Tichys Einblick
Chronische Verantwortungsflucht

BAMF – Sie hats gewusst, sie hats nicht gewusst, sie hats gewusst, sie hats…

Wusste Merkel vom BAMF-Skandal? Natürlich. Oder hat irgendjemand je etwas anderes behauptet. Der Satz „Wenn das ... wüsste?“ stammt aus einer anderen Zeit.

© Sean Gallup/Getty Images

Gestern über einen Aufmacher bei „Bild“ gestolpert. „Merkel wusste vom Asyl-Versagen“, ruft die Zeile laut in die Welt hinaus. „Hier sehen Sie die vertraulichen Dokumente, die unter Verschluss bleiben sollten“, verspricht der Text, der dann leider hinter einer Paywall verschwunden ist. Einzelheiten erscheinen kurze Zeit später bei „Focus-online“.

Eine merkwürdige Geschichte. Natürlich wusste Merkel, was sie da angerichtet hatte. Sie lebt ja schließlich nicht auf einem fernen Planeten, sondern mittenmang im Land des Wahnsinns. Merkel hatte ja höchstpersönlich Thomas de Maizière, die laufende Aktentasche aus Biedenkopfs Vorzimmer, als willigen Befehlsempfänger im Innenministerium installiert. Dessen Amtsmotto bis zum bitteren Ende lautete: Merkel befiehl, ich folge dir!

Ausgerechnet Frank-Jürgen Weise, der neben dem Arbeitsamt von Oktober 2015 bis Januar 2017 auch noch das BAMF leitete, wird nun von „Bild“ (respektive Focus) als Kronzeuge der Anklage angeführt. Weise habe im März und im Mai 2017 die Kanzlerin über „Missstände im BAMF und im Asylmanagement informiert“. Also frühestens 12 Wochen nach dem Ausscheiden! 12 Wochen! 12 Monate nach dem Amtsende schrieb er auch noch einen Abschlussbericht. Weise sollte das Unmögliche verbringen, das schon in Normalzeiten völlig unfähige und überlastete  BAMF zu reformieren. Im laufenden Betrieb ein Unterfangen, das keinen Erfolg haben konnte. Dass er es versucht hat, ist verdienstvoll. Das Scheitern war programmiert.

Die Verantwortung liegt im Kanzleramt
Nicht das BAMF ist der Skandal - Merkel ist es
Auf jeden Fall hat der ehemalige Hauptmann Weise, der bei Amtsantritt sagte, er vertraue auf „auf die Bundeswehr und die Bibel“ (und McKinsey, wie wir hinzufügen müssen), keine Alarmglocken betätigt, sondern sich an das Bibelwort „Manchmal ist es besser zu schweigen, der Herr spricht für Dich“ gehalten. Jedenfalls nach außen. Erst jetzt lesen wir über seine Verwunderung, dass es dem Innenministerium, das die Aufsicht über das BAMF hatte, „nicht aufgefallen ist, in welchem Zustand IT, Aufbau- und Ablauforganisation waren. (. . .) Es ist nicht erklärbar, wie angesichts dieses Zustandes davon ausgegangen werden konnte, dass das Bamf den erheblichen Zuwachs an geflüchteten Menschen auch nur ansatzweise bewerkstelligen könnte.“ Vielleicht wäre es sinnvoller gewesen, Merkel bereits Anfang 2016 zu informieren? Es war nicht notwendig. Ehe Weise berufen wurde, wurde ja sein Vorgänger abgelöst – gerade wegen der Missstände. Sie waren also bekannt.

Hat Merkel davon gewusst? Hätte sie es wissen können? Wenn sie sich interessiert hätte – schon. Wirklich irritierend ist, warum ausgerechnet die „Bild“, die die Merkelsche Asylpolitik jauchzend und frohlockend begleitete und Kritiker an irgendwelche Pranger stellte, diese Geschichte unter der Merkel-Überschrift jetzt bringt. Verspätete Panik auf der Auflagen-Titanic?

Vielleicht liegen aber durch das überraschende Bohei ums BAMF die Nerven von Frank-Jürgen Weise blank, der die Gelegenheit einer Presse-Anfrage zum Thema nutzte, um seine Hände in Unschuld waschen zu können. Wer das Unmögliche übernimmt will nicht für das Scheitern stehen – das war bekanntlich programmiert. Damit stehen nur noch die Unseligen Zwei als Verantwortlichkeitspuffer vor Merkel. Der ehemalige Innenminister wird seinen Spitznamen „die Misere“ bis in alle Ewigkeiten weitertragen müssen. Bleibt noch die zweite treue Seele aus Merkels Entourage, Peter Altmaier. Noch so einer, der das Selberdenken nach Amtsantritt lautstark eingestellt hat. Der aber will nicht kampflos abtreten. Als Kanzleramtsminister habe ihm lediglich die „politische Gesamtkoordinierung ressortübergreifender Aspekte der aktuellen Flüchtlingslage“ unterstanden. Wir werden wohl noch einige Male Zeugen seiner Schönfärbereien sein dürfen, bei denen „Wahrheit und Dichtung, Realität und Einbildungskraft ineinanderfließen wie die Farben eines Aquarells“, wie mal ein großer Dichter schrieb.

Merkel selber hat jedenfalls schon vor langer Zeit alles zum Thema gesagt: „Ich muss ganz ehrlich sagen, wenn wir jetzt anfangen, uns noch entschuldigen zu müssen dafür, dass wir in Notsituationen ein freundliches Gesicht zeigen, dann ist das nicht mein Land.“ Richtiger wäre gewesen, wenn sie statt „freundliches Gesicht zeigen“ „unsere ganze Dummheit zeigen“ gesagt hätte.

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