordnung wurde die Düngung planwirtschaftlich geregelt. Die Mengen an Dünger müssen anhand behördlich vorgegebener Kriterien ermittelt, penibel eingehalten und an die Behörden gemeldet werden. Diese kontrolliert dann, ob die Vorgaben eingehalten wurden. Der tatsächliche Bedarf, den die Landwirte seit Generationen exakt an den natürlichen Gegebenheiten für jede einzelne Parzelle ermitteln, spielt dann keine Rolle mehr. Ein Landwirt: »Früher haben wir mit dem Boden gewirtschaftet, jetzt werden wir gezwungen gegen ihn zu arbeiten.«

Währenddessen steigen die Preise für Lebensmittel bereits acht Monate in Folge, stellt die Welternährungsorganisation FAO besorgt fest. Deutschland verliert zusehends seine Fähigkeit, sich selbst zu versorgen und kann nur rund 87 Prozent selbst versorgen und muss den Rest importieren.

PS: Für die Polizei war mitunter hilfreich, dass die Bauern mit ihren Traktoren in Berlin demonstrierten. So konnte ein im Schneegestöber liegengebliebener Polizeibus von einem Traktor an den Haken genommen und abgeschleppt werden.

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