Tichys Einblick
Bauernproteste und Aufstand des Mittelstands

Die Demonstration der Erwachsenen

„Deutlich mehr als 10.000 Teilnehmer“ haben in Berlin gegen die Bundesregierung demonstriert. Darunter neben Bauern vor allem Handwerker, Spediteure und Gastronomen. Kanzler Olaf Scholz ist auf der Demo nur noch eine Witzfigur.

An diesem 15. Januar hat Berlin etwas von Mainz am Rosenmontag. Die Stadt pulsiert. Ein Fieber liegt in der Luft. Das ist bis in die Vororte zu spüren und zu hören. Große Zugmaschinen fahren durch die Straßen, vom Versammlungsort dröhnen Tröten und Hupen selbst bis in die Gegenden, in denen sonst nie Lärm herrscht. Je näher der Berliner der Innenstadt kommt, desto stärker steigt das Fieber.

Auf dem Platz des 18. März sammeln sich schon zwei Stunden vor der Kundgebung tausende Teilnehmer vor dem Brandenburger Tor. Die Stimmung ist gut. Die Teilnehmer machen Witze: „Vorsicht, wir sind gefährlich. Vorsicht, wir sind rechts.“ Mag sein, dass Bauern, Handwerker oder Spediteure wütend auf Olaf Scholz (SPD) sind. Vor allem aber lachen sie den Kanzler aus. Scholz ist dieser Tage viel Ärgernis und noch mehr Witzfigur. Weil sein Staatsfernsehen einmal im Jahr den „Vollpfosten des Jahres“ (Heute Show) wählt und Scholz das für Qualitätsjournalismus hält – aber dabei gleichzeitig seinen politischen Gegnern Hass, Hetze und Umsturz unterstellt, weil auf ihren Demonstrationen das Wort „Vollpfosten“ gefallen ist.

Doch der Kanzler ist auf dem Platz des 18. März nur ein Randthema. Die Teilnehmer sind nicht hier, weil Scholz wieder mal eine Ansprache missglückt ist, sondern weil die Politik der Ampel sie um den Wohlstand bringt. Eine Regierung, die mit immer höheren Steuern und Abgaben den Leistungsträgern den Wohlstand nimmt, um ihn an NGOs, Empfänger von Bürgergeld oder an Klimaschutzprojekte im Ausland zu verteilen. Die Banner auf der Demo sind deutlich in ihren Aussagen: „Fachkräfte fehlen nur in der Regierung.“ „Landwirte sind die modernen Sklaven.“ Oder „Es sind nicht nur die Landwirte. Wir andere haben nur keine Traktoren.“

Ein anderes Banner fordert: „Stoppt die Ampel, fördert den Mittelstand.“ Und tatsächlich ist es der Mittelstand, der sich an diesem vorgezogenen Rosenmontag in Berlin versammelt. Klar, das erste Bild, das ins Auge fällt, sind die 5.000 Traktoren und Zugmaschinen, die nicht nur in der Straße des 17. Juni stehen. Sondern in allen Nebenstraßen der Berliner Mitte. Wilhelmstraße, Behrensstraße, Hannah-Arend-Straße oder Ebertstraße sind voll – sogar Unter den Linden.

Doch eigentlich sind es die Teilnehmer, die dem Protest der Bauern, Handwerker, Gastronomen, Förster, Spediteure …, die der Demonstration der Wirtschaft ihren Charakter verleihen. Es sind nicht wie sonst die Studenten, die mit trotzigem Milchgesicht ihren Kurs und ihre Theorien aus dem Seminar auf die Straße bringen. Es ist eine Demonstration der Erwachsenen. Keine Versammlung derer, die den Wohlstand verfrühstücken und jetzt trotzig mehr fordern. Es sind die Bürger, die den Wohlstand ermöglichen und nun in Berlin demonstrieren, weil die Ampel ihnen ihren Wohlstand nimmt.

