Die Antragsteller wissen sehr genau Bescheid. Oft kommen sie neuerdings aus der Türkei, die sich aktuell auf dem dritten Platz bei den Asylanträgen hält, mit bisher über 12.000 Anträgen allein in diesem Jahr, die zu den mehr als 62.000 Anträgen türkischer Staatsbürger im letzten Jahr hinzukommen. Die meisten haben keine Chance auf einen positiven Bescheid. 2023 stand die Türkei damit sogar an zweiter Stelle bei den Herkunftsländern.
Nun ist allgemein bekannt: Auch Asylbewerber mit abgelehntem Antrag können in Deutschland bleiben, weil Abschiebungen schwer sind. Aber es gibt auch andere Geschäftsmodelle, wie aus internen Bamf-Dokumenten und den Bestätigungen verschiedener Landesverwaltungen hervorgeht. Das berichtet die Welt am Sonntag. Viele der Asylbewerber haben es demnach gar nicht auf dauernden Aufenthalt abgesehen, sondern auf das Abstauben von Fördergeldern für ihre freiwillige Rückreise in die Heimat.
Türkische, aber auch andere Staatsbürger reisen anscheinend gezielt ein, nur um die deutschen und teils EU-Fördermittel zu bekommen, manchmal sogar ohne überhaupt ein Schutzgesuch (also einen Asylantrag) gestellt zu haben. Das wirft einen Lichtstrahl auf eine andere Tatsache: Auch die Asylstatistik bildet nicht das Gesamtmaß der illegalen Einwanderung nach Deutschland ab.
Und noch ein Faktum wird hier beleuchtet: Die Bundesregierung hat ihr eigenes Modell zur Förderung von Rückwanderung. Denn darum handelt es sich bei den in Rede stehenden Fördergeldern eindeutig. Das scheint nur noch niemandem aufgefallen zu sein. Das Bamf wird damit auch zur Rückwanderungsagentur, zumindest der Möglichkeit nach.
Doch aus dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) hört man außerdem eben jenes Detail, dass die Personen oft sehr genau über die deutschen Fördergelder informiert seien. Sie „fordern diese regelrecht ein“. Und insgesamt können die Rückkehrer so anscheinend mehr als 2.000 Euro vom deutschen Staat einnehmen, die bei der Ausreise in bar ausgezahlt werden.
Bund und Länder fördern die Ausreisen
In Bayern achtet man angeblich schon besonders auf „etwaige zweckwidrige Inanspruchnahme von Förderleistungen“. Aber eigentlich „zweckwidrig“ sind die Mittel ja gar nicht verwandt. Die Ausreise geschieht ja. Nur war eben schon die Einreise wie bekannt rechtswidrig und nutzte die deutsche Verwaltungspraxis aus. Ebendort müsste also auch die Heilung des Zustandes ansetzen.
Auch Niedersachsen, Hessen und das Land Berlin berichten von gehäuften „freiwilligen Ausreisen mit einer sehr kurzen Verweildauer in Niedersachsen“. In Niedersachsen handelt es sich „überwiegend um Männer im Alter von 19 bis 45 Jahren“. In Berlin waren 17 von 106 geförderten Ausreisen missbräuchlich. Ein ähnliches Erwerbsmodell hatten Personen aus Südosteuropa (etwa Moldau) vor einiger Zeit vor allem in Berlin genutzt. Damals ging es um die Asylbewerberleistungen, die noch in Anspruch genommen wurden, bevor man die problemlose Rückreise in heimische Gefilde unternahm.
1.616 geförderte Ausreisen gab es 2023 bundesweit und damit deutlich mehr als noch im Jahr zuvor (nur 226). Knapp die Hälfte der Geförderten verließ Deutschland innerhalb der ersten sechs Monate des Aufenthalts. Man darf annehmen, dass diese Personen ohnehin, so oder so, das Land verlassen hätten.
Deutsches Förderprogramm: Auch 4.000 Euro pro Kopf sind realisierbar
Das Förderprogramm REAG/GARP 2.0 wird von Bund und Ländern finanziert. Gezahlt werden laut einer gemeinsamen Website der Internationalen Organisation für Migration (IOM) Deutschland und des Bamf unter anderem:
- Flug- und Bustickets,
- „Fahrtkosten vom Wohnort zum Flughafen oder (Bus-)Bahnhof“,
- eine sogenannte „Reisebeihilfe“ von 200 Euro pro Person (100 Euro pro Person unter 18 Jahren),
- medizinische Unterstützung auf der Reise (zum Beispiel Rollstuhlservice, medizinische Begleitperson) sowie im Zielland (maximal 2.000 Euro für bis zu drei Monate nach Ankunft),
- und zuletzt die „einmalige Förderung“ von 1.000 Euro pro Person. Für jedes Kind bekommen die Ein- und Ausreisenden nochmals 500 Euro. Pro Familie dürfen maximal 4.000 Euro fließen. Bei sehr kurzem Aufenthalt kann der Einmalbetrag auf 500 Euro gekürzt werden.
Das zeigt: Dem deutschen Staat in 16 Bundesländern ist jeder Mensch gleich viel wert. Nimmt man eine Rückreise in die Türkei, so ist eine Gesamtförderung von über 3.500 Euro ohne weiteres vorstellbar. Die Reisebei- und Starthilfe gibt es aber für alle Antragsteller, egal ob sie aus der Türkei oder von weiter weg kommen. Auch das setzt freilich falsche Anreize; denn eine Anreise aus der Türkei ist vergleichsweise leicht zu bewerkstelligen und vorzufinanzieren.
Der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion Alexander Throm fordert nun eine „Staffelung der Förderung nach geographischer Nähe der Herkunftsländer zu Deutschland“ und damit das Mindestmaß politischer Vernunft. Aber allein das schon wäre wahrscheinlich viel zu praktisch gedacht und zu sehr an deutschen Interessen orientiert, als dass man es in Deutschland machen könnte. Das wird vermutlich auch Herrn Throm im Moment seiner eigenen Regierungsbeteiligung klar werden.
Bamf verlangt „vertiefte Begründung“ von Ländern
Daneben soll es übrigens auch einen EU-Fördertopf für die geplanten Rückkehrhilfen geben, der über Frontex ausgezahlt wird. Dieses Förderprogramm gewährt laut Welt am Sonntag eine Reisebeihilfe von 615 Euro pro Person für Flughafentransfer und Weiterreise. Später können über dasselbe Programm bis zu 2.000 Euro ausgezahlt werden, um den Ein- und Auswanderer in den Sektoren Wohnen, Bildung, Geschäftsgründung oder „psychosoziale Hilfe“ zu unterstützen. Auch hier profitierten 2023 insgesamt 573 türkische Staatsbürger, die wieder aus Deutschland ausreisten. Noch vor den Türken standen hier allerdings die Iraker.
Zum Schluss das Sahnehäubchen: Eine etwaige Ablehnung des Förderantrags müssen die Länderbehörden gegenüber dem Bamf begründen. Dem Bamf reicht es keineswegs aus, wenn ein Land beispielsweise die kurze Verweildauer des Migranten in Deutschland als Gegenargument anführt. Eine „vertiefte Begründung“ wird laut Welt am Sonntag nötig. Das ist für die Länder aufwendig, wo nicht unmöglich. Es ist wie immer: In Deutschland beschäftigt man sich mit Behörden-Pingpong, anstatt rasch für praktikable Lösungen zu sorgen.