Die Teilnehmer reden vor der Kundgebung über die Organisation von Schützenfesten, über die fehlenden Möglichkeiten, in Berlin nach 22 Uhr noch etwas zu Essen zu bekommen oder eben über die Steuererklärungen und Verwaltungsauflagen, die in Deutschland selbst für Steuerberater kaum noch zu überschauen sind. Sie sind fröhlich, haben Tröten mitgebracht, teilweise durch Propanflaschen verstärkt. Feuerstellen sind aufgebaut. Wo früher die Mauer verlief, stehen nun reihenweise Dixie-Klos. Auch an Essen ist gedacht. Unternehmer haben sich eigens aufgestellt, um andere Teilnehmer mit Brötchen und Kaffee zu versorgen. Neutrale Beobachter bekommen auch mal eine frische Knackwurst geschenkt. Versehen mit dem Spruch: „So sind wir Rechtsradikalen halt.“ Den Kanzler nimmt unter den Erwachsenen wirklich keiner mehr ernst. Kann aber auch sein, dass sie den Bundespräsidenten meinen, den „Wirtschaftsminister“, die Außenministerin, den Landwirtschaftsminister – oder wer auch immer versucht hat, den Protest des Mittelstands an den rechten Rand zu drücken.

Die Polizei geht von „deutlich mehr als 10.000 Teilnehmern“ aus. Das Gelände zwischen Brandenburger Tor und Siegessäule verläuft sich ins Endlose. Schwer zu sagen, wie viele tatsächlich da sind. Wären es Klimakleber oder Schulschwänzer würde die Polizei vermutlich von 100.000 Teilnehmern ausgehen – so sind es halt nur „deutlich mehr als 10.000 Teilnehmer“. Dass staatliche Institutionen unter der Ampel mit unterschiedlichem Maß messen, ist ein Grund, warum so viele Bürger auf den Beinen sind. Nicht nur aus Berlin oder Brandenburg. Sondern auch aus Burg (Sachsen-Anhalt), Thüringen, Paderborn, Bielefeld, Borken oder Friesland.

Für die Mittelstands-Demo hat die Polizei das Brandenburger Tor in Richtung Pariser Platz großräumig abgesperrt. Für die „Aktionen“ der Letzten Generation blieb das historische Bauwerk zugänglich, Da haben die Polizisten die Schändung des Tores geschützt und nicht verhindert. Die Spuren sind auf den Mauern immer noch deutlich zu sehen. Davor sind Traktoren abgestellt mit Bannern: „Wäre die Ampel schlauer, wäre sie für den Bauern.“ Sauber sind die Traktoren geparkt. Es ist eine Demonstration der Erwachsenen.

Weil die Polizei das Brandenburger Tor gesperrt hat, müssen die Demonstranten vom Hauptbahnhof rund ums Adlon laufen, um über Umwege die Kundgebung zu erreichen. Es ist ein endloser Strom, ein Lindwurm, der sich von Hauptbahnhof bis zur Südseite des Platzes des 18. März zieht. „Deutlich mehr als 10.000“? Ein Witz. Durch die Begrenzung des Zugangs auf nur eine Seite staut sich im Süden die Menge. Gedrängel entsteht, in dem die Teilnehmer aber gelassen bleiben. Es ist eine Demonstration der Erwachsenen.

Doch sie machen Krach wie ein Fußballstadion nach dem 1:0, als die Kundgebung endlich losgeht. Und das, obwohl kein Dach hier den Lärm verstärkt. Mit Dach sind im Stadion für einen solchen Lärm 50.000 Besucher notwendig. Ohne Dach sollen es nur „deutlich über 10.000 Teilnehmer“ sein? Geschenkt. Das Staatsfernsehen kann die Bauern nun zum Vollpfosten des Jahres erklären. Der Kanzler kann die Vollpfosten in öffentlichen Ansprachen brandmarken, weil sie Vollpfosten gesagt haben. Die Polizei kann Klimakleber schützen und für Bauern gepanzerte Räumfahrzeuge in Sichtweite aufbauen. Das wird den Protest der Erwachsenen nicht mindern. Im Gegenteil: Es befördert ihn. Aber das verstehen in Ampel, Staatsfernsehen und Polizeiführung noch erstaunlich wenige.

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